Bildung = Zukunft

Fachinformation - geschrieben am 19.07.2022 - 09:24

Interview mit Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. Das Thema Bildung im PARITÄTISCHEN voranzutreiben ist ihr ein großes Anliegen.

Bildung wird im PARITÄTISCHEN vielfältig gestaltet und gelebt. Ihnen ist Bildung ein wichtiges Anliegen, das Sie in Ihrem beruflichen Leben immer begleitet hat. Warum ist das für Sie ein Herzensthema geworden?

Die ersten Lebensjahre sind die wichtigsten im Leben eines Menschen. Wenn Menschen von Anfang an beim Aufwachsen gute Bedingungen haben, können sie ein gelingendes selbst bestimmtes Leben führen. Bildung kann und muss, so gut es eben geht, ungleiche Startbedingungen auszugleichen.

Der Bildungsbegriff im PARITÄTISCHEN steht für „bedarfsgerecht, inklusiv, lebenslang, digital, unterstützend, nachhaltig und gerecht“. Was bedeutet Ihnen diese Definition?

Das Gehirn ist plastisch, deswegen kann auch immer weiter gelernt werden bis ins hohe Alter, eigentlich bis zum Tod. Wir sollten uns immer vergegenwärtigen, dass wir uns stets weiterentwickeln können und sollten das als Chance begreifen.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wo wir mit der Digitalisierung in unserem Land stehen und was noch getan werden muss. Welche Chancen sehen Sie denn in der Digitalisierung von verschiedenen Bildungsbereichen?

Für mich sind inzwischen digitales Lernen und digitale Techniken Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen. Somit müsste Digitalisierung auf den Lehrplan, damit z.B. Programmieren gelernt werden kann. Dies muss natürlich nicht ab der 1. Klasse sein, aber es sollte überprüft werden, ab wann es Sinn macht. Was für mich aber noch viel wichtiger ist, dass die Kinder auch lernen, hinter die Kulissen zu schauen und nicht nur als Anwender digitale Endgeräte nutzen. Ich würde es vergleichen mit Medienkompetenz, die ja auch in der Schule unterrichtet wird.

Alle Kinder müssen bei uns das System Schule durchlaufen. Wie sieht Ihrer Meinung nach Schule und das Lernen in der Zukunft aus?

Ich gehe davon aus, dass man in der Schule Spaß haben muss am Lernen. Die vielen Abbrecher (Schule, Ausbildung, Studium, Weiterbildung) zeigen, dass wir nicht besonders gut darin sind, Bildung als etwas Schönes und als etwas zu verstehen, das unser ganzes Leben bereichert und unsere Persönlichkeit formt. In der Schule sollte der Lehrplan individuell angepasst sein. Lernen muss abwechslungsreich, unterhaltsam, spielerisch sein. Lerneifer kann mit ganz unterschiedlichen Methoden geweckt werden. Und neben diesem individuellen Lernen ist es ganz wichtig zu schauen, wo eigentlich die Talente und Begabungen eines Kindes liegen. Um diese dann auch zu fördern, ist es sehr wichtig, individuell aber auch in Kleingruppen zu lernen. Wie kann ich hilfreich sein für die Gruppe, um zu guten Ergebnissen zu kommen? Auch in großen Gruppen muss man sich souverän bewegen können, in Teams zu guten Lösungen zu kommen, ist nicht einfach. Das habe ich auch selbst erlebt, als wir letztes Jahr im PARITÄTISCHEN in selbststeuernden agilen Teams Themen bearbeitet haben.

Auch brauchen wir ein Verständnis dafür, dass wir Teil einer Weltgemeinschaft sind und jede*r zählt. Beim Thema Klimaveränderung wird dies besonders deutlich. Da darf man nicht nur an sich, seine Familie oder die kleine Gemeinschaft denken, sondern muss über den eigenen Horizont hinaus Entscheidungen treffen, die auch letztendlich für die ganze Welt wichtig sind.

Eine Schule für alle, eine Schule, welche Bildungsgerechtigkeit schafft. Wie kann das Ihrer Meinung nach gelingen?

Ich glaube, wir brauchen in all unseren Institutionen so etwas wie eine fördernde und sorgende Gesellschaft und da sind natürlich Kitas und die Schulen ganz wichtige Orte. Dort soll die Entwicklung des Kindes entsprechend der individuellen Möglichkeiten gefördert werden. In der letzten Zeit ist ein bisschen verloren gegangen, dass es auch Herausforderungen braucht. Man muss selbst erleben, dass man Herausforderungen schaffen und überwinden und selbst zu Lösungen beitragen kann. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Eltern, die ihren Kindern alles abnehmen, es ihren Kindern nicht ermöglichen, selbst diese Erfahrung zu sammeln und Stolz entwickeln zu können für das, was man selbst geschafft hat. Es geht auch darum, dass man selbst ein Ziel hat und an diesem Ziel arbeitet – nicht nur allein, sondern auch mit anderen.

Im PARITÄTISCHEN haben wir viele Schulen in freier Trägerschaft oder Privatschulen. Welche Rolle spielen Privatschulen und Schulen in freier Trägerschaft für die Schullandschaft für morgen?

Vielfalt bedeutet, dass es verschiedene Angebote gibt und sich Eltern, bestenfalls unter der Beteiligung des Kindes, sich für die Schule entscheiden, welche vielleicht am besten passt. Ich habe den Eindruck, dass öffentliche Schulen noch ein bisschen hinter den notwendigen Entwicklungen zurückstehen. Was wir brauchen ist so was wie Exzellenz statt elitär. Es muss aber darum gehen, wie wir Talente und Stärken der Kinder fördern, damit sie selbstbewusste Erwachsene werden, die zum Wohle der Gemeinschaft handeln können.

Um etwas bewegen und zu verändern können zu können, sind Visionen ein entscheidender Motor. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für das Bildungssystem in Baden- Württemberg wünschen?

Erst mal würde ich mir wünschen, dass der Druck wegkommt von Bildung. Dieses ganze Thema Prüfungen und Misserfolge. Das fördert nicht den Spaß am Lernen. Zweitens wünsche ich mir kostenlose Bildungseinrichtungen. Ich kann z. B. nicht verstehen, dass Universitäten mehr oder weniger vom Staat und somit von unseren Steuergeldern finanziert werden, aber bei der Kita immer noch Elternbeiträge und Eigenmittel der Träger verlangt werden. Wir wissen alle, dass diese ersten Jahre die wichtigsten im Leben sind und dann muss doch dort auch das meiste Geld investiert werden, sowohl in die Qualität der Ausbildung der Betreuungskräfte und Lehrer*innen als auch in die (frühen) Bildungseinrichtungen. Wenn die Kita wirklich toll ist, finde ich sogar, dass eine Kita-Pflicht eingeführt werden sollte, damit alle Kinder z. B. die deutsche Sprache können, bevor sie in die Schule kommen und damit die Bildungsvoraussetzungen angeglichen werden. Und ich würde mir ein gemeinsames längeres Lernen wünschen, z. B. bis zur zehnten Klasse.

Das Gespräch führte Kerstin Kleinheinz
Referentin für Jugend und Bildung
 
Beitrag aus PARITÄTinform 2 / 2022

Bildung ist gleich Zukunft

Interview mit Ursel Wolfgramm zu Bildung im Paritätischen Baden-Württemberg
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