Gewaltschutz ist Pflicht und keine Kür

Pressemitteilung - geschrieben am 17.11.2024 - 21:45

Karlsruhe 18.11.2024 Laut Kriminalstatistik 2023 stieg in Baden-Württemberg die Zahl der registrierten Fälle von häuslicher Gewalt gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent auf 16.400 Fälle. Dem gegenüber steht ein lückenhaftes und unterfinanziertes Hilfesystem. Laut Istanbul-Konvention fehlen bundesweit ca. 14.000 und in Baden-Württemberg ca. 2.000 Frauenhausplätze. Zudem fehlt es an Fachberatungsstellen und deren bedarfsgerechten Ausstattung. Gewaltschutz ist aktuell eine Freiwilligkeitsleistung, die der kommunalen Selbstverwaltung obliegt. Deshalb ist die Versorgungslage im Land äußerst heterogen. Der Bund wollte hier Abhilfe schaffen und durch ein Gewalthilfegesetz einen Rechtsanspruch schaffen. Sollte das Gesetzesvorhaben scheitern, fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg und Karlsruher Frauenhäuser, die Finanzierung des Hilfesystems für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder landesweit einheitlich zu regeln.

Staatssekretärin Dr. Ute Leidig betont:

„Ein gewaltfreies Leben ist die Voraussetzung für ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben und es ist ein Menschenrecht. Daher ist ein wichtiges Anliegen der Landesregierung, allen von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern im Land Zugang zum Hilfesystem zu ermöglichen. Entsprechend unterstützt das Land die Kommunen bei der Finanzierung und dem Ausbau des bestehenden Hilfesystems durch freiwillige Landesförderungen in Höhe von rund 12 Millionen Euro jährlich. Davon fließt die Hälfte in die Finanzierung der Frauen- und Kinderschutzhäuser.“

Bürgermeister Martin Lenz, Stadt Karlsruhe teilt mit:

„Bereits seit vielen Jahren arbeitet eine beeindruckende Allianz aus verschiedenen Berufsgruppen und Institutionen in Karlsruhe vernetzt zusammen, um Gewalt zu verhindern und Opfer bestmöglich zu schützen. Die zahlreichen Formen von Gewalt und Diskriminierung, wie sie auch in der Istanbul-Konvention benannt werden, fordern uns heraus, in unseren Bemühungen nicht nachzulassen. Besonders hervorzuheben ist, dass der Gemeinderat für die Einrichtung einer eigenen Koordinierungsstelle gestimmt hat und Karlsruhe damit zu einer Vorreiterin macht. Es ist wichtig, das Schweigen zu brechen, Wege aus der Gewalt sichtbar und leicht zugänglich zu machen und eine Kultur des Hinsehens und Helfens zu fördern.“

Dr. Katrin Lehmann, Referentin für Frauen und Mädchen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg betont:

Es steht im Ermessen der Kommunen, ob sie spezialisierte Angebote für Opfer, Täter und mitbetroffene Kinder von Gewalt einrichten und fördern. Und das fällt in den Städten und Landkreisen im Land unterschiedlich aus. Wir haben einerseits – vorwiegend in größeren Städten - ein eher starkes politisches Engagement, in vielen Regionen fehlt es jedoch an Schutzplätzen und Beratungshilfen. Anfang November wurde auf Bundesebene das Gewalthilfegesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Nicht zuletzt wegen des Scheiterns der Regierung, sondern auch wegen der Haushaltslage, werden aktuell dem Gesetzesvorhaben kaum noch Chancen eingeräumt. Wir fordern deshalb vom Land und den Kommunen sich bei Scheitern des Gewalthilfegesetzes auf Bundesebene über eine landesrechtliche Sicherung des Hilfesystems zu verständigen. Es gilt den Gewaltschutz im Land aus der Freiwilligkeit zu holen und die Kommunen zu unterstützen, ihrem Schutzauftrag nachzukommen.“

Ulrike Stihler, Geschäftsführerin des Vereins zum Schutz misshandelter Frauen und deren Kinder e.V. berichtet dazu:

„Die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder, die in unseren Beratungsstellen Hilfe suchen, profitieren unmittelbar von der Selbstverpflichtung der Stadt Karlsruhe. Sie können auch in den nächsten Jahren, ohne größere Wartezeiten, unkomplizierte und niederschwellige Beratungsangebote erhalten. Sie können uns weiterhin an allen Werktagen verlässlich erreichen. Für uns als Träger der Frauenberatungsstellen Häusliche Gewalt bedeutet die Selbstverpflichtung finanzielle Sicherheit und Unabhängigkeit von schwankenden Haushaltsmitteln. Dadurch können wir unseren Mitarbeiterinnen einen sicheren Arbeitsplatz bieten und nur damit finden wir qualifiziertes Fachpersonal. Wir können längerfristig planen und müssen nicht mit Arbeitsverdichtung durch wegfallende Stellen rechnen.“

Stefanie Sickinger, Frauenhausleitung Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Karlsruhe erläutert:

„Der Zugang zu den Frauenhäusern ist dagegen leider nicht niedrigschwellig und unbürokratisch. Durch die heterogene Finanzierung werden manche Betroffene von der Hilfe ausgeschlossen, oder es werden ihnen hohe Hürden in den Weg gestellt. Wir möchten als Frauenhäuser möglichst vielen Frauen Schutz bieten. Das ist uns jedoch nur möglich, wenn Aufenthalte von den entsprechenden Stellen vollumfänglich finanziert werden. Immer wieder müssen wir mit Jobcentern und Sozialämtern bundesweit über die Übernahme der Kosten verhandeln. Diese Zeit fehlt uns in der Begleitung der Frauen und Kinder. Immer wieder wird die Finanzierung abgelehnt und Frauen können nicht aufgenommen werden. Wir wünschen uns daher die Unterstützung der Stadt Karlsruhe durch eine Vorleistung der Kosten und die Übernahme der Verhandlungen zur Kostenerstattung mit den Herkunftskommunen der Frauen. Dieses System wird in anderen Kommunen bereits sehr erfolgreich praktiziert.“

Pressekontakte:

Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Karlsruhe, Stefanie Sikinger, Frauenhausleitung, E-Mail: info@skf-karlsruhe.de

Verein zum Schutz misshandelter Frauen und deren Kinder e.V., Ulrike Stihler, Geschäftsführerin, E-Mail: verwaltung@frauenberatungsstelle-karlsruhe.de

Hintergrundinformationen

Istanbul-Konvention

Das Europäisches Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der Bund, Länder und Kommunen zu umfangreichen Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Schutz- und Unterstützung, Recht sowie Koordinierung und Monitoring verpflichtet.

Das im Rahmen der Konvention vom Bund geplante Gewalthilfegesetz sieht einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung vor sowie eine bundeseinheitliche Frauenhausfinanzierung. Der Referentenentwurf wurde Anfang November 24 in die Ressortabstimmung gegeben. Aufgrund hoher Kosten und des Scheiterns der Regierungskoalition ist mit einer Realisierung des Gesetzes nicht zu rechnen.

Die kommunale Selbstverwaltung in Baden-Württemberg

Gewaltschutz gehört in Baden-Württemberg zu den kommunalen Freiwilligkeitsleistungen. Die 44 Landkreise und Städte stehen damit in einer besonderen Verantwortung für die Aufstellung des Hilfesystems. Karlsruhe ist hier eine Stadt mit Vorbildfunktion. Um dem zusätzlichen Bedarf gemäß der Istanbul-Konvention auf kommunaler Ebene zu begegnen, geht die Stadt Karlsruhe einen Sonderweg: Der Karlsruher Gemeinderat ist auf fünf Jahre (2019 – 2024) eine Selbstverpflichtung zur Sicherung des gegenwärtigen Leistungsstands im Bereich Schutz, Beratung und Prävention von Gewalt gegen Frauen eingegangen. Das heißt, die laufenden Haushaltsmittel bei den Hilfsangeboten für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder nicht zu kürzen und damit die Finanzierung zu sichern.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist konfessionell, weltanschaulich und parteipolitisch unabhängig. Er steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg über 930 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte und 80.000 Hauptamtliche. Ihm gehören 22 Frauenhäuser an. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de

 

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