Inklusion stagniert - Institut f. Menschenrechte: stärkere Verantwortung Bund!

Fachinformation - geschrieben am 13.12.2022 - 14:28

In seinem siebten Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland befasst sich das Deutsche Institut für Menschenrechte vertieft mit dem Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Im Fokus steht hier die Frage, was der Bund beitragen kann, um ein inklusives Schulsystem zu schaffen.

Das Institut fordert eine Gesamtstrategie für inklusive Bildung, deren Kernelement eine stärkere Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsförderalismus sein sollte. Ein Verweis des Bundes auf die Verantwortung der Länder im Bildungsbereich sei nicht geeignet, sich der Gesamtverantwortung zur Umsetzung eines inklusiven Schulsystems zu entziehen.

Nach beinahe 14 Jahre seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland zeigen leider nur sehr wenige Bundesländer ausreichend politischen Willen zum menschenrechtlich erforderlichen Aufbau eines inklusiven Schulsystems mit gleichzeitigem deutlichen Rückbau der Förderschulstandorte, so das Institut. Angesichts dieses Gesamtbildes sei ein inklusives Schulsystem ohne die Stärkung der Bundeszuständigkeit schwer möglich.

Leider schneidet Baden-Württemberg hier im innerdeutschen Vergleich sehr unzufriedenstellend ab:

Die Exklusionsquote im Bildungssystem zwischen den einzelnen Bundesländern geht sehr stark auseinander: In Bremen lag sie zuletzt bei 0,9 Prozent, in Sachsen-Anhalt bei 6,5 Prozent. Auch Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg verfügen über hohe Exklusionsquoten. In vier Bundesländern - dazu gehört u.a. Baden-Württemberg - ist sie in den letzten zehn Jahren zudem wieder angestiegen. Diese haben sich damit immer weiter von der Umsetzung eines inklusiven Schulsystems entfernt.

Diese im Widerspruch zu Deutschlands menschenrechtlicher Verpflichtung stehenden schleppenden und zum Teil stagnierenden Entwicklungen verhindern eine diskriminierungsfreie Umsetzung des Rechts auf Bildung und die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen.

Mithilfe von Exklusionsquoten und ihrer Entwicklung (sowie weiterer Prozess- und Strukturindikatoren) lassen sich Ländergruppen bilden, mittels derer darstellbar ist, welche Länder die zentralen Verpflichtungen aus Artikel 24 UN-BRK erfüllen und welche systematisch dagegen verstoßen. Die Bundesländer mit niedriger Exklusionsquote beschulen im Verhältnis den geringsten Anteil von Kindern und Jugendlichen in sog. "Förderschulen".

Eine Prognose ist dramatisch: In Deutschland ist bis 2030/2031 mit keiner Trendwende zu rechnen. Nach einer Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz ist bundesweit von einer Stagnation der Exklusionsquote bei einem Wert von 4,2 Prozent bis zum Schuljahr 2030/2031 auszugehen. In Baden-Württember lag dieser Wert zum Erhebungszeitpunkt bei 5,3!

 

Mögliche Lösungen aus Sicht der Verfasser*innen:

Aus Sicht der Verfasser*innen des Berichts muss der Bund "aus völkerrechtlicher Sicht seine Handlungspflicht, die er mit Ratifizierung der Konvention eingegangen ist, nachkommen. Dazu gehört auch, mittels einer nachhaltigen Gesamtstrategie, die als Kernelement eine Stärkung der Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsföderalismus enthält, stärkere Anstrengungen zur Verwirklichung eines inklusiven Schulsystems zu unternehmen."

Eine weitere Lösung liegt nach dem Bericht darin, dem Bund zusätzlich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Schulwesen in Artikel 74 GG, beschränkt auf die „Grundsätze“ eines inklusiven Schulsystems, zu gewähren, wobei die Länder weitreichende Gestaltungskompetenzen behielten. Zum anderen kommt eine Grundgesetzänderung durch eine Ergänzung von Artikel 91b GG in Betracht, um Standards im Rahmen der Gemein schaftsaufgabe zur Schaffung eines inklusiven Bildungswesens anzugleichen und auszuweiten sowie ein inklusives Schulsystem langfristig in Form von Mitverwaltungs- und Mitfinanzierungskompetenzen von Bund und Ländern zu fördern, die den Ländern langfristig mehr finanzielle Ressourcen und Unterstützung bei der Umsetzung zusichern.

Den gesamten siebten Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland des Deutschen Instituts für Menschenrechte finden Sie hier in der Anlage.

 

Ansprechperson
siebter Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland des Deutschen Instituts für Menschenrechte

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