In einem Interview mit Jens Binder Frisch, Einrichtungsleitung und Vorstand der Jugendhilfeeinrichtung Michaelshof Hepisau im Landkreis Esslingen, spricht Stephanie Schultz mit ihm über die Rolle von Umwelt- und Klimaschutz innerhalb des Trägers und in der täglichen Arbeit.
Sie waren eine der ersten Organisationen des Paritätischen, die sich auf den Weg in Richtung Klimaneutralität gemacht haben und schon viele Maßnahmen umgesetzt haben. Wie haben Sie das geschafft?
Die Frage ist weniger, wie ich das geschafft habe, sondern vielmehr, warum wir uns als Einrichtung überhaupt auf den Weg gemacht haben. Da muss ich insofern ausholen, dass ich schon seit 25 Jahren hier in der Einrichtung mit Kindern und Jugendlichen arbeite und wir eine Nachwelt hinterlassen wollen, die diesen Kindern und Jugendlichen auch gerecht werden kann. Im Rahmen der Klimaerwärmung und im Rahmen der Visionen, die diesbezüglich in Presse, Funk und Fernsehen aufgestellt werden, wirkt es relativ bedrohlich für unsere Kinder und Jugendlichen tatsächlich eben keine gerechte Welt hinterlassen zu können. Und deshalb war es für uns als Organisation schon ganz früh im pädagogischen Auftrag enthalten: zum einen unser Mögliches dafür zu tun, tatsächlich einen klimaneutraleren Output der Einrichtung herzustellen. Zum anderen auch, die Kinder darauf vorzubereiten, zu informieren und mitzunehmen auf diesem Weg. Wenn sie erwachsen sind, sollen sie in einer Welt leben können und sich zu der Welt auch verhalten können, wie sie eben sein wird. Wir haben das relativ einfach geschafft, aber wir sind noch nicht klimaneutral. Wir befinden uns nur auf dem Weg dorthin.
Geschafft haben wir diesen Weg relativ „einfach“, weil wir aufgrund unserer Lage auf der Schwäbischen Alp schon ein paar natürliche Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen haben, die uns dabei helfen. So haben wir zum Beispiel eine eigene Quelle, die uns aufgrund von Sickerwasser der Schwäbischen Alp eine relativ hohe Qualität an Wasser zur Verfügung stellt. Dann haben wir eine recht gute Lage für Photovoltaik. Wir haben ein Gebäudeensemble, das relativ stark zusammenhängt, sodass wir auch im Bezug auf Wärmeerzeugung und Wärmenahversorgung gute Voraussetzungen haben. Aber warum wir uns überhaupt auf den Weg gemacht haben hängt mit unserer Kernausrichtung zusammen. Wir sind seit 75 Jahren als Einrichtung anthroposophisch ausgerichtet, mit der Idee der waldorfpädagogischen Herangehensweise an Pädagogik. Dadurch haben wir schon in unserem Leitbild und im Menschenbild die Nachhaltigkeit verankert. Deswegen ist es für uns keine große Umstellung gewesen, uns auf den Weg zu machen, sondern im Grunde genommen Kerngeschäft.
Nehmen Sie uns nochmal mit ganz an den Anfang. Womit haben Sie gestartet? Was war der erste Schritt?
Einen klaren Start kann ich so nicht definieren. Die Haltung, nachhaltig zu wirtschaften gab es schon, als ich vor 25 Jahren in die Einrichtung gekommen bin. Es hat sich nach und nach alles entwickelt. Die Initialzündung für mich war als wir Anfang der 2000er überlegen mussten, wie wir unsere Heizung umstellen. Die alte Ölheizung ist ausgefallen gewesen und wir mussten eine neue Heizung installieren. Da war die Überlegung zu sagen „Gut, lasst uns lieber ein bisschen mehr Geld in die Hand nehmen und lasst uns ein Wärmenetz machen.“ Bis dahin hatten wir in allen Gebäuden Einzellösungen. Die Idee war, ein Wärmenetz zu machen, das von einem zentralen Brenner in der Einrichtung versorgt wird und dieser Brenner sollte zum damaligen Standard Anfang der 2000er eben möglichst CO2 neutral ausgerichtet sein. Wir haben also 2003 / 2004 eine zentrale Pelletheizung mit einer Nahwärmeversorgung in Betrieb genommen, die alle sechs Gebäude, die wir haben, mit Wärme versorgt. Das war der erste große, tatsächlich aktive Schritt auch hin zur CO2 Reduktion.
Wie begeistert sind Ihre Kolleg*innen, wenn Sie ankommen und solche Pläne oder neue Ziele verkünden und neue Vorgaben machen?
Aufgrund der Grundausrichtung des Michaelshofs ziehen wir Kolleginnen und Kollegen an, die mit dem Menschenbild, das wir verkörpern auch gut mitgehen können und insbesondere eine nachhaltige Einrichtung suchen. Das heißt, wenn wir Ideen haben, wie wir unseren CO2 Abdruck noch verringern können oder uns in anderen Bereichen nachhaltiger ausrichten können, stößt das in der Regel auf offene Ohren und wenig bis gar keinen Widerstand. Vielleicht merkt man an der ein oder anderen Stelle, dass es ihnen eher gleichgültig ist und sie deswegen nicht so wahnsinnig mitziehen, aber Widerstände gibt's in dem Fall gar keine. Insofern trete ich da offene Türen ein, wenn es irgendwas Neues zu überlegen gibt.
Würden Sie dem zustimmen, dass eines der Hauptargumente - neben der Möglichkeit, Geld einzusparen - ist, die Mitarbeiter*innen einzubeziehen und dann Maßnahmen auch schnell umzusetzen, damit die Leute merken, es wirkt und sie können etwas bewegen, indem sie auch eigene Ideen einbringen?
Also ich glaube, eine konsequente Umstellung einer Organisation, einer Firma oder einer Familie, auf CO2 Reduktion ist erstmal nicht unbedingt mit Geld sparen verbunden. Das muss man sich schon auch nochmal klar machen. Vielleicht ist das bei Photovoltaik so, aber bei Heizungen nicht unbedingt, zumindest nicht am Anfang. Bei anderen Verbrauchsmitteln ist es auch nicht immer gleich geldwert darzustellen. Aber Mitarbeitende gewinnt man schon nochmal anders. Neben der Überzeugung für das Kerngeschäft, bei uns die pädagogische Arbeit, kommen sie vielleicht tatsächlich nochmal begeisterter und lieber in die Einrichtung, wenn sie sich auch im Bereich der Nachhaltigkeit mit eigenen Ideen und Umsetzungsvorschlägen einbringen können.
Welches Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen oder hat Sie am meisten überrascht?
Also das Projekt, das mir persönlich am meisten am Herzen liegt, ist kein einzelnes Projekt zur Durchführung von CO2-Neutralität oder Reduktion. Meine Vision über die Umstellung unserer Einrichtung geht noch ein Stück weiter und beinhaltet für mich das Thema Gemeinwohlökonomie. Das ist eine bestimmte Idee, das Wirtschaftsleben neu aufzustellen, und Nachhaltigkeit nicht nur im Bereich der CO2-Reduktion zu sehen, sondern ganzheitlich anzugehen und eine Organisation aufzubauen, die sowohl in Bezug auf Gerechtigkeit, in Bezug auf Nachhaltigkeit, in Bezug auf Transparenz, und Menschenwürde ein anderes Level erreicht. Da gibt es von der Gemeinwohlökonomiebewegung in Deutschland eine ganz gute Matrix, mit der wir als Einrichtung arbeiten. Sie hat unter anderem das Ziel, klimaneutraler zu werden. Es gibt ein Punktesystem, das die Bemühungen der Einrichtung bewertet und alle zwei Jahre überprüft wird. Das begeistert mich ganz besonders, weil es nochmal komplexer und umfassender ist als nur im Bereich CO2 Reduktion was zu tun. Eine Transformation von Gesellschaft oder von einer enkelgerechten Zukunft kann nicht nur im Bereich der CO2 Reduktion gelingen, sondern es werden sich ganz viele andere Bereiche auch noch ändern müssen. Deswegen ist das mein Herzensprojekt, quasi diese Idee auch in einer Einrichtung besser zu implementieren und als Nachhaltigkeitsindex einzuführen.
Inwieweit hilft Ihnen ein Commitment wie die GWÖ oder auch das Projekt „Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken“ dabei, Ihre Ziele zu erfüllen oder auch den Zielen, die Sie sich gesetzt haben, näher zu kommen?
Es hilft mir sehr, weil es einen Orientierungsrahmen bietet. Wir sind als eine der wenigen baden-württembergischen sozialen Organisationen bei der bundesweiten Initiative „Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken“ dabei. Da ist der Fokus ganz stark auf dem Thema Klimaschutz, was wirklich hervorragend aufbereitet ist und uns auch schon viele wichtige Informationen geliefert hat, wo wir uns intern nochmal verbessern könnten. Insbesondere gab es eine CO2 Bilanzierung, die man einmalig gemacht hat, um dann zu wissen, auf welcher Basis man sich bewegt. Wenn man das dann jährlich wiederholt, kann man anhand der CO2 Emissionen, die man als Organisation ausstößt, sehen, ob Klimaschutzmaßnahmen wirken oder nicht. Das ist für uns sehr hilfreich gewesen, aber es kann aus meiner Sicht nur eingebettet sein in einen größere Referenzrahmen, wie die Gemeinwohlmatrix. Sie ist der generelle Rahmen, an dem ich mich bei der Organisationsentwicklung orientiere.
Wo hat es denn gehakt bei Ihnen? Welche Learnings können Sie kleineren oder größeren Organisationen mitgeben?
Also zum einen ist es wichtig, nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Change Management Prozesse in einer Organisationen dauern immer. Auch wenn ich im Kleinen irgendwo anfange, was ändern zu wollen, sei es Mitarbeitendenmobilität zum Beispiel, was bei uns ein großer Faktor ist, der sich noch deutlich ändern muss, Wasserreduktion oder die Umstellung auf vegetarische oder zumindest fleischärmere Ernährung. Da kommt man ganz schnell an den Punkt, dass sich die Effekte natürlich nicht sofort einstellen, sondern Zeit brauchen, um einerseits Sachen so zu entwickeln, dass sie zu einer breiten Mehrheit bei der Mitarbeiterschaft und auch der Klienten führen. Und auf der anderen Seite einfach eine Zeit dauern, damit Effekte erzielt werden. Bei eine Jobradeinführung beispielsweise dauert es, bis Mitarbeitende tatsächlich auch mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen und dadurch ihren Arbeitsweg CO2 neutral machen. Also das Wichtigste ist, nicht zu verzweifeln. Man muss einen gewissen langen Atem dafür haben. Das Zweite ist, nicht die Kosten aus den Augen zu verlieren. Meine Erfahrung war, dass CO2 Neutralität nicht zum Nullkostenpreis zu bekommen ist, sondern man erst mal eine Erstinvestition braucht. Das muss man einkalkulieren und beim Kostenträger argumentieren. Da heißt es auch immer wieder: „Steter Tropfen höhlt den Stein“. In den jährlichen Gesprächen muss man immer wieder auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit hinweisen: Ob das die Sachkosten sind in Bezug auf Ernährung oder die Betreuung, die zusätzlich gebraucht wird. Wir hatten erst Entgeltverhandlung und nach Jahren wird der Einsatz auch dotiert. „Herr Binder-Frisch,“ heißt es dann, „Sie haben ja so wahnsinnig hohe Ansprüche an Ihre Ernährung, das finden wir ja toll, gut dann geben wir eben ein viertel Prozent mehr bei den Sachkosten dafür drauf.“ Irgendwann wird es positiv bewertet, aber es braucht eben einen langen Atem.
Gibt es Pläne oder Projekte, die Sie sich vorgenommen haben, um in dieser Richtung auch zukünftig weiterzumachen?
Also wo auf jeden Fall noch Luft nach oben ist und wo wir jetzt dringend ran gehen, ist zum einen wieder die Heizung. Nach 20 Jahren wird sie jetzt wieder erneuert. Wir bleiben bei Holzpellet, werden dies aber optimieren, sodass wir weniger Pellets brauchen werden. Und wir werden unsere Photovoltaik ausbauen. Momentan sind es 60 Watt-Peak, die wir auf den Dächern haben und die eine Eigenverbrauchsquote von ungefähr 50 Prozent Mittel über das Jahr deckt. Das möchte ich auch gerne nochmal um zehn Prozent auf 60 Prozent erhöhen. Das heißt, wir haben auch einen Neubau vor der Brust, der klimaneutral, oder zumindest relativ klimaneutral mit klimaneutralen Baustoffen errichtet wird. Dort wird auch Photovoltaik aufs Dach kommen, sodass wir eine höhere Watt-Peak erreichen werden. Das sind unsere nächsten Projekte. Jetzt sind die Fördergelder aber ziemlich zusammengestrichen worden, sodass die Finanzierung eine Herausforderung wird.
Aus dem Podcast der Klimaschutzinitiative „Mut tut gut – einfach anfangen“.