Sozialverbände fordern Sicherung sozialer Infrastruktur in der Region Neckar-Alb

Pressemitteilung - geschrieben am 23.06.2023 - 16:16

Tübingen 24.06.2023 Steigende Kosten und akuter Personalmangel stellen soziale Organisationen vor große Herausforderungen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Unterstützung von benachteiligten Menschen ständig an. In der Region Neckar-Alb liegt die Armutsquote bei 12,9 Prozent (Quelle: Aktualisiertem Paritätischer Armutsbericht 2022) und die Kinderarmut (U18) bei 18,4 Prozent. Deshalb fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg und soziale Organisationen des Paritätischen Regionalverbundes Neckar-Alb konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut. Wohnungen aus dem Bestand müssen wieder einer Sozialbindung zugeführt werden. Dazu bedarf es dringend geeigneter Programme auf kommunaler und Landesebene. Außerdem ist eine Anpassung der kommunalen Freiwilligkeitsleistungen an die steigenden Kosten erforderlich. Eine fehlende Kostenkompensation gefährdet die bestehende soziale Infrastruktur und die Versorgungssicherheit für Menschen mit Hilfe- und Unterstützungsbedarfen in der Region Neckar-Alb, so die Verbände.

Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg

„Immer häufiger müssen soziale Einrichtungen und Dienste Leistungen und Angebote zurückfahren, weil die steigenden Ausgaben und sinkenden Erträge nicht mehr wirtschaftlich gestemmt oder kein Personal gefunden werden kann. Zudem sind kleinere freie Träger in der Regel zuwendungsfinanziert und damit auf die freiwilligen Leistungen ihrer Kommune und zusätzliche Projektmittel sowie Spenden angewiesen. Gleichzeitig wachsen die gesetzlichen Anforderungen - wie beispielsweise die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes - bei immer knapper werdenden öffentlichen Mitteln stetig an. Die Politik ist deshalb gefordert und im Sinne der Daseinsvorsorge dazu verpflichtet, die Finanzierung sozialer Einrichtungen und Dienste zu sichern. Kommunale „Freiwilligkeitsleistungen“ sind deshalb aus unserer Sicht „Selbstverständlichkeitsleistungen“, die verbindlich und unabhängig von der jeweiligen Haushaltslage, geleistet werden müssen. Damit kann die soziale Infrastruktur vor Ort mit einer Vielfalt an Anbietern und individuellen, bedarfsgerechten Angeboten nah bei den Menschen gewährleistet werden.“

Dr. Matthias Hamberger, Leiter der kit jugendhilfe, Tübingen

„In Deutschland ist mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren von Armut bedroht. Auch für Tübingen trifft dies zu. Im Rahmen des Projekts des Paritätischen SILKYplus entwickeln wir in Tübingen in drei LABs neue Ideen zur Armutsprävention und gerechterer Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. Eine Grundvoraussetzung ist qualitativ guter und bezahlbarer Wohnraum. Im LAB „Armut und Wohnen“ haben wir zur Erleichterung der Wohnungssuche eine Broschüre „Wie finde ich eine Wohnung in Tübingen?“ mit Tipps und Tricks für junge Menschen erstellt. Eine mobile Werkstatt bestehend aus ehrenamtlichen Helfer*innen bietet armen Familien Unterstützung bei einfachen Reparatur- und Dienstleistungen an. Den Bedarfen von Wohnungslosigkeit bedrohter oder obdachlos gewordener Jugendlicher gehen wir gemeinsam mit anderen Akteur*innen der Jugendsozialarbeit nach. Im LAB „Niedrigschwellige Beschäftigung für Jugendliche / berufliche Orientierung" können Jugendliche, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht am Schulalltag oder an einer Ausbildung teilnehmen können in der ZukunftsWerkstatt des Berghofs Selbstwirksamkeit und sinnhafte Arbeit in Kombination mit Kontakt zu Tieren erleben. Im LAB „Jugendarmut skandalisieren“ machen wir Armut auf politischer und Verwaltungsebene durch die Neubelebung der AG Jugend des Runden Tisches Kinderarmut in Tübingen und die Sensibilisierung von Fachkräften als Multiplikator*innen zum Thema. Ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung steht allen Kindern und Jugendlichen zu.“

Armin Bachmeyer, Geschäftsführer der ABA Ausbildungs- und Berufsförderungsstätte Albstadt e.V.

„Unsere Vermittlungsquote in Arbeit liegt zwischen 70 und 100 Prozent. Und wer nach den Ausbildungsmaßnahmen die erforderlichen Fachkompetenzen aufweist, kann im Anschluss auch eine Vollausbildung draufsetzen. Insofern wird dieses Ausbildungsangebot auch den vielfältigen Facetten der Bedarfe junger Geflüchteter gerecht und ermöglicht diesen jungen Menschen die raschere Vermittlung in Ausbildung und Arbeit. Laut Gesetz (SGB III) haben aber nur Jugendliche mit einer Lernbehinderung einen Anspruch auf diese Bildungsmaßnahme. Deshalb fordern wir, den Rechtskreis auch für Geflüchtete zu erweitern und das gesetzlich zu verankern. Um auch die Finanzierung zu sichern, muss die Agentur für Arbeit mit den erforderlichen Fördermitteln ausgestattet werden.“

Michael Wandrey, Vorsitzender des Stiftungsvorstands der Karola-Bloch-Stiftung Hilfe zur Selbsthilfe, Reutlingen

„Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf haben derzeit auf dem Wohnungsmarkt in der Region Tübingen-Reutlingen kaum eine Chance, eigenständig bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die derzeitigen verstärkten Bemühungen zur Intensivierung des Neubaus von Sozialwohnungen sind zu begrüßen, greifen aber nur langfristig und sind nicht geeignet, zeitnah der akuten Mangelsituation am Wohnungsmarkt entgegenzuwirken. Es bedarf daher dringend geeigneter Programme auf kommunaler und Landesebene, mit dem Ziel, Wohnungen aus dem Bestand wieder einer Sozialbindung zuzuführen. Die Aktivitäten des WohnWerks, für die Klient*innen von Mitgliedseinrichtungen systematisch Mietwohnraum zu suchen und ohne eigene Gewinninteressen an- und weiterzuvermieten sowie das Wohnverhältnis auch über die Dauer der Betreuung hinaus zu sichern, kann allenfalls Impulse für weitergehende Handlungsstrategien zur Bekämpfung der sich immer weiter verschärfenden Wohnungsnot unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen liefern.“

Andreas Karl Gschwind, Leitung der Paritätischen Regionalgeschäftsstelle Neckar Alb

Der Paritätische Regionalverbund Neckar-Alb als Allianz der drei weiterhin eigenständigen Kreisverbände Reutlingen, Tübingen und Zollernalb besteht jetzt seit drei Jahren und vertritt  rund siebzig Mitgliedsorganisationen und mehr als hundertsiebzig zugehörige soziale Dienste und Einrichtungen mit tausenden haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden. Gemeinsam treten wir in der Region für gesellschaftliche Werte wie Vielfalt, Offenheit und Toleranz sowie die stellvertretende Artikulation von Interessen Betroffener auf sozialpolitischer Ebene ein. Dabei ist uns die Stärkung der Gemeinnützigkeit und Gemeinwohlorientierung - professionell, flächendeckend, nah an den Menschen und frei von Profitinteressen - wichtig. Deshalb wird auf Kreisverbandsebene eng mit der Liga der freien Wohlfahrtspflege und damit den anderen Wohlfahrtsverbänden kooperiert.“

Pressekontakte:

kit jugendhilfe, Tübingen, Dr. Matthias Hamberger, Tel. 07071/567110, E-Mail: matthias.hamberger@kit-jugendhilfe.de

ABA Ausbildungs- und Berufsförderungsstätte Albstadt e.V., Armin Bachmeyer, Telefon 07432 - 208-100, E-Mail: armin.bachmeyer@aba-albstadt.de

Verein WohnWerk, Michael Wandrey, Tel. 07121/3878950, E-Mail: m.wandrey@hilfezurselbsthilfe.org

 

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