Zahlen und Fakten zum STZ-Interview mit Uta-Micaela Dürig vom 15.03.2024

Pressemitteilung - geschrieben am 18.03.2024 - 15:53

Stuttgart – 18.03.2024 – Einen gesellschaftlichen Schulterschluss aller Sektoren forderte Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, jetzt in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung/den Stuttgarter Nachrichten. „Denn die aktuellen Herausforderungen sind nicht getrennt voneinander zu bewältigen“, so Dürig. Politik, Wirtschaft, Sozialwirtschaft, Bürgergesellschaft müssten an einem Strang ziehen: „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Pakt zur Gestaltung der Zukunft! Keine Silo-Diskussionen nur über Krisen.“ Dafür brauche es ein Einbeziehen der Sozialen Arbeit auf Augenhöhe beispielsweise in Allianzen, auch von der Landesregierung und ein verstärktes Einbringen der Wirtschaft in die Gesellschaft. Ein verzahntes Agieren im Hinblick auf beispielsweise Personalmangel oder Digitalisierung bzw. Künstliche Intelligenz (KI) helfe allen Seiten bzw. bringe die Sozialwirtschaft voran.

Unmissverständlich sagte Uta-Micaela Dürig aber: „Der Staat darf sich nie seiner Verantwortung entledigen. Vor allem darf er Bereiche nicht gegeneinander ausspielen, also etwa innere und äußere Sicherheit gegen soziale Infrastruktur oder gegen einzelne soziale Zielgruppen. Das ist gefährlich, denn wir beobachten ohnehin ein Erodieren des gesellschaftlichen Konsenses.“

Im Hinblick auf die Kürzungen von finanziellen Mitteln im Land und vom Bund sagte Dürig klar: „An der sozialen Infrastruktur zu sparen ist falsch! Laut Studien spart ein Euro, der in die Suchthilfe investiert wird, 17 Euro an Folgekosten. Und die Arbeit in der Straffälligenhilfe spart dem Land jährlich einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag ein.“ Daher dürfe nicht gespart werden, im Gegenteil: „Gelder in Soziale Arbeit sind Zukunftsinvestitionen!“ Denn: „Wir sind die Lösung gesellschaftlicher Themen, nicht ein lästiger Kostenfaktor!“ Aus diesem Grund entschied sich der Paritätische Baden-Württemberg auch im Hinblick auf die im Juni 2024 stattfindende Kommunalwahl für eine Kampagne unter dem Motto: „In soziale Zukunft investieren – weil alle zählen!“

Derzeit sei die Finanzierung aber häufig nicht auskömmlich. Ganz zu schweigen von notwendigen, derzeit aber von den Behörden als nicht „betriebsnotwendig“ anerkannten Investitionen in Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung wie Photovoltaik- bzw. Heizungs-Anlagen oder Hitzeschutz. Dürig: „Dafür braucht es Änderungen von Richtlinien.“

Und weiter: „Wenn sich Rahmenbedingungen drastisch ändern, gleichzeitig weniger Personal auf allen Seiten vorhanden ist, müssen Abläufe geändert werden. Dafür müssen wir schnell sein.“ Zurzeit habe man es neben einer Vielzahl von gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen und ausufernden Bürokratieanforderungen u.a. auch mit „einer überbordenden Komplexität der Abläufe“ zu tun: „Bislang möglicherweise bewährte Prozesse, aber sie sind unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht mehr sinnvoll und haltbar“, so Dürig.

Im Hinblick auf den akuten Personalmangel in allen Bereichen der Sozialen Arbeit sagte Uta-Micaela Dürig: „Wir brauchen mehr Flexibilität, um multiprofessionellen Teams sowie Quereinsteigern, die nachqualifiziert werden, das Arbeiten zu ermöglichen.“ Ansonsten müssten noch viel mehr Angebote reduziert werden, was die Falschen träfe, weil der Bedarf nach sozialer Arbeit steige: „Wir sind ein Wachstumsmarkt!“

Als gar nicht hinnehmbar bezeichnete Dürig die augenblicklichen Liquiditätsprobleme: „Wenn sich Mitgliedsorganisationen auf mit den Stadt- und Landkreisen getroffene Vereinbarungen verlassen, Personal einstellen, dann aber in Liquiditätsprobleme laufen, weil die vereinbarten Mittel nicht fließen, ist dies vollkommen inakzeptabel! Und dass, obwohl man sich erfreulicherweise an vielen Orten auf Grundlage des Bundesteilhabegesetzes darauf geeinigt hat, Menschen mit Behinderungen individuell betreuen zu können.“

Klar sei in jedem Fall auch weiterhin, dass „wir die Ärmsten und Schwächsten vertreten, die am stärksten von Krisen betroffen sind, und deshalb werden wir auch weiterhin für ihre Belange hörbar einstehen“, so Uta-Micaela Dürig: „Es gibt nichts sinnstiftenderes als Soziale Arbeit!“

Darüber hinaus nannte Dürig folgende Zahlen, die belegen, wie drastisch die augenblicklichen sozialen Herausforderungen sind:

  • 700.000 „Babyboomer“ werden in den nächsten 10-12 Jahren jährlich bundesweit in Rente gehen
  • 7.702 Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen durch Jugendämter gab es 2022 in Baden-Württemberg
  • 547.359 Pflegebedürftige in Baden-Württemberg (2022). Zahl steigt 2030 auf 596.682 und 2040 auf 673.560 Pflegebedürftige; laut einer Studie fehlen in BW bis zum Jahr 2040 rund 24.000 zusätzliche Pflegekräfte
  • 44 Frauenhäuser mit 350 Plätzen für Frauen und ca. 500 Plätzen für Kinder. In Baden-Württemberg haben in den letzten 12 Monaten ca. 147.000 Frauen Gewalt durch den Partner erfahren
  • 52.287 bestehenden Sozialwohnungen steht der Bedarf nach 260.000 Sozialwohnungen in Baden-Württemberg gegenüber
  • Die Armutsgrenze liegt in Baden-Württemberg 2021 bei 14,1 Prozent. Mehr als 500.000 Kinder und junge Menschen sind in Baden-Württemberg armutsgefährdet
  • Rund 3.000 junge Menschen machen pro Jahr beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg ein Freiwillliges Soziales Jahr (FSJ)
  • 171.234 Auszubildende gab es 2022 in Baden-Württemberg. Das ist der niedrigste Wert seit 1980
  • Rund 400.000 Menschen arbeiten in Baden-Württemberg in den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege, die die LIGA Baden- Württemberg bilden: Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Caritas, Paritätischer und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).

Wichtiger Hinweis:

Zum Interview in der Stuttgarter Zeitung online am 15.03.2024 https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.chefin-des-paritaetischen-wohlfahrtsverbandes-vorstaendin-stemmt-sich-gegen-kuerzungsplaene.39a07d55-824d-466e-aeab-bb6cb30d501b.html

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg - gegründet 1948 - ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist konfessionell, weltanschaulich und parteipolitisch unabhängig. Er steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. In den kommenden Jahren wird sich der Paritätische Baden-Württemberg verstärkt drei Strategiefeldern widmen: - Zusammenhalt in einer vielfältigen, inklusiven und demokratischen Gesellschaft - zukunftsfähige Lebensräume - Soziale Innovationen. Ihm sind in Baden-Württemberg 917 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte und 80.000 Hauptamtliche. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de 

 

Wichtige Werkzeuge

Artikel merken