Was ist wichtig für ein gelingendes Leben?

Fachinformation - geschrieben am 27.01.2023 - 11:59
Eine Beraterin spricht mit einer jungen Frau

Wirkungsorientierung als Chance für Menschen mit Behinderungserfahrungen

Es gibt keine kausalen Zusammenhänge darüber, was wirkt, damit Menschen gelingend leben. Vielmehr gibt es viele Einflussfaktoren. Schwierig wird es, wenn Akteur*innen bei leistungserbringenden Trägern behaupten (müssen), sie wären maßgeblich verantwortlich für die Veränderungen im Leben eines Menschen. Angesichts des Auftrags, Selbstbestimmung zu stärken, sollte vielmehr Wirkungsorientierung dazu beitragen, dass Menschen Bedingungen vorfinden, in denen sie selbst wirksam sein können. Die Logik im Unterstützungssystem zielt allerdings darauf ab, Leistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen derart zu gestalten, dass im Prozess der Teilhabeplanung formulierte Ziele erreicht werden, und zwar eben aufgrund der Leistungen. Die Tatsache, dass aber viele Faktoren auf das Erreichen von Zielen Einfluss nehmen, bleibt in dieser Logik unberücksichtigt.

Zielformulierungen sind nicht immer hilfreich

Es ist auch nicht für alle Leistungsberechtigten hilfreich, Ziele zu formulieren, die anhand von konkreten Indikatoren überprüft werden können. So kann durch die einrichtungszentrierte Vorgabe, mit der Bedarfsermittlung generell für jede Person Ziele zu formulieren, das Ziel der Selbstbestimmung konterkariert werden. Zudem entsteht die Gefahr, dass Ziele so formuliert werden, dass Leistungsberechtigte sie nicht verstehen, es nicht ihr Ziele sind oder Leistungsträger-Vertretende aus finanziellen Gründen das Erreichen von Zielen einfach ohne Beteiligung der Menschen dokumentieren.

Mit einer im Sinne der Personenzentrierung verstandenen Wirkungsorientierung jedoch kann es gelingen, Zusammenhänge zu verdeutlichen, unter welchen Umständen Leistungen wirksam sind. Es wird Transparenz geschaffen, und aus einer gelebten Co-Produktion können sich die Machtverhältnisse im Unterstützungssystem verändern. Denn Leistungsberechtigte kennen ihre Rechte und verstehen, was diese für sie bedeuten. Sie übernehmen größtmögliche Verantwortung für ihr eigenes Leben. Damit ändern sich die Machtverhältnisse im System und es wird sogar eine Basis für den Gewaltschutz geschaffen.

Konzeptionelles, prinzipiengeleitetes Arbeiten

Konsequent personenzentriertes Arbeiten kann dazu beitragen, dass das Selbstwirksamkeitsempfinden leistungsberechtigter und leistungserbringender Akteur*innen gestärkt wird. Schon allein der Prozess des willensorientierten Erarbeitens dessen, was einer Person für ein gutes Leben wichtig ist, zeigt Effekte in der Haltung der Menschen. Beim Hamburger Verein Leben mit Behinderung Hamburg (lmbhh) wurden im Zusammenhang mit der Einführung des Planungskonzepts ‚Mein Kompass‘ Wirkungsdialoge entwickelt, um herauszuarbeiten, welche Faktoren auf die persönliche Zielerreichung Einfluss haben.

Wirkungsorientierung als Chance heißt: Im Dialog von Leistungsberechtigen und anderen am Unterstützungsprozess Beteiligten herauszufinden, was zur Zielerreichung beigetragen haben könnte. Dieser Dialog führt dazu, dass deutlich(er) wird, welche Faktoren Einfluss auf das Leben von Menschen mit Unterstützungsbedarf nehmen und wie die Person selbst sich und ihr Umfeld samt den Leistungen, die sie erhält, einschätzt.

Diese Faktoren uneitel zu betrachten, sie zu benennen und daraus prozesshaft Schlüsse für die in den Leistungsvereinbarungen beschriebenen Leistungen, den Prozess der Bedarfsermittlung und deren Qualität zu ziehen, kann erheblich zum von der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) und dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) angestoßenen Paradigmenwechsel beitragen. 

Auch Schwachstellen werden aufgedeckt

Um das zu erreichen, bedarf es eines klaren Willens zur Veränderung.

„Mutig müssen wir sein“, so der Geschäftsführer von Leben mit Behinderung Hamburg, als er erkennt, dass Wirkungsdialoge und fachliche Reflexion im Team dazu führen, dass Leistungsberechtige und Fachkräfte damit auch die Schwachstellen im Unternehmen ‚aufdecken‘.

Trotz Fachkräftemangel haben sich Kolleg*innen auf den Weg gemacht, mit den Wirkungsmanagerinnen Prototypen für Wirkungsdialoge zu entwickeln.

Die beteiligten Fachkräfte haben ihre eigene Selbstwirksamkeit entdeckt und sich gefreut, dass schon das Einführen von regelmäßigen Gesprächen mit den Leistungsberechtigen dazu führte, dass Personen sich selbstbewusster und offener zeigten. Die Gespräche haben Wirkung gezeigt – vielleicht nicht in Richtung der im Bedarfsermittlungsprozess formulierten Ziele, dafür aber in die Richtung, die sich die Person in der jeweiligen Situation im Alltag selbst vorgenommen hatte. Selbstbestimmung also.

Recht auf ein gutes Leben

Beziehung und Partizipationsempfinden sind in der Kinder- und Jugendhilfe starke Wirkfaktoren. Dies scheint auch in der Eingliederungshilfe der Fall zu sein. Der Fokus liegt darauf, wann es einer Person gut geht, wie für sie ein gutes Leben aussieht, und diese Vorstellungen ernst zu nehmen. Durch die Wirkungsdialoge werden regelmäßig gemeinsam die Bedingungen dafür reflektiert, wie dieses gute Leben erreicht werden kann.

Das große Ziel einer so verstandenen Wirkungsorientierung liegt darin, dass die Person erkennt, wie sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten kann, indem sie beispielsweise Projekte initiiert, die aktuelle Bedürfnisse betreffen, oder große Lebensziele schrittweise angeht. Individuell und selbstbestimmt – personenzentriert und damit möglichst passgenau.

Professorin Dr. Anja Teubert

Studiengangleiterin Kinder- und Jugendhilfe

Duale Hochschule Baden-Württemberg

 

Quellen

Dewe, Bern, Otto, Hans.-Uwe (2012): Reflexive Sozialpädagogik. Grundstrukturen eines neuen Typs dienstleistungsorientierten Professionshandelns.
In: Werner Thole (Hg.): Grundriss Soziale Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 197–221.
Gahleitner, Silke Birgitta (2017): Soziale Arbeit als Beziehungsprofession. Bindung, Beziehung und Einbettung professionell ermöglichen. 1. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
Ottmann, Sebastian (2020). Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Vortrag. Evangelische Hochschule Nürnberg.
Teubert, Anja (2020): Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Zum Risikofaktor „Beeinträchtigung“ in einer Risikogesellschaft. In: Steirische Vereinigung für Menschen mit Behinderung (Hg): Menschen. Zeitschrift für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten. Heft 3/20. 43. Jahrgang, S. 43–50
Teubert, Anja & Rösner Martin (2023 i. E.): Mein Kompass zum Ermöglichen von Teilhabe. Wirkungsorientiertes personenzentriertes Arbeiten Menschen von mit Behinderung, Kohlhammer, Stuttgart.
Teubert, Anja; Krucher, Daniel (2017): Das Fachkonzept Sozialraumorientierung als Basis einer wirkungsorientierten Kinder- und Jugendhilfe. In: Michael Noack (Hg.): Empirie der Sozialraumorientierung. 1. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 98–200.

Beitrag aus PARITÄTinform 4/2022

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