Soziale Arbeit braucht mehr als nur Applaus!

Pressemitteilung - geschrieben am 19.02.2021 - 11:01

Stuttgart 19.02.2021   Wie ein Brennglas hat die Corona-Pandemie soziale Schieflagen und Ungerechtigkeiten sichtbar gemacht und sozial benachteiligte Menschen weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Mehr denn je zeigen sich der Wert und die Systemrelevanz sozialer Arbeit und sozialen Engagements. Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg appelliert an die Politik, es nicht bei  Boni und Applaus zu belassen, sondern bessere Arbeitsbedingungen und Löhne für soziale Berufe zu schaffen.

„Die Pandemie hat deutlich zur gesellschaftlichen Spaltung in diesem Land beigetragen“, sagt Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. „Menschen in prekären Lebensumstände sind durch die Schließung zahlreicher Einrichtungen zusätzlich vereinsamt und noch weniger als sonst in der Lage, den immer teureren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es sind die Mitarbeitenden in den sozialen Einrichtungen und Diensten, die alles Menschenmögliche tun, um die Betroffenen aufzufangen und ihnen die Hilfe und Unterstützung zu geben, die sie brauchen. Sie halten die sozialen Hilfenetze im Land am Laufen und tragen gemeinsam mit dem Ehrenamt wesentlich zur Bewältigung der Krise und mehr Solidarität in der Gesellschaft bei“, so Wolfgramm. Jetzt sei es an der Politik, Konsequenzen aus der Systemrelevanz sozialer Arbeit zu ziehen. Boni und Applaus reichten dafür nicht aus. „Soziale Berufe müssen endlich durch bessere Arbeitsbedingungen und Löhne aufgewertet werden“, appelliert die Vorstandsvorsitzende. In der Pflege allerdings dürfe das nicht dazu führen, dass die Eigenanteile der Pflegekunden noch weiter steigen, dass man also die eine Bedürftigkeit gegen eine andere ausspiele. Hier sei ein Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung erforderlich: „Pflege darf nicht zu Armut führen, weder bei den Pflegenden, noch bei den Pflegebedürftigen“, so Wolfgramm.

„Seit Monaten arbeiten die Pflegekräfte in Altenhilfeeinrichtungen am Limit und tun alles, um den Bewohner*innen in den Heimen die derzeitige Situation erträglich zu machen und so viel Normalität wie möglich im Pandemiealltag zu erhalten. Was sie tagtäglich motiviert, ist die Dankbarkeit und Wertschätzung, die sie in ihrer täglichen Arbeit von den Senior*innen und deren Angehörigen erfahren“, betont Frank Ulrich, Geschäftsführer der Paritätischen Sozialdienste gGmbH. Es sei aber außer Frage, dass die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden müsse. Die Arbeitsbedingungen und Bezahlung müssten verbessert und der Personalschlüssel in den Heimen erhöht und flexibel sein. Die vom Gesetzgeber vorgegebene Aufteilung zwischen Pflegefachkräften und Pflegehelfer*innen zu je 50 Prozent gehe am Bedarf vorbei. Wir benötigen in den Heimen einen der Pflegesituation angepassten Personalmix von Fach- und Hilfskräften, hierbei sollten auch verschiedenste Berufsgruppen aus dem Bereich der Pflege Berücksichtigung finden und als Fachkraft anerkannt werden“, so Ulrich. Um mehr junge Menschen in Baden-Württemberg für eine Pflegeausbildung zu gewinnen, müsste der Beruf an Attraktivität gewinnen, hier ist in erster Linie die Politik gefragt, denn diese muss sich noch stärker dafür Einsätzen, dass sich die Rahmenbedingungen und die Finanzierung der Pflege ändern.

„Heilerziehungspfeger*innen (HEP) gehören zahlenmäßig zur größten Berufsgruppe in den Wohnangeboten für Menschen mit Behinderung. Die beruflichen Anforderungen sind vielfältig und die Arbeitsbedingungen sehr belastend“, sagt Achim Hoffer, Geschäftsführung beim Körperbehinderten-Verein Stuttgart e.V.. Pflegerische und pädagogische Assistenz und die Begleitung der Menschen im Bereich ihrer allgemeinen Lebensführung stellen ihre Hauptaufgaben dar. Dazu gehören Dinge wie die Verwaltung der persönlichen Finanzen, gemeinsame Einkäufe für den täglichen Bedarf, die Assistenz bei den verschiedensten Freizeitaktivitäten oder auch bei Arztterminen. Und sie ermöglichen es den Menschen, trotz körperlicher Einschränkungen, ihren jeweils dem Alter entsprechenden Bedürfnissen nachzugehen: Ob das die Kinder sind, die auf ihren Spielplatz wollen oder junge Erwachsene, die es in die Disco zieht oder ins Kino, Kleider shoppen und vieles mehr“, so Hoffer. Die jeweilige Assistenz so zu gestalten, dass die Menschen an der Gesellschaft teilhaben können, ohne dabei begrenzt, manipuliert oder bevormundet zu werden, verlange ein sehr hohes Maß an Einfühlungsvermögen und ständiger Selbstreflexion. „Wir brauchen ausreichend Heilerziehungspfleger*innen um Menschen mit Behinderung ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Deshalb muss der Beruf durch eine bessere Bezahlung aufgewertet werden. Mit dem derzeitigen Gehalt lässt sich eine mehrköpfige Familie nicht ernähren“, so Hoffer. 
 
Die Unterstützung und die Begleitung durch den Körperbehinderten Verein Stuttgart bedeutet für mich „ein gutes Leben leben“. Konkret bedeutet das für mich, die Unterstützung zu bekommen, die mir ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Hierzu zählen neben der sozialpädagogischen Unterstützung, auch die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gesellschaft, ob bei Begleitung zu Ärztinnen oder beim Besuch von Freizeitangeboten. Man hat einen verlässlichen Partner zur Seite“, betont Sven Fichtner, Bewohner im ambulant betreuten Wohnen vom Körperbehinderten-Verein Stuttgart e.V.Es wird auf meine individuellen Bedürfnisse eingegangen und so wird auch das Erreichen von meinen persönlichen Zielen, durch die flexible teilweise auch zeitaufwendige Unterstützung ermöglicht. Man ist hier Mensch und nicht nur eine „Kundennummer“, dies spürt man jeden Tag, egal zur welcher Uhrzeit oder auch am Wochenende, durch die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das was hier tagtäglich geleistet wird (nicht nur in Zeiten von Corona) ist absolut WertARBEIT und verdient definitiv mehr als nur Applaus – Die fehlende Wertschätzung der Politik für diese Arbeit ist ein unakzeptabler Zustand – Hier muss endlich etwas passieren“, so Fichtner.

„Der überwiegende Teil der älteren Menschen ist nicht pflegebedürftig, benötigt aber zunehmend Unterstützung und Hilfe, um im Alltag zurecht zu kommen und die Lebensqualität zu erhalten. Ohne einen starken Ausbau bürgerschaftlicher Selbsthilfestrukturen wird es nicht möglich sein, dies Problem zu beheben. Auf rein ehrenamtlicher Basis wird dies aber nicht funktionieren“, sagt Josef Martin von der Seniorengenossenschaft Riedlingen, selbst ehrenamtlich stark engagiert. Menschen könnten nur dann ausreichend motiviert werden, wenn hierfür eine Aufwandsentschädigung gewährt werde. „Wir brauchen zwingend, ergänzend zur klassischen Arbeitswelt, eine neue Form bürgerschaftlicher Arbeitsstrukturen. Die Politik lässt uns hier leider weitgehend im Stich. Statt die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern wird zunehmend regelnd eingegriffen, was viele Bürger demotiviert und von einer Mitwirkung abhält. So werden unsere Zukunftsprobleme in diesem Bereich nicht zu lösen sein“, so Martin. Es bestehe die große Gefahr, dass viele Ältere nicht mehr die zwingend notwendige Versorgung zu Bedingungen erhalten, die für sie leistbar sind.

Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg fordert darüber hinaus, eine sichere und verbindliche Finanzierung sozialer Einrichtungen und Dienste und bessere Rahmenbedingungen für das Ehrenamt.

Weitere Pressekontakte:

Körperbehinderten-Verein Stuttgart e.V., Achim Hoffer, Geschäftsführung, Tel. 0711/24 83 74 -110, E-Mail: a.hoffer@kbv-stuttgart.de

Paritätische Sozialdienste gGmbH, Frank Ulrich, Geschäftsführer, Tel.0711/6996678-52, E-Mail: ulrich@pasodi.de

Paritätische Sozialdienste gGmbH, Tamta Paul, Wohnbereichsleitung und Pflegefachkraft, Tel. 0711/7 61 01-000, E-Mail: paul@pasodi.de

Seniorengenossenschaft Riedlingen, Josef Martin, E-Mail: info@martin-riedlingen.de

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