Warum das Selbstbestimmungsgesetz uns alle angeht

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Regenbogenflagge weht vor der Staatsoper in Stuttgart. eine Demo davor.
Diskriminierung und Gewalt gegen LSBTIQ+ - queere Menschen – nehmen zu, vor allem gegen Transmenschen. Warum das so ist.

Am 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz (SBG) in Kraft getreten, das trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen die Anpassung von Geschlechtseintrag und Vornamen mit einfacher Erklärung auf dem Standesamt erlaubt. Damit hat der Gesetzgeber erstmals auf Eigeninitiative eine rechtliche Verbesserung für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen (TIN*) geschaffen. Zuvor hatte sich der LSVD gemeinsam mit TIN*-Selbstorganisationen viele Jahre lang für diese notwendige Gesetzesänderung eingesetzt. Das SBG löste das völlig veraltete Transsexuellengesetz ab, nach dem TIN*-Personen in einem kostspieligen und meistens erniedrigenden Verfahren mit zwei psychologischen Gutachten langwierig beweisen mussten, dass der Körper,  in den sie geboren wurden, beziehungsweise das gesellschaftlich gelesene Geschlecht nicht zu ihrem empfundenen Geschlecht passt. 
Im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung steht, dass das Selbstbestimmungsgesetz überprüft wird. Hier ist Vorsicht geboten. „Geprüft“ kann der erste Schritt von „wird wieder abgeschafft“ sein. Denn wie wird der Erfolg oder die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes  gemessen? Wenn besonders viele TIN*-Personen selbstbestimmt ihre Papiere umschreiben lassen? Und was bedeutet das für ihr Leben, für ihren Alltag? Es ist ein Anfang, und die Ordnung der Verhältnisse nach  Gefühlen schafft viel Positives. 
Aber hier hört eben die Aufgabe des Staates nicht auf. Denn der logisch folgende Schritt wäre, TIN*-Personen mit ihren neu erworbenen Rechten nachhaltig vor Diskriminierung und Gewalt zu schützen und alles für ihre rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung zu tun. Denn seit Jahren bestehen populistische Narrative,  die eine Ausgrenzung und Diskriminierung befeuern.

Rechte, die grundlegend  sind für eine Demokratie 

Aber in der Debatte wird zu 99 Prozent von Transfrauen geredet, als einer  Bedrohung für öffentliche Räume, für cis-Frauen, für Kinder. Würde die sogenannte Mehrheitsgesellschaft ihre eigenen Thesen ernst nehmen, so müsste sie zu dem Schluss kommen, dass umgekehrt Transmänner besonderen gesellschaftlichen Schutz verdienen. Gefährlich ist daran, dass Menschen und deren Identitäten als Ergebnis einer Ideologie oder Ausdruck einer politischen Agenda gelten, und Geschlecht nur an biologischen Faktoren und Geschlechtsmerkmalen festgemacht wird. Dabei hat schon das Bundesverfassungsgericht 2017 festgestellt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und sich das auch politisch und gesellschaftlich spiegeln muss. Statt also das SBG zu prüfen,  sollte die Bundesregierung den Schutz  status erhöhen: Endlich Artikel 3, Ab-satz 3 des Grundgesetzes erweitern. 

Zur Autorin

Die Autorin  Kerstin Rudat  ist Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und seit 2018 Vorstandsmitglied im LSVD Lesben- und Schwulenverband  Deutschland – Queere Vielfalt Baden-Württemberg e. V. In dieser Funktion ist sie auch Mitglied im Landesfamilienrat BW. Rechtspopulismus, Diversity-Management in Unternehmen und queere Bildung sind ihre Schwerpunktthemen.