Wo das Herz isst - Kochen international

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mehrere Frauen in einer Küche mit großen Töpfen
Das Sozialministerium unterstützt Kommunen und freie Träger gezielt bei lokalen Maßnahmen, um Frauen mit Migrationshintergrund teilhaben zu lassen.

Gehen Teilhabe und Demokratie durch den Magen, Frau Winter?
Auf jeden Fall! Essen hat mit Herkunft und Kultur zu tun. Es ist etwas höchst Persönliches, ein Stück Heimat, das in der Welt Sicherheit gibt. Wer am Tisch sitzt, vor einer leckeren Mahlzeit, kommt miteinander ins Gespräch und lernt sich Bissen für Bissen kennen. Das baut Vorurteile ab. Da setzt unser Projekt „Wo das Herz isst – Kochen international“ an. Frauen, die unsere  Integrationskurse besuchen und Deutsch lernen, kochen für geladene Gäste Rezepte aus ihrer Heimat.  Auch aus anderen Kursen, etwa unserem Nähcafé, kann man mitmachen. Das Ziel ist, Menschen aus der Zivilgesellschaft zusammenzubringen, die sich im Alltag normalerweise nicht begegnen.

Das bedeutet? 
Migrantinnen, die in Pforzheim leben mit Kindern und Familien, und Menschen aus der Nachbarschaft, der Kommunal- und Landespolitik, Mitarbeitende von Ämtern, etwa dem Jugend- und Sozialamt, Engagierte des internationalen Beirats kommen zusammen. Die Frauen sollen auch sehen, wer sie vertritt. Oft haben Menschen mit Migrationsgeschichte Angst vor Ämtern. So kann man Hemmschwellen abbauen. Der Mix  der Gäste macht’s.

Laden Sie Vertreter*innen aller Parteien ein?
Nur aller demokratischen Parteien!  In Pforzheim, Großstadt über 100.000 Einwohner, leben mehr  Menschen mit Migrationshintergrund als in Berlin-Neukölln: 58,5 Prozent. Und das zum allergrößten Teil in den Tallagen, sodass dort der Anteil der Menschen mit Migrationsgeschichte 70 Prozent beträgt. Sie sind oft von Sozialleistungen abhängig, haben keine gleichen Chancen. Es gibt dort mehr Armutsprojekte, mehr Rentner*innen, mehr Alleinerziehende. In den Höhenlagen, den guten und begehrten Wohnlagen, leben eher wohlhabende Pforzheimer. Kurz, die Stadtgesellschaft Pforzheims weist eine soziale und geographische Segregation auf. Diese Gruppen begegnen sich im Alltag wenig. An Stammtischen, in Vereinen findet man kaum mehr zusammen. Gleichzeitig ist Pforzheim eine junge Stadt, hat unter den baden-württembergischen Großstädten die höchste Geburtenrate. Zukunft bauen bedeutet, in Kinder zu investieren –  und deutlich zu machen, wie positiv gelebte Vielfalt wirkt.

Zeigt der hohe AfD-Anteil im Stadtrat: Migrant*innen gehen weniger wählen?
Ja – da sind wir bei Demokratie, Bildung und Teilhabe. Unser Projekt soll Dinge in Bewegung bringen, Brücken bauen, indem wir zu Tisch bitten in familiärer Atmosphäre, über das Essen miteinander ins Gespräch kommen. Da besteht gleiche Augenhöhe zwischen Gastgebern und den Gästen.

Wie lässt sich das bisher an?
Unsere Erfahrungen – nach nun fünf Kochabenden von insgesamt zehn –  sind durchweg positiv. Wir haben schon Stammgäste aus der Politik. Zehn bis fünfzehn Leute kommen meist zusammen, oft auch noch weitere Frauen aus unseren Kursen. Die Gäste dürfen mit schnippeln und mit rühren – sie lernen von den Frauen. Die Köchinnen stammen aus verschiedenen Herkunftsländern, etwa aus dem Iran, Irak, aus Afghanistan, der Türkei, der Ukraine. Das Land und seine  Esskultur ist Thema des Kochabends. Die Kursleiterinnen bereiten dies vor, üben Vokabeln mit den Frauen. Viele stehen erstmals vor anderen, halten ein Referat über ihr Land. Manche sind bei uns in Alphabetisierungskursen, holen Bildung nach. Auch sie wagen es, spüren Selbstwirksamkeit, Anerkennung, merken, dass sie Menschen begeistern können.

Nennen Sie Beispiele!
Die jesidischen Frauen hielten eine tolle Powerpoint-Präsentation. Die Syrerinnen führten Tänze vor, deren Bedeutung für die Gemeinschaft sie erläuterten. Zum Thema ‚vegetarische Gerichte des Orients’ kochten irakische und syrische Frauen gemeinsam. Die Rezepte liegen als Platzsets unter dem Teller, dürfen mitgenommen werden. Berichte und Bilder in den Medien über Zugewanderte, Geflüchtete, Migrant*innen schaffen Distanz, stigmatisieren Menschen als Fremde. Wenn man dagegen an einem Tisch sitzt, zusammen isst, sich erlebt, sich direkt authentisch austauscht, wird man differenzierter. Das ist durch nichts zu ersetzen.

 

  • Das Gespräch mit Doris Winter, Leiterin des Familienzentrums Au e.V. führte Petra Mostbacher-Dix, M.A., Journalistin, Kunsthistorikerin, Dozentin
Verständigung geht durch den Magen