Stuttgart 13.06.2024 Laut aktueller Bundeskriminalamtsstatistik 2023 ist die Zahl der Partnerschaftsgewalt gegenüber 2022 bundesweit um 6,4 Prozent und in Baden-Württemberg um 10 Prozent gestiegen. Der Anteil der betroffenen Frauen liegt bei 80 Prozent. Laut Istanbul-Konvention fehlen bundesweit ca. 14.000 Plätze in Frauenhäusern, in Baden-Württemberg sind es knapp 2.000. Ein bundesweites Gewalthilfegesetz soll nun das Recht auf Schutz und Beratung für von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder verbindlich regeln und den Ausbau der Frauenhausplätze und Beratungsangebote sowie die Täterarbeit fördern. Ein bundeseinheitlicher Rechtsrahmen soll zudem die Frauenhausfinanzierung sichern. Der Gesetzentwurf steht auf der Agenda der diesjährigen Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenminister*innen und –senator*innen (GFMK) der Länder, die am 13./14. Juni 2024 in Ludwigsburg tagt. Die paritätischen Landesverbände Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz und die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) fordern die Umsetzung eines Gewalthilfegesetzes und appellieren an Bund und Länder, trotz angespannter Haushaltslage ihrem Schutzauftrag nachzukommen und einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe mit einem einheitlichen Finanzierungsrahmen einzuführen.
Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg:
„Die alarmierende Zahl an Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft aus der neuen Bundeskriminalstatistik 2023 trifft auf ein lückenhaftes und unterfinanziertes Hilfesystem. Frauen müssen in gewaltbelasteten Partnerschaften ausharren, weil in den Frauenhäusern kein Platz frei ist. Außerdem sind Aufnahmen manchmal nicht möglich, weil die Finanzierungsgrundlage auf Sozialleistungen beruht, worauf nicht jede Frau einen Anspruch hat. Ein eklatanter Missstand, der seit vielen Jahren in allen Bundesländern beklagt wird. Schutz wird nicht gewährleistet, die Unterversorgung kostet Frauenleben und zerstört das Leben der immer mitbetroffenen Kinder. Nach einer aktuellen Kostenstudie (2022) lebten von rund einer Million akut gewaltbetroffener Frauen nur rund 14.000 in einem Frauenhaus und nur 14 Prozent erhielten Hilfe in einer Fachberatungsstelle. Bereits vor vielen Jahren wurde ein entschlossener Ausbau an Fachberatungsstellen gefordert. Doch befristete Modellprojekte oder Anpassungen der Fördersummen schaffen kein solides, verlässliches Hilfesystem. Der Streiterei um die Zuständigkeit für Ausbau und Finanzierung des Hilfesystems muss jetzt ein Ende bereitet werden. Gewaltschutz braucht ein Bundesgesetz, das verbindlich für alle Länder Vorgaben zur Vorhaltung eines bedarfsgerechten Hilfesystems macht.“
Arezoo Shoaleh, Pädagogische Leitung, Frauen für Frauen Ludwigsburg e.V.:
„Der Schutz von Frauen und Kindern vor Partnerschaftsgewalt ist in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die den Ausbau und die Finanzierung in der Bundesrepublik einheitlich regelt. Es ist den Ländern und Kommunen überlassen, das Hilfesystem aufzustellen und das gelingt nicht. Seit Jahrzehnten beklagen Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen die Missstände - zu wenig und zu schlecht finanziert. Die Kommunalisierung in Baden-Württemberg führte dazu, dass Frauenhausaufenthalte fast vollständig über Tagessätze finanziert werden, die mit durchschnittlich 60 Euro relativ hoch angesetzt sind. Bleiben Frauen mehrere Monate im Frauenhaus gibt es bei der Kostenübernahme häufig Streit. Sozialberichte werden gefordert, die die Notwendigkeit des weiteren Frauenhausaufenthaltes begründen. Manche Sozialämter kürzen die Tagessätze nach einem gewissen Zeitraum, andere schlagen als Alternative einen Platz in der Wohnungsnotfallhilfe vor. Finanzierungsausfälle und der Gang vors Sozialgericht kennt jedes Frauenhaus in Baden-Württemberg. Baden-Württemberg ist deshalb in besonderer Weise auf ein Gewalthilfegesetz angewiesen, das einen bundeseinheitlichen Rahmen für eine sichere Finanzierung für einen Frauenhausaufenthalt regelt.“
Sylvia Haller, Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser Bundesverband, Heidelberg:
„Seit es Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen gibt, ist deren Finanzierung unzureichend und nicht bundeseinheitlich geregelt. Dabei retten Frauenhäuser und Fachberatungsstellen Leben. Durch einzelfallbezogene Finanzierungsmodelle der Frauenhäuser müssen Gewaltbetroffene aber noch immer in einer absoluten Notsituation für die Finanzierung ihres Schutzes selbst sorgen. Für viele wird dadurch der Platz in einem Frauenhaus unbezahlbar – besonders dann, wenn kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht. Dies betrifft z.B. Student*innen, Rentner*innen, Frauen mit prekärem Aufenthaltsstatus oder Erwerbstätige. Der Bedarf an Schutz und Unterstützung besteht genauso für trans*, inter* und nicht-binäre Personen jeden Alters. Auch hier fehlen fast überall bedarfsgerechte Angebote. Der Schutz vor Gewalt ist keine Sozialleistung und auch keine freiwillige Leistung. Der Schutz vor Gewalt ist eine menschenrechtliche Verpflichtung. Daran müssen sich alle staatlichen Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) angemessen beteiligen. Die Realisierung eines Gewalthilfegesetzes und somit Schutz und Unterstützung für alle gewaltbetroffenen Frauen und deren Kinder ist jetzt möglich.“
Maria Mayer, Referentin für Frauen/Geschlechterpolitik/LGBTIQ, Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern:
„In Bayern stehen 13,4 Millionen Einwohner*innen 35 staatlich und 4 nicht staatlich geförderte Beratungsstellen zur Verfügung. Es gibt jedoch einen großen Unterschied von Kommune zu Kommune, wie viele Mitarbeiterinnen in den Fachberatungsstellen finanziert sind und zu welcher Form von Gewalt beraten wird (Partnerschaftsgewalt, sexualisierte Gewalt, gegen Frauen oder gegen Kinder). So gibt es spezialisierte Angebote gegen sexualisierte Gewalt oft nur in Großstädten und nicht flächendeckend, wie auch der GREVIO-Bericht 2022 kritisierte (S. 55). In Bayern gibt es beispielsweise in ganz Unterfranken nur drei Beratungsstellen und in Niederbayern zwei Beratungsstellen mit einer Außenstelle. Wir fordern eine bundesweite Verpflichtung über das Gewalthilfegesetz, die festlegt, dass in allen Kommunen wohnortnahe, niedrigschwellige Beratung vorgehalten werden muss, mit ausreichend personeller Ausstattung, die dafür sorgt, dass keine Wartelisten entstehen, und somit ein Recht auf Beratung für alle schafft.“
Ingeborg Heindl, Autonomes Frauenhaus Regensburg:
„Eine 2016 durchgeführte Bedarfsanalyse in Bayern kam zu dem Ergebnis, dass mindestens so viele Frauen abgewiesen werden, wie die Anzahl der Frauen die aufgenommen werden. Vor allem in den Städten und Ballungsräumen ist die Situation extrem. 2023 konnten z.B. im Frauenhaus Regensburg 133 Frauen aufgrund fehlender Plätze nicht aufgenommen werden. Eine untragbare Situation für die Gewaltbetroffenen und mitunter eine lebensgefährliche, wenn Frauen mit ihren Kindern durch mangelnde Plätze einer weiteren Gefährdungssituation zu Hause ausgesetzt sind. Keinen Frauenhausplatz zu finden nimmt den Frauen jede Möglichkeit der Entscheidung. Das darf nicht sein! Wichtig ist, dass Frauen, die Gewalt erleben, selbst bestimmen können, wo sie Schutz in einem Frauenhaus finden und wie weit dieser Schutz von ihrem Wohnort entfernt liegen muss. Für viele Frauen bleibt die Nähe wichtig – für viele ist eine weite Entfernung überlebenswichtig. Mit einem Gewalthilfegesetz können die bisher fehlenden zentralen und strategischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ja Gewaltschutz kostest Geld – und rettet Leben!“
Yvonne Rothenberger, Frauenhaus Donnersbergkreis, Rheinland-Pfalz:
„Die Istanbul- Konvention betont die Bedeutung präventiver Maßnahmen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen und legt Maßnahmen zur Prävention von Gewalt gegen Frauen und Mädchen fest. Prävention ist der nachhaltigste Gewaltschutz den wir leisten können. Was wir heute in evidenzbasierte fachlich informierte Prävention investieren, sparen wir später um ein Vielfaches in den Folgekosten in Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein. Es mangelt an finanziellen Ressourcen zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und an notwendiger Infrastruktur zur Unterstützung von Betroffenen. Die Umsetzung der Istanbul Konvention ist von großer Bedeutung, um Gewalt gegen Frauen wirksam zu verhindern.“
Hintergrundinformationen
Frauenhausfinanzierung in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg gibt es 44 Frauenhäuser, die alle eine eigene Leistungsvereinbarung mit ihrem Landkreis / Kommune haben. Es gibt einige Städte und Landkreise, die großzügig fördern und Frauenhäuser bürokratisch entlasten. Aber es gibt auch Landkreise, die Frauenhausaufenthalte befristen oder den Tagessatz nach einer gewissen Verweildauer senken. Es gibt Landkreise, welche keine Kosten für nicht-sozialleistungsberechtigte Frauen übernehmen, wie z.B. für Frauen in Ausbildung, Rentnerinnen, Frauen im ALG I Bezug. Die Rückforderung der Kosten bei den Herkunftslandkreisen wird meist dem Frauenhaus übertragen und die Notwendigkeit der Unterbringung muss wiederholt ausführlich begründet werden. Immer wieder bekommt ein Trägerverein die Kosten nicht oder nicht vollumfänglich erstattet. Der Fehlbetrag kann schnell in einen höheren fünfstelligen Bereich gehen und den Verein an die Grenze der Belastbarkeit bringen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg - gegründet 1948 - ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist konfessionell, weltan-schaulich und parteipolitisch unabhängig. Er steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. In den kommenden Jahren wird sich der Paritätische Baden-Württemberg verstärkt drei Strategiefeldern widmen: - Zusammenhalt in einer vielfältigen, inklusiven und demokratischen Gesellschaft - zukunftsfähige Lebensräume - Soziale Innovationen. Ihm sind in Baden-Württemberg über 900 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte und 80.000 Hauptamtliche. Ihm gehören 22 Frauenhäuser an. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de
Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF)
Die ZIF wurde 1980 gegründet und setzt sich seitdem gegen Gewalt gegen Frauen und für die Verbesserung der Situation von gewaltbetroffenen Frauen und deren Kinder ein. Die ZIF ist parteipolitisch und konfessionell unabhängig und koordiniert und moderiert den politischen und fachlich-konzeptionellen Austausch der Autonomen Frauenhäuser. Die ZIF ist die Stimme der Autonomen Frauenhäuser auf bundespolitischer Ebene und verfasst in deren Auftrag Stellungnahmen und begleitet Gesetzesvorhaben zu den Themen Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder und die Situation der Frauenhäuser. Die ZIF ist Mitglied im Deutschen Frauenrat und hat derzeit dort mit Sylvia Haller einen der Vorstandssitze inne. In dieser Funktion leitet sie den Fachausschuss zum Schwerpunktthema Gewalt gegen Frauen beenden- Zugang für alle zu Schutz, Hilfe & Unterstützung. Weitere Informationen unter: https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/
Pressekontakte:
Paritätischer Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, Hina Marquart, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 0172/7148625, E-Mail: marquart@paritaet-bw.de
Frauen für Frauen Ludwigsburg e.V., Arezoo Shoaleh, Pädagogische Leitung, Tel.: 07141-901170, E-Mail: a.shoaleh@frauenfuerfrauen-lb.de;
Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser Bundesverband, Sylvia Haller Tel.: 0176/70209612, E-Mail: info@zif-frauenhaeuser.de;
Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern, Susanne Engert, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Mobil: 0176/10220724, E-Mail: Susann.Engert@paritaet-bayern.de
Paritätischer Wohlfahrtsverband Rheinland-Pfalz, Calvin Starkes, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 06131/93680-11, E-Mail: Calvin.Starkes@paritaet-rps.org
Autonomes Frauenhaus Regensburg, Ingeborg Heindl, Tel.: 0941/24000, E-Mail info@frauenhaus-regensburg.de
Frauenhaus Donnersbergkreis, Rheinland-Pfalz, Yvonne Rothenberger, Tel.: 06352 – 4187, E-Mail: frauenhaus-kibo@gmx.de;