Stuttgart 25.10.2024 Rund 900 Geflüchtete konnten beraten und davon 25 Prozent in Arbeit, Ausbildung oder Schule vermittelt werden. Diese positive Zwischenbilanz zieht die Werkstatt PARITÄT nach zwei Jahren Projektlaufzeit von NIFA plus - Netzwerk zur beruflichen Teilhabe von Geflüchteten. Vermittelt wurde vor allem in Dienstleistungsbranchen wie Friseurgewerbe, Steuergewerbe, produzierendes Gewerbe, aber auch in das Gesundheits- oder Sozialwesen. Beraten und unterstützt wurden die Teilnehmenden bei der Berufswegeplanung, der Berufsorientierung und zu Praktika, sprachlichen Qualifizierung, Anerkennung von Bildungsabschlüssen und beruflichen Qualifikationen, aufenthalts- und beschäftigungsrechtlichen Fragen, Bewerbungsmanagement oder bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mittels der überregionalen Fachberatungsstelle NIFA plus konnten 570 Arbeitgebende und Multiplikator*innen geschult, sowie knapp 160 Fachberatungen für Arbeitgebende, (Arbeits-)Verwaltung, Sozialarbeitende und Ehrenamtliche durchgeführt werden.
„Ein wesentlicher Grund für den Erfolg von NIFA plus ist die ganzheitliche, stufenweise und langfristige Beratung und Begleitung von Geflüchteten und Betrieben auch noch nach der Aufnahme der Beschäftigung. So kann Abbrüchen vorgebeugt und eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration mit Bleibeperspektive gefördert werden“, erklärt Lea Engisch, Projektkoordinatorin NIFA plus bei der Werkstatt PARITÄT. Insgesamt bestehe eine sehr hohe Nachfrage bei der Beratung zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten sowohl seitens der Geflüchteten selbst, aber auch auf Seiten der Arbeitgebenden, öffentlichen Verwaltung, Beratungsstellen und auch Flüchtlingshilfe. „Dies begründet sich vor allem in der komplexen Rechtslage beim Zugang zum Arbeitsmarkt und entsprechenden Förderinstrumenten. Hinzukommen vielerlei strukturelle Herausforderungen, wie die Überlastung der Behörden, fehlende Sprachkursplätze und Kinderbetreuungsangebote, die leider eher zunehmen als weniger werden“, so Engisch. Auch die gesellschaftliche Stimmung im Hinblick auf Migration und die Integration von Geflüchteten spiele eine Rolle. Allein im Hinblick auf den hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Druck was die Fachkräftegewinnung und -sicherung betrifft, brauche es dringend mehr berufliche Teilhabe von Geflüchteten.
„Wir als ein Teilprojektpartner am Standort Stuttgart konnten in den letzten zwei Jahren 37 Menschen mit Fluchtgeschichte in eine Ausbildung oder Arbeit vermitteln. Der weit größere Teil der Teilnehmenden wurde oder wird zu arbeitsmarktnahen und beschäftigungsvorbereitenden Themen wie Sprachkursen, Zeugnisanerkennung und rechtlichen Fragen zum Arbeitsmarktzugang von geflüchteten Menschen in oder nach dem Asylverfahren beraten“, sagt Julie Leube, Projektmitarbeiterin NIFA plus – Netzwerk zur beruflichen Teilhabe von Geflüchteten beim AGDW e.V. in Stuttgart. „Als eine der aktuell größten Schwierigkeiten sehen wir die „Verwaltungskrise“ an, welche durch Unterbesetzung und überbürokratische Abläufe beispielsweise in der Ausländerbehörde dazu führt, dass Menschen aufgrund monatelang dauernder Arbeitserlaubnisverfahren im Sozialleistungsbezug verharren, weil sie keine Beschäftigung aufnehmen und im Ergebnis auch nicht in die Sozialkassen einzahlen können. Erschwerend kommt hinzu, dass viele geflüchtete Menschen eine Wohnsitzauflage haben, sodass sie nicht in Regionen ziehen können, in denen Wohnraum zur Verfügung steht“, so Leube. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine gelingende Integration seien gut vernetzte Unterstützungsstrukturen sowie eine funktionierende öffentliche Verwaltung.
„In Zeiten von Arbeits- und Fachkräftemangel, niedrigem Wirtschaftswachstum und Demokratiegefährdung ist es wichtiger denn je, das Thema Integration in den Fokus der Debatte zu stellen und Zuwanderung positiv zu besetzen. Statt Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, muss das vorhandene Potential von Geflüchteten, die sich bereits in unserem Land befinden, stärker berücksichtigt und ihre Qualifikationen entsprechend anerkannt werden“, betont Nathalie Wollmann, Referentin für Migration, Vielfalt und Demokratie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg. Eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt entlaste nicht nur das Sozialsystem, sondern wirke sich auch stabilisierend auf die negative Haltung gegenüber Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus und stärke unsere Demokratie. „Statt eine Arbeitspflicht zur gemeinnützigen Arbeit zu diskutieren, müssen sich die Debatten wieder damit befassen, wie viele qualifizierte Menschen in unserem Land aufgrund der Gesetzeslage und des Bürokratismus daran gehindert werden, auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich Fuß zu fassen“, so Wollmann.
Wichtiger Hinweis an die Redaktionen: Zwei Teilnehmende am Projekt NIFA plus beim AGDW e.V. in Stuttgart stehen für Interviews bereit:
Herr G., 33 Jahre, Buchhalter mit einem Bachelor-Abschluss im Fach Wirtschaftswissenschaften und fünf Jahren Berufserfahrung im Finanzverwaltungsbereich floh 2021 mit seiner Frau und seinem 4-jährigen Sohn aus Bergkarabach in Armenien nach Deutschland. Da die Anerkennung seiner Qualifikation langwierig, teuer und das Ergebnis ungewiss ist, beginnt er 2023 eine Ausbildung als Kaufmann für Büromanagement bei „VDW Sicherheit“. Obwohl das Unternehmen Herrn G. gerne nach der verkürzten Ausbildung übernehmen würde, ist seine aufenthaltsrechtliche Situation weiterhin ungewiss. Frau E. kommt im März 2020 mit einem Visum nach Deutschland, um im Rahmen ihrer Doktorarbeit ein Praktikum beim Max-Planck- Institut zu absolvieren. Corona bedingt und aus familiären Gründen kann sie nicht in ihre Heimat zurück. Einen dualen Master-Studienplatz kann sie nicht antreten, da ihr Asylverfahren negativ abgeschlossenen wurde. Inzwischen absolviert sie eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten in einer Stuttgarter Steuerberatungsgesellschaft, doch auch hier sind Anträge auf Ausbildungsduldung und -erlaubnis noch nicht entschieden. Bei Interesse wenden Sie sich bitte direkt an AGDW e.V., Julie Leube, E-Mail: julie.leube@agdw.de.
Hintergrundinformationen:
Projekt „NIFA plus - Netzwerk zur beruflichen Teilhabe von Geflüchteten (01.10.2022 – 30.09.2026)
Das Projekt „NIFA plus: Netzwerk zur beruflichen Teilhabe von Geflüchteten“ wird im Rahmen des Programms „WIR − Netzwerke integrieren Geflüchtete in den regionalen Arbeitsmarkt“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert. Projektträger ist die Werkstatt PARITÄT gemeinnützige GmbH, eine 100-prozentige Tochter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg. Es gibt 9 Teilprojektpartner aus den Bereichen Migrations- u. Flüchtlingsberatungsstellen, Qualifizierungs- und Beschäftigungsträger, öffentliche Verwaltung und Sozialunternehmen in den Städten Stuttgart, Pforzheim und den Landkreisen Tübingen, Hohenlohe und Main-Tauber. Weitere Infos unter https://www.werkstatt-paritaet-bw.de/projekt/nifa-plus
Pressekontakt: Lea Engisch, E-Mail: engisch@werkstatt-paritaet-bw.de
AGDW e.V.
Der Stuttgarter Verein AGDW e.V. – Arbeitsgemeinschaft für die eine Welt e. V. ist Teilprojektpartner am NIFA plus-Standort Stuttgart, berät und betreut geflüchtete Menschen in Unterkünften, Fachberatungsstellen und übernimmt Vormundschaften für unbegleitete minderjährige geflüchtete Menschen. Er wurde 1974 mit dem Ziel gegründet, vorübergehend oder dauerhaft in Deutschland lebende Menschen mit Flucht- sowie Migrationsgeschichte zu beraten und zu unterstützen und feiert in diesen Tagen sein 50-jähriges Bestehen. Weitere Infos unter https://agdw.de/. Pressekontakt: Julie Leube, E-Mail: julie.leube@agdw.de
Werkstatt PARITÄT
Die Werkstatt PARITÄT ist eine der zentralen Stellen für die Entwicklung innovativer Projekte im sozialen Sektor in Süddeutschland. Als hundertprozentige Tochtergesellschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg sind wir an der Seite eines starken Partners und sind bestens vernetzt. Der Paritätische Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist weder konfessionell, weltanschaulich noch parteipolitisch gebunden. Der Verband steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg über 930 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2.000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte und 80.000 Hauptamtliche. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de