Überall gibt es Formen von Gewalt

Fachinformation - geschrieben am 11.04.2023 - 12:00
Junge Frau in Kochuniform in einer Großküche

Frauenbeauftragte in Werkstätten vertreten die Rechte von Frauen

Werkstatträte sind seit 2001 in der Werkstätten-Mitwirkungs-Verordnung (WMVO) gesetzlich verankert. Erst seit 2017 werden in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung auch Frauenbeauftragte gewählt. Sie vertreten die Rechte der Frauen am Arbeitsplatz und setzen sich für deren Schutz vor Gewalt ein.

Heike Händel sprach mit einigen von ihnen über ihre Erfahrungen als Frauenbeauftragte und den Gewaltschutz in ihren Einrichtungen: mit Sabine Müller und Judith Hefele von der Karl- Schubert-Gemeinschaft in Filderstadt, Nadine Brezing und Jennifer Kappel von den Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften Karlsruhe, Nina Heizmann und Tatjana Raible von den Tennentaler Gemeinschaften, Jacqueline Braun und Annette Roth von Leben Inklusiv (ehemals Behindertenförderung Linsenhofen) und Gabriele Jakobs vom Rudolph-Sophien-Stift in Stuttgart. Bei der Gesprächsrunde mit dabei waren auch Barbara Götz von der Netzwerkstelle für Frauenbeauftragte in Werkstätten sowie die Vertrauenspersonen der Frauenbeauftragten Eva Ruf, Sita Biermeier und Margrit Ehrmann.

Wo beginnt Gewalt?

Die Frage, wo für sie Gewalt beginnt und was sie als Gewalt einstufen, ist für die Frauenbeauftragten gar nicht so einfach zu beantworten. Witze über Frauen, herablassende Bemerkungen und Beleidigungen über das Aussehen, sexuelle Anspielungen und pornografische Bilder gehören für sie dazu – auch Berührungen, wenn sie nicht eindeutig gewollt werden. Judith Hefele macht deutlich, dass es Abstufungen gibt – von der Grenzüberschreitung bis zur psychischen, körperlichen oder sexuellen Gewalt.

Die Abgrenzung kann mitunter schwierig sein: es komme auch auf die Situation und den Kontext an, ob etwas als Gewalt empfunden wird oder ok ist, wie Nadine Brezing und Gabriele Jakobs anmerken. Unmissverständlich klar ist aber, dass jedes Verhalten, das verletzt oder durch das sich jemand herabgewürdigt oder diskriminiert fühlt, als Gewalt anzusehen ist. Der Gewaltbegriff wird hier viel umfassender verstanden und verwendet.

Deutlich wird, dass es in allen Werkstätten Formen von Gewalt gibt und Schutz und Prävention wichtig sind – auch weil man Gewalt am Arbeitsplatz nicht ausweichen kann.

Vereinbarungen zum Gewaltschutz gelten für alle

Dass Gewalt nicht hingenommen werden darf und dass Reaktionen und Konsequenzen wichtig sind, macht Gabriele Jakobs deutlich. So gibt es in ihrer Einrichtung schon seit vielen Jahren eine Vereinbarung zur Verhinderung sexueller Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Sie gilt für alle in der Werkstatt Beschäftigten und wird von allen hauptamtlichen Mitarbeiter*innen und Werkstatt-Mitarbeiter*innen unterschrieben. Damit ist allen klar, dass sexuelle Belästigungen und Diskriminierungen nicht geduldet werden und klare Konsequenzen haben. „Die Leitung ist dabei das A und O“ betont Gabriele Jacobs.

Für Frauen in den Werkstätten sind die Frauenbeauftragten wichtige Ansprech- und Vertrauenspersonen. Sie machen sich durch Aushänge, Flyer, E-Mail oder auch eine eigene Website bekannt. Sie bieten feste Sprechzeiten, ein Frauencafé, aber auch Fortbildungen für Frauen – z. B. Selbstbehauptungskurse – an. Diese Erfahrung bestätigen alle: Frauen müssen sich erst einmal trauen, über schwierige Themen wie Gewalterfahrungen zu sprechen.

Gewaltschutz und Gewaltprävention ist in allen Werkstätten ein Thema. Schutzkonzepte sind fast überall vorhanden und werden aktuell überarbeitet. Eva Ruf findet, dass Frauenbeauftragte in diesen Prozess noch viel stärker als Expertinnen einbezogen und beteiligt werden sollten. Sie haben den engsten Kontakt zu den Frauen, kennen die Themen und haben sich mit vielen Fragen bereits befasst.

Auch bei der räumlichen Planung und Gestaltung kann ihre Beteiligung helfen, räumliche Risiken zu vermeiden (z. B. bei der Lage von Umkleideräumen oder Beleuchtung dunkler Ecken).

Wichtig finden die Frauenbeauftragten, beim Gewaltschutz auch die Frauen im Blick zu haben, die sich nicht wehren und nicht verbal äußern können. Hier denken sie auch an die Frauen mit höherem Unterstützungsbedarf z. B. in den Fördergruppen.

Damit sie die Rechte für Frauen in der Werkstatt gut vertreten können, brauchen die Frauenbeauftragten Schulungen – z. B. auch für das Führen von Gesprächen mit Frauen, die sich mit einer Gewalterfahrung oder in einer anderen schwierigen Situation an sie wenden.

Zu wenig Schulungen trotz hohem Bedarf

Der Bedarf an Schulungen – auch für neu in ihr Amt gewählte Frauen – ist groß, jedoch gibt es in Baden-Württemberg viel zu wenige Angebote. Es gibt nur sehr wenige ausgebildete Trainer*innen und aufgrund der ungesicherten Finanzierung durch das Land kann die Netzwerkstelle Schulungen kaum längerfristig planen. Nadine Brezing wünscht sich vor allem regionale Schulungen ohne zu lange Anfahrten und notwendige Übernachtungen, beispielsweise gemeinsam mit Frauenbeauftragten benachbarter Werkstätten. Dies würde auch die Vernetzung untereinander in der Region fördern.

Wie wichtig die Netzwerkstelle für Frauenbeauftragte ist, unterstreichen Nina Heizmann und Gabriele Jakobs, die beide regelmäßig in der Netzwerkstelle mitarbeiten. Die Netzwerkstelle hilft den beauftragten Frauen bei allen Fragen, unterstützt sie bei Problemen vor Ort, ist mit externen Fachberatungsstellen vernetzt und stellt bei Bedarf Kontakt zu ihnen her.

„Bei Fragen immer an die Netzwerkstelle“ betont Gabriele Jakobs.

Die Prävention von Gewalt ist ein Prozess, der mit einem geschriebenen Konzept nicht abgeschlossen ist. Dass es das Konzept auch in Leichter Sprache geben sollte, betont Nina Heizmann. Es muss allen bekannt und zugänglich sein. Nur dann können sich alle darauf berufen. „Alle müssen wissen, was nicht erlaubt ist, ohne immer wieder neu darüber diskutieren zu müssen“ bestätigt Barbara Götz. Ihre Erfahrung ist:

„Wenn das Thema Gewalt in der Einrichtung Raum hat, ändert sich das Klima. Es wird besser. Auch das Verhältnis der Frauen untereinander verbessert sich, es wird solidarischer.“

Beitrag aus PARITÄTinform 4/2022

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