Diskriminierung im Kampf um Wohnraum

Fachinformation - geschrieben am 11.11.2022 - 12:02
Mit einer Kette und einem Schloss verschlossene Haustür

Die Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum wächst. Der angespannte Wohnungsmarkt fördert das Konkurrenzdenken innerhalb unserer Gesellschaft und nährt den Boden für Diskriminierungen im Kampf um Wohnraum.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Sie unterstützt und berät vor diesem rechtlichen Hintergrund Personen, die Benachteiligungen erfahren haben. Weiterhin informiert sie über Öffentlichkeitsarbeit zum Diskriminierungsverbot, führt Forschung durch und berichtet alle vier Jahre dem Deutschen Bundestag. Seit Juli 2022 leitet Ferda Ataman als Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung die Stelle.

Nathalie Wollmann, Referentin für Migration im PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg, sprach mit Heike Fritzsche von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes über die Hintergründe von Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt. Wie können Betroffene sich zur Wehr setzen und wie können Vermieter*innen oder Wohnbaugesellschaften für diese Thematik sensibilisiert werden?

Wie zeigen sich Diskriminierungen bezogen auf den Wohnungsmarkt in der Praxis?

Wir wissen aus Studien und den Anfragen von Ratsuchenden an unsere Stelle, dass Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum besonders relevant ist. Häufig geht es darum, dass Betroffene keinen Besichtigungstermin oder eine Absage für die Wohnung bekommen. Diese Ablehnungen knüpfen unmittelbar oder indirekt an ein Merkmal an, beispielweise die Herkunft, eine Behinderung, eine gleichgeschlechtliche Lebensweise oder die Familiengröße. Auch der soziale Status spielt hier eine große Rolle, zum Beispiel ein niedriges Einkommen oder Transferleistungsbezug. Dabei kann es zu offenen Diskriminierungen kommen, wenn Vermieter*innen direkt sagen oder in Annoncen formulieren, dass sie nicht an diese Gruppen vermieten wollen. Oftmals verbergen sich die Diskriminierungen aber auch hinter scheinbar neutralen Absagen. Die Benachteiligungen bei der Wohnungssuche sind für Betroffene dann schwer nachweisbar. Die Wahrnehmung, diskriminiert zu werden, verdichtet sich für sie dadurch, dass sie trotz intensiver und zum Teil langjähriger Bemühungen keine Wohnung bekommen.

Wie äußern sich Diskriminierungen bei bereits bestehenden Mietverhältnissen?

Benachteiligungen gibt es auch innerhalb bestehender Mietverhältnisse. Hier mehren sich in den letzten Jahren rassistisch aufgeladene Nachbarschaftskonflikte. Die Vermieter*innen und Hausverwaltungen reagieren in solchen Konflikten oft spät oder gar nicht, reden den Konflikt klein oder ergreifen einseitig und schnell Partei gegen die Diskriminierten. Nicht selten führt dies zu Abmahnungen oder gar Kündigungen der diskriminierten Seite.

Wer ist besonders stark von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt betroffen?

Besonders häufig melden sich Ratsuchende bei uns, die aus ihrer Sicht von rassistischer Diskriminierung bei Mieten und Wohnen betroffen sind. Eine repräsentative Umfrage der Antidiskriminierungsstelle von 2019 hat ergeben, dass rund 35 Prozent aller Befragten mit Migrationshintergrund Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft erlebt haben. Oftmals kommen aber auch verschiedene Merkmalsgründe zusammen. Wie gravierend das Problem für bestimmte Gruppen aber tatsächlich ist, können wir nicht allein aus Beratungsanfragen ableiten. Diese sind oft nur die Spitze des Eisberges, da erfahrungsgemäß nur ein kleiner Teil der von Diskriminierung Betroffenen die Hilfe einer Beratungsstelle sucht. 

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat das Ziel, vor Diskriminierungen – auch bezogen auf den Wohnungsmarkt – zu schützen. Was regelt das Gesetz?

Das AGG schützt u. a. vor Benachteiligungen beim Zugang zu Wohnraum. Das Benachteiligungsverbot gilt dabei für den gesamten Prozess von Wohnungssuche und -vergabe, im bestehenden Mietverhältnis und bei dessen Beendigung. Kompliziert ist es, weil dieses Verbot nicht für alle Diskriminierungsmerkmale nach § 1 AGG gleichermaßen gilt: Am weitreichendsten sind die Verbote von rassistischer Diskriminierung. Bei der Auswahl der Mieter*innen darf die Hautfarbe oder die ethnische Herkunft prinzipiell keine Rolle spielen – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder ihren Sprachkenntnissen.

Für die Merkmale Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität gibt es jedoch Regelungen in § 19 AGG, die sehr umstritten sind. Diese formulieren Ausnahmeregelungen vom Diskriminierungsverbot, zum Beispiel wenn Anbieter weniger als 50 Wohnungen vermieten. Auch erlaubt § 19 Abs. 3 AGG eine unterschiedliche Behandlung „im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse“. Wir als Antidiskriminierungsstelle des Bundes setzen uns für eine Reform dieser Regelungen aus § 19 AGG ein, da sie Schlupflöcher und Rechtfertigungen für verbotene Benachteiligungen bieten können und darüber hinaus gegen das Europarecht verstoßen.

Wie kann die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Betroffene konkret unterstützen?

Ratsuchende können sich an unsere Beratungshotline wenden oder uns per Mail bzw. schriftlich kontaktieren. Sie erhalten eine erste Einschätzung zu ihrem Diskriminierungsfall und Hinweise, wie sie weiter vorgehen können. Ein Team erfahrener Jurist*innen informiert darüber hinaus über konkrete Rechte und wie Betroffene diese geltend machen können. Wer Hilfe vor Ort sucht, kann sich in vielen Regionen und Bundesländern an spezialisierte Antidiskriminierungsstellen wenden.

Wie können Vermieter*innen oder Wohnbaugesellschaften zu diesem Thema erreicht und sensibilisiert werden?

Unsere Erfahrung zeigt, dass die Wohnungswirtschaft ihrer Verantwortung für eine diskriminierungssensible Vergabe und Verwaltung von Wohnungen insgesamt noch zu wenig gerecht wird. Dabei kann präventiv und reaktiv viel gegen Benachteiligungen auf dem Mietmarkt getan werden. Welche Möglichkeiten es gibt, ist aber noch zu wenig bekannt. Deshalb werden wir in Kürze eine Sammlung von Beispielen Guter Praxis veröffentlichen, wie Wohnungsmarktakteure gegen Diskriminierung aktiv werden können.

Dazu gehört die Entwicklung fairer und transparenter Vergabeverfahren ebenso wie Ansätze zum Nachteilsausgleich für benachteiligte Gruppen. Auch Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung sowie Wissenstransfer zum Thema Diskriminierung im Wohnungswesen tragen zur Sensibilisierung bei ebenso wie Schulungen zu Diskriminierungsfragen und die niedrigschwellige, diskriminierungssensible Information und Kommunikation mit Mieter*innen. Schließlich sind klar definierte Verantwortlichkeiten und transparente Beschwerdeverfahren im Diskriminierungsfall entscheidend für den professionellen Umgang mit Benachteiligungen. Denn Diskriminierung kann überall vorkommen – wichtig ist, dass man nicht wegschaut, verantwortlich handelt und präventiv vorbeugt.

 

Heike Fritzsche
Referat Forschung und Grundsatzangelegenheiten
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
 
Beitrag aus ParitätInform 3/2022

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