Interview mit Kultusministerin Theresa Schopper

Fachinformation - geschrieben am 22.07.2022 - 14:20
Kultusministerin Theresa Schopper

Unser Bildungssystem steht vor großen Herausforderungen. Es geht um Bildungsgerechtigkeit, Inklusion, Zukunft von Schule, Lernen und Unterricht sowie die Vielfalt in der Schullandschaft. Darüber sprach PARITÄTinform mit Kultusministerin Theresa Schopper MdL.

 

Wie müssen Ihrer Meinung nach das Lernen, der Unterricht und die Schule in der Zukunft aussehen?

Wir müssen es besser schaffen, Bildungschancen und Bildungserfolg von der Herkunft zu lösen, damit wir die Potenziale aller Schülerinnen und Schüler besser wecken können. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag den Einstieg in eine sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung festgehalten, also dass Mittel und Ressourcen vor allem dorthin fließen sollen, wo sie am meisten benötigt werden. Die Förderung sollte mit möglichst durchgängiger individueller und digital gestützter Diagnostik einhergehen. Und natürlich muss die Digitalisierung des Lehrens und Lernens weiter gestärkt werden. Deshalb wollen wir auch die Leitperspektive Medienbildung weiterentwickeln.

Es ist eine Stärke des baden-württembergischen Schulsystems, unsere Kinder und Jugendlichen entsprechend ihrer Fähig- und Fertigkeiten sowie Interessen zu fördern. Das möchten wir schärfen und den Anspruch unserer Schülerinnen und Schüler mit ihrer gesamten Bandbreite – vom Kind mit Förderbedarf bis zum Jugendlichen mit Exzellenz-Niveau – erfüllen. Dabei ist es unser Ziel, dass jede Schülerin und jeder Schüler den für sich besten Schulabschluss erreichen kann.

Kurzum: Gute Bildung bedeutet für mich: dass sie jede und jeden erreicht; mit den Mitteln des Hier und Heute, ohne das Bewährte zu vergessen; dass sie Kindern und Jugendlichen eine Chance gibt, ihr Potenzial zu entfalten und auszubauen; und nicht zuletzt, dass sie Spaß macht und Freude bereitet. Und bei all unseren Vorhaben ist es mir wichtig, dass wir Praktikerinnen und Praktiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Schülerinnen und Schüler, Eltern und weitere – also alle am Bildungsleben Beteiligten – einbeziehen.

Kultusministerin Theresa Schopper

Es liegt mir ganz besonders am Herzen, dass wir allen Kindern und Jugendlichen, egal, wo sie herkommen und wo sie leben, ein Angebot machen können, dass sie animiert, fördert, fordert, weiterbringt und robust macht für die Erwachsenenwelt.

Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Eine Schule für alle – eine „inklusive“ Schule, welche Bildungsgerechtigkeit schafft – wie kann das Ihrer Meinung nach gelingen?

Gerecht bedeutet nicht, allen das Gleiche anzubieten. Ge- recht ist vielmehr das passende Angebot, das dem jungen Menschen ein Höchstmaß an Entwicklungs- und Teilhabechancen ermöglicht. Das heißt: Wir müssen ausgehend von Entwicklung und Lernstand des Kindes Bildungsangebote machen, die individuell zugeschnitten sind. Dies ist eine gemeinsame Aufgabe von Schule, Schülern, Eltern und allen weiteren Partnern wie Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Gesundheitswesen, Betriebe und so weiter.

Bildungsgerechtigkeit muss dabei bereits bei den Kleinsten ansetzen. Hier leistet etwa unsere sonderpädagogische Frühförderung von Geburt bis Schuleintritt einen wesentlichen Beitrag. Zudem unterstützen wir im Rahmen des Pakts für gute Bildung und Betreuung die frühkindliche inklusive Bildung und Betreuung – finanziell oder mit Mobilen Fach- diensten und Qualitätsbegleitungen in Kitas. Darüber hin- aus arbeiten wir daran, die personellen Voraussetzungen zu verbessern und sind etwa dran, weitere Studienplätze für Sonderpädagogik zu schaffen. Zudem haben wir einen Lenkungskreis Inklusion eingerichtet, und es gibt auch einen weiteren Expertenkreis, der sich mit der Inklusion an beruflichen Schulen beschäftigt. Beide arbeiten eng zusammen. Unser Ziel ist es, einen für alle gültigen Qualitätsrahmen zu erarbeiten, um die Qualität von Inklusion und sonderpädagogischen Bildungsangeboten voranzubringen.

Welche Rolle spielen für Sie Privatschulen/Schulen in freier Trägerschaft für die Schullandschaft von morgen?

Schulen in freier Trägerschaft sind ein wichtiger Teil unserer Bildungslandschaft. Sie ergänzen und bereichern das Bildungsangebot und sind auch wichtiger Impulsgeber für pädagogische Innovationen. Im Gegenzug nehmen die Privatschulen auch die Weiterentwicklungen des öffentlichen Schulwesens auf. Die Wertschätzung für die Arbeit der Privat- schulen unterstreicht die Landesregierung mit einer fairen, verlässlichen und dauerhaften Finanzierung.

Im Südwesten sind übrigens etwa ein Viertel aller Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren in privater Trägerschaft. Diese ersetzen in vielen Regionen ein öffentliches Angebot beziehungsweise teilen sich regional und bezüglich der Förderschwerpunkte die Aufgaben. Diese privaten SBBZ sind demnach ein sehr wichtiger Bestandteil des Bildungssystems für junge Menschen mit Behinderung.

Worin sehen Sie die Chancen und Herausforderungen in der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule?

Die Jugendhilfe bzw. deren Organisationen sind als wichtige Partner an den und rund um die Schulen aktiv, beispielsweise im Ganztag. So arbeiten wir etwa mit der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg zusammen und tauschen uns regelmäßig aus, um die Bildung und Betreuung unserer Kinder und Jugendlichen voranzubringen. Kooperationen sind auch bei Kitas, SBBZ, im Rahmen der Schulsozialarbeit oder des Jugendbegleiter-Programms denkbar. Hier arbeiten wir mit dem Sozialministerium zusammen, das für die Jugendhilfe zuständig ist und können so z. B. an den Schulen freiwillige Zusatzangebote realisieren.

Schule und Jugendhilfe sind untrennbar miteinander verbunden. Beide übernehmen Verantwortung für die gleiche Gruppe von jungen Menschen. Folglich ist es notwendig, dass wir uns eng abstimmen. Dies gilt in diesen pandemischen Zeiten umso mehr, denn Corona hat gerade auch im Bereich der psychosozialen Belastungen schwere Folgen für junge Menschen mit sich gebracht. Wir können jeweils von einer anderen Perspektive und in einem anderen Setting auf die Lebensverhältnisse der Kinder und Jugendlichen blicken. Diese Zusammenarbeit gilt es auszubauen und weiterzuentwickeln. Auch deshalb stimmen wir uns derzeit mit dem Kommunal- verband für Jugend und Soziales ab, um auch den Austausch zur Thematik Schule und Jugendhilfe zu intensivieren.

Was sind für Sie die wichtigsten Ziele in Ihrer Legislaturperiode?

Mir war es von vornherein besonders wichtig, einen offenen und intensiven Austausch mit unseren Partnerinnen und Partnern, also mit allen Beteiligten aus dem Bildungsbereich zu pflegen. Wir brauchen den engen Draht zur Praxis vor Ort, um gute Betreuung und Bildung für unsere Kleinsten, Kleinen und schon etwas Größeren anbieten zu können. Und gut heißt für mich in diesem Fall vor allem chancengerecht. Es liegt mir ganz besonders am Herzen, dass wir allen Kindern und Jugendlichen, egal wo sie herkommen und wo sie leben, ein Angebot machen können, das sie animiert, fördert, fordert, weiterbringt und robust macht für die Erwachsenenwelt.

Hierbei stellt heutzutage natürlich die Digitalisierung eine Grundvoraussetzung dar – und dass wir hier Nachholbedarf haben, ist kein Geheimnis. Umso mehr freut es mich, dass wir mit unserer digitalen Bildungsplattform stetig vorankommen, wenn wir uns auch gewiss nicht ausruhen dürfen. Das alles in Summe führt den begonnen Qualitätsprozess fort – und das ist wichtig. Denn qualitativ hochwertige Betreuung und Bildung über die gesamte Bildungsbiografie sind der Nährboden für den Erfolg und das Wohlbefinden unserer Gesellschaft. Klar ist bei all unseren Zielen aber auch, dass uns das Corona-Virus und der Krieg in der Ukraine weiterhin vor große Herausforderungen stellen und große Kapazitäten binden wird.

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

 

Beitrag aus PARITÄTInform 2/2022

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