Wohnungsmärkte aus den Fugen

Fachinformation - geschrieben am 17.10.2022 - 13:44
Wohnung an Ketten in Schräglage

Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Orientierung am Gemeinwohl statt am Profit

Wohnen ist für jeden Menschen, egal welcher gesellschaftlichen Gruppe er angehört, ein unverzichtbares Versorgungsgut. Die individuelle Wohnungssituation entscheidet nicht nur über individuelles Lebensglück und Lebenschancen, sondern auch über die gesellschaftliche Teilhabe. Gutes und verlässlich bezahlbares Wohnen ist eine wesentliche Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen der Menschen in die staatliche Daseinsvorsorge.

Der Wohnungsmangel wächst

Die Realität auf den Wohnungsmärkten ist weit von einer gerechten Versorgung mit dem existenzwichtigen Sozialgut Wohnen entfernt. Steigende Grundstückspreise und hohe Ertragserwartungen bei Neuvermietungen oder bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen sowie die Modernisierung des noch kostengünstigen, aber unsanierten Altbaubestandes, haben in vielen Städten einen großen Verdrängungsdruck ausgelöst. In den letzten zehn Jahren sind die Mietpreise rasant gestiegen. Die Studie „Die Verfestigung sozialen Versorgungsprobleme“, die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellt wurde, weist darauf hin, dass 53 Prozent der Mieterinnen und Mieter in den Städten in zu kleinen oder im Verhältnis zu ihrem Einkommen zu teuren Wohnungen leben. Bei gut einem Viertel der städtischen Haushalte liegt die Mietbelastungsquote bei über 40 Prozent, bei knapp 12 Prozent sogar bei mehr als 50 Prozent des Haushaltseinkommens. Die Mietpreise sind von der Einkommensentwicklung abgekoppelt. Das Problem der mangelnden Bezahlbarkeit von Wohnraum ist nicht mehr ein „exklusives“ Problem von Haushalten mit niedrigem Einkommen.

Das Wohnungsproblem hat längst den Mittelstand erreicht. Für immer mehr Haushalte wird Wohnen zum Armutsrisiko.

Bezahlbare Wohnungen sind absolute Mangelware

Die Mietenexplosion ist eine Folge des wachsenden Wohnungsmangels. Die Wohnungsmärkte geraten immer mehr aus den Fugen, weil trotz vollmundiger Ankündigungen viel zu wenig Wohnungen neu gebaut werden –- und es werden die falschen Wohnungen gebaut. Von den bislang jährlich knapp 300.000 neu gebauten Wohnungen entfallen nur etwa 75.000 Einheiten auf typische Mietwohnungen. Die geforderten Neubaumieten sind für den Großteil der Mieter*innen nicht bezahlbar.

Von teuren Neubauwohnungen werden auf angespannten Wohnungsmärkten keine Umzugsketten ausgelöst, von denen Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen einen Nutzen hätten.

Bezahlbare Wohnungen sind zu einer absoluten Mangelware geworden. Nur ein Zwölftel der jährlich neu erstellten Wohnungen, rund 25.000 Wohnungen, sind Sozialwohnungen mit einer Mietpreis- und Belegungsbindung. Gleichzeitig fallen pro Jahr über 40.000 Wohnungen aus der zeitlich befristeten Bindung. Heute gibt es deshalb nur noch 1,1 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Die Schere zwischen Angebot und Bedarf öffnet sich immer weiter. Das Pestel-Institut hat in einer Studie die Mindestzahl der Bedarfsträger sozial gebundenen Wohnraums mit vier Millionen Haushalten beziffert.

Der Markt versagt bei Sicherstellung einer sozialen Wohnungspolitik

Die Situation auf den Wohnungsmärkten macht einen Systemfehler der Wohnungspolitik offensichtlich: Der Glaube an den Markt, der allein eine angemessene und leistbare Wohnungsversorgung sichert. Die Wohnungspolitik orientiert sich deshalb an der Rendite und nicht am Bedarf. Es hat sich gezeigt, dass mit einer rein marktwirtschaftlich orientierten Wohnungspolitik keine bezahlbaren Wohnungen gebaut und gehalten werden können. Renditeorientierte Wohnungsunternehmen haben kein Interesse an der Versorgung mit leistbaren Wohnungen.

Deshalb muss von einem Marktversagen bei der Sicherstellung einer sozialen Wohnungspolitik ausgegangen werden.

Orientierung am Kostendeckungsprinzip

Die Gewährleistung einer gerechten Wohnungsversorgung ist nur mit Wohnungsunternehmen möglich, die sich nicht an der Maximierung des Gewinns, sondern am Kostendeckungsprinzip orientieren. Ein grundlegender Kurswechsel der Wohnungspolitik ist notwendig, damit ein gemeinwohlorientiertes Mietwohnungssegment aufgebaut werden kann. Mehr bezahlbare Wohnungen und damit bessere Teilhabe an der Wohnungsversorgung für Menschen mit niedrigem und durchschnittlichem Einkommen kann es nur geben, wenn der soziale Wohnungsbau stark ausgeweitet und gleichzeitig der Sozialwohnungsbestand und der Bestand bezahlbarer Mietwohnungen dauerhaft gesichert wird.

Soziale Wohnungsversorgung

Ein wichtiges Element der sozialen Wohnungsversorgung stellt die Neue Gemeinnützigkeit dar. Neben der öffentlichen Hand und kommunalen Wohnungsunternehmen sind Genossenschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Stiftungen diejenigen, die am ehesten nachhaltigen, sozialen und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Sie gilt es mit steuerlichen Besserstellungen, einfacherem Zugang zu Bauland oder einer Privilegierung bei der Vergabe öffentlicher Grundstücke zu stärken. Zu den Prinzipien der Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit gehört die Mietpreisbegrenzung in Anlehnung an die jeweils aktuelle Höchstmiete nach öffentlicher Förderung statt der früheren Kostenmiete, die langfristige Zweckbindung der Mittel des Unternehmens, die Gewinnbeschränkung auf maximal vier Prozent, eine Bau- oder Investitionsverpflichtung und die Mietermitbestimmung.

Die Neue Wohnungsgemeinnützigkeit benötigt und unterstützt die Bildung neuer Träger der sozialen Wohnraumversorgung. Aber auch für schon bestehende Wohnungsunternehmen kann sie ein interessantes Angebot sein, zum Beispiel für die Einbringung von Teilen des Wohnungsbestandes durch ein Tochterunternehmen. Dadurch werden nicht nur bezahlbares Wohnen, sondern auch stabile Bewohnerstrukturen in den Wohnquartieren gestärkt.

Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition macht Hoffnung. Darin wird nicht nur eine „neue Wohnungsgemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen“ versprochen, sondern auch die „dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums“.

Allerdings – in guten Absichten kann niemand wohnen. Es muss jetzt gehandelt werden.

Private Eigentümer*innen vermieten mehr als die Hälfte der Mietwohnungen in Deutschland. Deshalb sollte über die Ergänzung der Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit mit einem Modell der steuerlich geförderten Gemeinwohlwohnung, das gesellschaftlich verantwortliches Handeln privater Vermieter*innen honoriert, nachgedacht werden. Die Eigentümer*innen verzichten mit einer Erklärung auf einen Teil der Miete und vermieten die entsprechende Wohnung nur an Haushalte mit Wohnberechtigungsschein. Die Widmung als Gemeinwohlwohnung ist verbindlich auch im Falle des Verkaufs der Wohnung.

Udo Casper

Landesgeschäftsführer

Deutscher Mieterbund Baden-Württemberg e.V. 

 

Beitrag aus Parität 3/2022

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