Wie KI-Systeme mehr Teilhabe schaffen können

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eine Hand hält ein Smartphone mit dem Reiter AI auf dem Screen
Zwischen Desinformation und Mitbestimmung: Wie KI-Systeme Bürger*innen zu mehr Teilhabe verhelfen können

Wird über Demokratie und Künstliche Intelligenz (KI) diskutiert, werden oft die verheerenden Auswirkungen KI-basierter Desinformation betont: Vertrauensverlust in Medien und Institutionen, manipulierte politische Prozesse, vertiefte soziale Spaltungen. So gaben 84 Prozent der Befragten einer Forsa-Umfrage von 2023 an, dass KI-Anwendungen die Verbreitung von Desinformation beschleunigen. Auch eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung zeigt, dass fast 60 Prozent der Befragten den Einsatz von KI im Wahlkampf als „gefährlich“ erachten. 

KI ist eine komplexe Technologie, die Ängste lassen sich daher zum Teil mit den meist noch rudimentären Kenntnissen über diese Technologie erklären. Das gilt insbesondere für die Breite der Gesellschaft, aber selbst die über 600.000 zivilgesellschaftlichen Organisationen stehen vor strukturellen Hürden: Ihnen fehlen nicht nur Ressourcen, sondern oft auch der Zugang zu Fachwissen, Daten und strategischer Orientierung, während Industrie und Verwaltung es sich leisten können, zunehmend in KI investieren. 

Wie können KI-Anwendungen also trotz vorherrschender Skepsis und fehlenden Anwendungswissens aktiv dazu beitragen, Risiken zu reduzieren und die Demokratie zu stärken? Indem zum Beispiel KI-Systeme wie DeFaktS, die Bürger*innen dabei helfen, Fehl- und Desinformationen leichter zu identifizieren, bekannter werden. Sie stützen sich auf Datenbanken wie jene des CORRECTIV. Faktenforums – eines von zahlreichen KI-Projekten, die durch die ressortübergreifende Initiative „Civic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl“ von Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) und Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUKN) unterstützt werden. 

Aber auch in anderen demokratierelevanten Bereichen wie Partizipation, Inklusion, Wissensmanagement und zivilgesellschaftlichem Engagement bietet der Einsatz von KI-Anwendungen Chancen für eine demokratische (Zivil-)Gesellschaft. 

Annette von Wedel, Initiatorin des BMAS-Forschungsprojekts KIDD –  Künstliche Intelligenz im Dienste der Diversität

Es braucht eine Sensibilisierung auf breiter Ebene. Im Grunde muss in der Schule angefangen werden zu lernen, wie eine Software tickt, was die Bausteine sind und wo man kritisch hingucken muss.

Annette von Wedel, Initiatorin des BMAS-Forschungsprojekts KIDD – Künstliche Intelligenz im Dienste der Diversität

KI-Systeme für eine demokratische Gesellschaft

Die Förderung von Bürger*innen-Partizipation bietet zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für gemeinwohlorientierte KI-Anwendungen: Tools wie Make.org helfen dabei, Über- oder Unterrepräsentationen in Befragungen zu identifizieren – und können so perspektivisch digitale Konsultationsplattformen wie z. B. das Beteiligungsportal Baden-Württemberg verbessern. Andere gemein-wohlorientierte KI-Anwendungen wie KI-MoDi, das von Civic Coding unterstützt wurde, können in der Moderation von Online-Diskussionen eingesetzt werden, um beispielsweise konsensfähige Positionen der Diskussion herauszustellen und Polarisierungen entgegenzuwirken. 

Auch Recherchewerkzeuge wie das KI-System Parla aus Berlin oder der in Heidelberg für die öffentliche Verwaltung entwickelte Textgenerator F-13 können zur Förderung demokratischer Strukturen beitragen. Sie erfassen große Informationsmengen und können auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen flexibel angepasst werden – etwa durch Zusammenfassungen in einfacher Sprache. Ein weiteres Beispiel, um den Zugang zu relevanten Informationen und damit Gerechtigkeit durch Künstliche Intelligenz zu unterstützen, ist unter anderem der digitale Assistent StaatKlar, der Menschen dabei hilft, passende staatliche Leistungen wie etwa das Bürgergeld zu finden und sie über die jeweiligen Voraussetzungen und Antragswege informiert. 

KI-basierte Technologien können schließlich der Zivilgesellschaft auch dabei helfen, ihre digitale Zusammenarbeit zu erleichtern und gesellschaftliche Herausforderungen kreativ und wirkungs- voll anzugehen. Civic Coding unterstützt Projekte wie „Mother Earth AI“ (Mutter Erde KI), ein Sprachmodell, das aus der Perspektive von „Mutter Erde“ in einfacher, bildhafter Sprache über Umweltthemen informiert und über Maßnahmen im Umgang mit der Natur chattet – ebenso wie AI.CAN, ein KI-System, dass kollektiv gesammelte Wasserqualitätsdaten misst, miteinander verbindet und analysiert und damit einen konkreten Beitrag in Nachhaltigkeitsfragen leistet. 

Prof. Dr. Detlef Sack, Leiter des Instituts für Demokratie- und  Partizipationsforschung (IDPF) Bergische Universität Wuppertal

KI kann gesellschaftlicher Beteiligung neue Möglichkeiten eröffnen. Für wen, auf welche Weise und in welchen Formaten, das sind die spannenden Fragen. Stereotype helfen uns nicht weiter. Es geht um den lebendigen Austausch über Fachgrenzen hinweg.

Prof. Dr. Detlef Sack, Leiter des Instituts für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) Bergische Universität Wuppertal

Risiken im Blick behalten

Die Chancen von KI-Anwendungen umzusetzen, ist jedoch kein Selbstläufer: Neben verbindlichen Leitlinien zu Risikomanagement und Transparenz ist insbesondere eine zentrale Voraussetzung die kontinuierliche Förderung der KI-Kompetenzen der Zivilgesellschaft und der Bürger*innen, um die gesellschaftliche „AI-Readiness“ sukzessive zu steigern. Diese und der Zugang zu digitalen Ressourcen sind bislang in der Zivilgesellschaft noch sehr ungleich verteilt, wie die Civic Coding-Kurzstudie „Gemeinwohlorientierte KI: Ist die Zivilgesellschaft „AI-ready”?“ zeigt. Darüber hinaus sind ein offener Datenzugang und ge-meinwohlorientierte Standards entscheidend, um eine verantwortungsvolle Entwicklung und Nutzung von KI zu fördern. Civic Coding bringt sich daher aktiv in die Befähigung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen für Standardisierungsprozesse ein, beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz (ZVKI). 

 

Marie Blüml
Matthieu Binder
Nikolai HornCivic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl

Die Initiative „Civic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl“ fördert KI-Anwendungen zur Stärkung der Gesellschaft, der Umwelt und der sozialen Teilhabe. Als gemeinsame Initiative des Bundesarbeits-, Bundes- familien-, Bundesumwelt- und Bundesdigitalministeriums setzt sich Civic Coding für die Entwicklung und Nutzung von gemeinwohlorientierter KI ein, die intelligente Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen der Daseinsvorsorge ermöglichen und zur Stärkung demokratischer Werte beitragen.