§218 STGB macht Schwangere unmündig

Fachinformation - geschrieben am 30.06.2023 - 09:17
Frau sitzt verzweifelt mit Schwangerschaftstest auf dem Sofa

Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche hat sich im Land massiv verschlechtert

Seit 150 Jahren ist der Strafrechtsparagraf 218 zur Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Kraft. Demnach ist in Deutschland ein Abbruch nur nach einer Pflichtberatung innerhalb der ersten 12 Wochen bzw. nach einer medizinischen oder kriminologischen Indikation straffrei, aber nicht legal. Nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB) ist er ein Straftatbestand und mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren belegt. Im StGB wird der Schwangerschaftsabbruch in unmittelbarer Nähe zu Mord (§ 211) und Totschlag (§212/213) verhandelt.

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1993 gebührt der rechtliche Schutz dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Nach dieser Rechtsprechung unterliegt die Schwangere einer sogenannten „Austragungspflicht“[1] Trotzdem herrscht in unserer Gesellschaft der Irrglaube, der Schwangerschaftsabbruch sei in Deutschland legal, dass die Frau die Entscheidungsgewalt darüber hätte und jederzeit ohne Probleme einen Abbruch vornehmen lassen könne.

Jedes Kind hat ein Recht darauf erwünscht zu sein

Fakt ist, Abtreibungen gab es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften und es wird sie immer geben, egal ob legal oder illegal. Laut dem statistischen Bundesamt wurden „2021 rund 94.600 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland vorgenommen. In vier Prozent der Fälle lag eine medizinische oder kriminologische Indikation vor. 96 Prozent der Abbrüche fanden nach der Beratungsregelung auf Wunsch der Schwangeren statt.“[2] Diese Zahlen belegen, dass nicht jeder positive Schwangerschaftstest für jede Frau ein Grund zum Jubeln ist und ungeplante Schwangerschaften in der Regel ungewollt sind. Auch wenn viele ungewollt Schwangere ihre Babys trotzdem austragen, ist es für eine verantwortungsvolle Elternschaft immens wichtig, dass der Nachwuchs in die aktuelle Lebensplanung passt. Eine Studie[3] der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegt, dass Frauen, die staatliche Unterstützungsleistungen beziehen, aus finanziellen Gründen häufig auf unsichere Verhütungsmittel zurückgreifen oder auf Verhütung verzichten und aus Kostengründen das Risiko einer ungewollten Schwangerschaft eingehen. Dabei können ungewollte Geburten bei dieser Zielgruppe zu einer weiteren Verschlechterung der Lebensverhältnisse und zur späteren Chancenungerechtigkeit der Kinder führen. Daher sollte jedes Kind ein Recht darauf haben, erwünscht zu sein. Der Paritätische fordert seit Jahren kostenlose Mittel zur Empfängnisverhütung für einkommensschwache Menschen.

Versorgungssituation für Schwangerschaftsabbrüche verbessern

Angesichts der vorliegenden Zahlen ist es umso wichtiger, eine flächendeckende ärztliche Versorgung für einen sicheren Abbruch zu gewährleisten und betroffene Frauen sowie durchführende Ärzt*innen vor Strafe zu schützen. In den vergangenen Jahren hat sich die Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche im Land massiv verschlechtert. Während viele Gynäkolog*innen in den Ruhestand gehen, weigern sich viele Jüngere, einen Abbruch vorzunehmen. Sei es, weil sie Angst vor Kriminalisierung und Stigmatisierung durch Abtreibungsgegner*innen haben oder weil der Schwangerschaftsabbruch in der Facharztausbildung, obwohl gesellschaftlich hoch relevant, kaum eine Rolle spielt. „Angehende Gynäkolog*innen können nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz von ihrem Verweigerungsrecht Gebrauch machen. Lehnen sie Abbrüche aus ethischen Gründen persönlich ab, müssen sie auch nicht lernen, wie sie durchgeführt werden.“[4] In Deutschland kann man also Frauenärzt*in werden, ohne je bei einem Schwangerschaftsabbruch dabei gewesen oder ihn selbst durchgeführt zu haben. In den anderen Disziplinen der Medizin wäre es undenkbar, dass Fachärzte einen notwendigen oder erwünschten Eingriff verweigern. In den Krankenhäusern finden sich inzwischen kaum Ärzt*innen, die einen Abbruch durchführen. Diese Situation zwingt Schwangere, in andere Bundesländer oder ins Ausland zu reisen. Frauen, die sich die Reise- und Abbruchkosten nicht leisten können, legen nicht selten selbst Hand an.

Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte

Seit der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 gehören sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte offiziell zur internationalen Bevölkerungspolitik. So verpflichten sich die Staaten gemäß UNO Statuten dazu, diese Rechte zu schützen und damit jedem Menschen selbstbestimmte und bewusste Entscheidungen zu ermöglichen, wenn es um Sexualität, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft geht, frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt. Doch ist eine Gleichstellung der Frau in der Wahrnehmung ihrer Rechte auf sexuelle und reproduktive Gesundheit überhaupt möglich, wenn sie durch den § 218 StGB zu einem unmündigen Wesen gemacht wird, das nicht selbst über den eigenen Körper verfügen darf? Sicherlich nicht.

Mit der Ampel-Koalition erleben wir eine Regierung, die prüfen möchte, wie Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs aussehen könnten. Wir hoffen auf die Abtreibung des § 218 aus dem StGB und auf eine politische Mehrheit für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

 

Ersatzlose Streichung des § 218 StGB gefordert

In einem innerverbandlichen Austausch wurden die Teilnehmer*innen über die Entstehungsgeschichte des § 218, die aktuellen Regelungen im StGB, die Besonderheit der Pflichtberatung, die Belange von Frauen mit Behinderung sowie über eine mögliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches informiert. Die intensive Diskussion ergab, dass der Paritätische Baden-Württemberg sich für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Neuregelung des § 218 StGB einsetzen soll. Die Ergebnisse aus dem Fachgespräch sollen in eine gesamtparitätische Positionierung zur Neuregelung des § 218 StGB einfließen.

 

 

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