An die Normalität des Lebens heranführen

Fachinformation - geschrieben am 15.01.2024 - 12:06

Ehrenamt in der Straffälligenhilfe – Eine wichtige Stütze außerhalb des Systems

Claudia Noll, Marita Schneider und Rainer Marquardt sind in der Straffälligenhilfe ehrenamtlich tätig. Sie betreuen Häftlinge auf dem Hohenasperg.

„Wusste nicht, dass es das gibt.“ Claudia Noll schmunzelt, als sie sich daran erinnert, wie sie vor 13 Jahren zu ihrem Ehrenamt kam. Sie begleitet Häftlinge in der Festung Hohenasperg. Dort sind seit 1968 das Justizvollzugskrankenhaus des Landes Baden-Württemberg und die Sozialtherapeutische Anstalt Baden-Württemberg untergebracht. Vor allem Männer, die Sexual- und Tötungsdelikte begangen haben, werden therapiert. Die 54-Jährige engagiert sich in letzterer.

Auf einer Veranstaltung des Netzwerks Ehrenamt begeisterte sie der ehemalige Geschäftsführer der Sozialberatung Ludwigsburg, Georg Steckenstein, für die Straffälligenhilfe. Sie machte den dafür nötigen Einführungskurs, schnell wurde eine Einzelbegleitung gebraucht. Der Anfang? „War ungewohnt. Mein erster Klient wollte das nicht, aber seine Sozialarbeiterin“, so die Sekretärin. Also habe der Mann alles getan, damit Noll seinen Fall absagt. „Er schilderte seine Taten so deutlich, das volle Programm, fragte dann herausfordernd, ob ich nun Angst habe oder ob ich noch wolle. Ich sagte, klar! Es entwickelte sich eine gute Betreuung.“ Daraus sind viele geworden, hinzu kam Gruppenbetreuung und die Leitung der Gesprächsgruppe.

Es gibt ja ein Leben vor der Tat und eines danach

Vor vier Jahren stieg Marita Schneider ein, zunächst auch mit einer Einzelfallbegleitung, dann ging sie zur Gruppe. „Da kann man nochmals anders arbeiten als eins zu eins, was auch eng werden kann“, so die 52-Jährige. „In der Gruppe kommen andere Perspektiven hinzu.“ Auch die Patentanwaltsfachangestellte kam eher zufällig zum Ehrenamt.

Schon zuvor hatte sie sich lange in der Bewährungshilfe engagiert, suchte neue Aufgaben und traf auf einem Stadtfest auf Andrea Majer, Fachbereichsleiterin Straffälligenhilfe der Sozialberatung Ludwigsburg. Schneider war sofort dabei. „Da geht es mehr um Zuhören, nicht nur um den Alltag dort“, so die 52-Jährige. Neben schweren Dingen ging es auch um Schönes. „Ich kann doch hier nicht von Urlaub erzählen, dachte ich zunächst. Ganz im Gegenteil! Sie wollen das hören, erzählen dann von eigenen Reisen, da kommen Geschichten zum Vorschein! Es gibt ja ein Leben vor der Tat und eines danach. Wir lachen viel. Toll war, als jemand sagte, er hat fast vergessen, dass er im Knast ist.“

Verschwiegenheit ist die Vertrauensbasis

Die Gespräche trügen bei, an die Normalität des Lebens heranzuführen. Das bestätigt Rainer Marquardt, der seit 2021 ehrenamtlich die Gruppe begleitet. „Durch die Therapie gesellschaftsfähig zu werden“, sagt er. „Eine wichtige Arbeit.“ Der 67-Jährige kam über seine zwei Selbsthilfekreise, die er leitet, zur Straffälligenhilfe. „Was bei uns besprochen wird, erfährt niemand, auch nicht die Sozialarbeit. Die Verschwiegenheit ist die Vertrauensbasis.“ Das gilt für die Ehrenamtlichen als auch für die fünf Häftlinge der Gruppe zwischen 30 und 70 Jahren. Sie haben auch Mitsprache, welcher weitere Mitinhaftierte noch dazu kommen darf. Wer Dinge weitertrage, käme nicht rein.

„Die Dynamik muss stimmen. Die Gruppe fördert einen anderen Umgang miteinander als ein geschützter Rahmen, wo noch offener geredet wird“, so Marquardt, der vor seinem Ruhestand in der Verwaltung tätig war. Das Mitspracherecht schaffe das Vertrauen untereinander, die Gefangenen erlebten so Selbstwirksamkeit. Zur Therapie gehöre, zur Tat zu stehen. „Aber auch, den Mensch hinter der Tat zu sehen.“ Alle drei betonen, welche Wertschätzung sie erlebten, sie zu wichtigen Bezugspersonen würden.

„Wir sind eine wichtige Stütze außerhalb des Systems.“

 

 

Beitrag aus Paritätinform 4/2023

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