Stuttgart 03.03.2023 In Baden-Württemberg flüchteten 1.202 von Gewalt betroffene Frauen und 1.544 Kinder im Jahr 2021 in ein Frauenhaus. Das ergibt eine statistische Erhebung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg (2022). Doch nicht für alle ist der Aufenthalt im Frauenhaus gesichert. Täglich müssen schutzsuchende Frauen und ihre Kinder abgewiesen werden. Es mangelt an Plätzen und an einer lückenlosen Finanzierung der Plätze. Frauen, die keine Sozialleistungen beziehen oder aus einem anderen Landkreis kommen, haben Probleme, einen Aufenthalt refinanziert zu bekommen. Deshalb fordern der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg und Frauenhäuser anlässlich des Weltfrauentags (08.03.) Land und Kommunen dazu auf, gemeinsam ein solides Finanzierungskonzept und eine bedarfsgerechte Sozialplanung zum Schutz von allen gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern zu erstellen.
Dr. Katrin Lehmann, Referentin für Frauen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg:
„Jede von Gewalt betroffene Frau muss die Möglichkeit haben, zusammen mit ihren Kindern Zuflucht im Frauenhaus zu finden. Der Zugang muss niedrigschwellig und kostenfrei sein. Hier darf es keine Ausnahmen oder Einschränkungen geben oder der Aufenthalt an der Finanzierung scheitern. Wir brauchen ein verlässliches System, das die vielfältigen Finanzierungsprobleme von Frauenhausaufenthalten beseitigt. Das kann nur gelingen, wenn sich das Land mit den Kommunen auf verbindliche Regelungen für die Förderung einigt. Auch sind Gespräche zwischen den Kommunalen Landesverbänden und Vertretungen der Frauenhäuser in Hinblick auf einheitliche und rechtssichere Leistungsvereinbarungen und einer bedarfsgerechten Anpassung des Personalschlüssels dringend erforderlich. Kurzfristig fordern wir die Einrichtung eines sogenannten Ausfallfonds in Baden-Württemberg, aus dessen Budget der Frauenhausaufenthalt für all jene Frauen und Kinder übernommen wird, deren Aufenthalt nicht durch Sozialleistungen finanziert wird – sei es weil sie nicht leistungsberechtigt sind, sei es weil ihre Herkunftsgemeinde der Kostenübernahme durch freiwillige Leistungen nicht nachkommt. Zur Bundespolitik muss außerdem ein klares Signal ergehen, dass wir einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine einzelfallunabhängige Finanzierung der Frauenhäuser und Fachberatungsstellen brauchen.“
Arezoo Shoaleh, Pädagogische Leitung, Frauen für Frauen e.V. in Ludwigsburg:
„Das Land setzt sich dafür ein, dass neue Schutzplätze entstehen. Aber das Bundesprogramm zum Ausbau gestaltet sich so schleppend, dass sich manches Vorhaben im Land wohl nicht realisieren lässt. Auch unser Trägerverein will ein zweites Frauenhaus im Landkreis einrichten. Seit einem halben Jahr liegt der Antrag bei der Bundesservicestelle und wir hoffen, dass er nun endlich zügig bearbeitet wird. Neben dem Ausbau der Plätze braucht es auch eine Anhebung der Wohnqualität in den Frauenhäusern. Die beengten Wohnverhältnisse behindern die Stabilisierung der Frauen. Der Stresslevel in den Wohnfluren ist hoch. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass Frauen mehr Privatsphäre erhalten und sie künftig in geschützten Appartements leben können. Auch müssen zusätzliche Schutzräume für Frauen mit Behinderungen, psychischen Erkrankungen oder Suchtabhängigkeiten geschaffen werden. Sie sind besonders stark von Gewalt betroffen. Es versteht sich von selbst, dass die Betreuung dieser Frauen eine enge Begleitung mit starkem Personalschlüssel erfordert.“
Katja Schümer, Geschäftsführerin, Sozialdienst katholischer Frauen Stadt und Landkreis Karlsruhe e.V.:
„Jedes Frauenhaus verhandelt eine Leistungsvereinbarung und einen Tagessatz mit seinem Landkreis. Die Spannbreite der Tagessätze liegt zwischen 25 und knapp 90€. Das heißt Qualität und Personalschlüssel variieren stark. Dies ist besonders gravierend, wenn eine Frau aus einem anderen Landkreis oder Bundesland kommt.
Ein Jobcenter aus einem Landkreis mit „günstigem“ Frauenhaus will ungern die Kosten für eine Frau in einem „teureren“ Frauenhaus tragen. So streiten die Behörden über Erstattungen. Solange sie streiten, werden an vielen Orten die Rechnungen des Frauenhauses nicht beglichen. Wegen solcher Auseinandersetzungen in Bezug auf die Kostenerstattung sind manche Kommunen und Frauenhäuser dazu übergegangen, von auswärtigen Frauen eine Kostenübernahmeerklärung der Herkunftskommune vor der Aufnahme ins Frauenhaus zu fordern. Schutz bekommt die Frau dann nur, wenn ihre Heimatkommune vorher zustimmt. Das ist auch unter dem Aspekt der schlechten Erreichbarkeit der Ämter eine unzumutbare Hürde. Deshalb sollte die Finanzierung ihres Aufenthaltes verlässlich über die Herkunftskommunen erfolgen.“
Tanja Göldner, Leitung, Ökumenisches Frauenhaus Pforzheim:
„Den Personalschlüssel, den die Frauenhäuser mit ihren Landkreisen verhandeln können, reicht keineswegs für die Erfordernisse in der Betreuung der Frauen und Kinder aus. Aktuell ist kaum ein Haus besser als mit einem Stellenschlüssel von 1 : 8 Bewohner*innen in der Betreuung aufgestellt. In den letzten Jahren gelang es einem Frauenhausträger kaum, seine Personalsituation zu verbessern. Die Frauen und Kinder bringen häufiger multiplere Problemlagen mit, als das früher der Fall war.
Das Personal arbeitet am Anschlag! Immer mehr Aufgaben, die in den Jahren dazugekommen sind, müssen mit derselben Personalausstattung erfüllt werden.
Eine zusätzliche hohe Belastung für die Frauenhauskolleginnen stellt außerdem die Fragilität von Schutz dar. Viele Väter erwirken ein Umgangsrecht mit ihren Kindern, was wiederholt Gefährdungen der Frauen nach sich zieht. Das geht zu Lasten des Schutzes der Frauen, der Kinder und der Frauenhäuser. Gerichte dürfen das Umgangsrecht nicht über den Gewaltschutz stellen.“
Pressekontakte Frauenhäuser:
Frauen für Frauen e.V. in Ludwigsburg: Arezoo Shoaleh, Tel. 07144 22 08 70, E-Mail: info@frauenfuerfrauen-lb.de, www.frauenfuerfrauen-lb.de
Sozialdienst katholischer Frauen Karlsruhe e.V., Katja Schümer, Tel 0721 91375-0, E-Mail: schuemer@skf-karlsruhe.de, www.skf-karlsruhe.de
Ökumenisches Frauenhaus Pforzheim, Tanja Göldner, Tel. 07231 45 76 30, E-Mail: t.goeldner@frauenhaus-pforzheim.de, www.frauenhaus-pforzheim.de