Demokratieförderung durch Antidiskriminierung

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Demonstrationszug für Demokratie
Ist Antidiskriminierung wirklich notwendig, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie und zu stärken?

Oder ist das alles überflüssig, und wir können gut auf Diversitätsprogramme und Demokratieförderung verzichten, wie es neuerdings  immer öfter behauptet wird?

Die Bevölkerung in Deutschland wird immer vielfältiger. Und das nicht nur, weil Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland leben, sondern weil unsere persönlichen Lebensentwürfe und -bedingungen immer individueller und unterschiedlicher werden. Diese Vielfalt wird weiter zunehmen. Sie ist ein grundlegender Bestandteil unserer Gesellschaft und muss bei allen politischen Entscheidungen mitgedacht werden. 
Um Vielfalt produktiv für unsere Gesellschaft zu nutzen, müssen wir sie in (soziale, politische, wirtschaftliche) Teilhabe übersetzen. Und dies schon aus prinzipiellen Gründen: Beteiligung spielt in demokratischen Gesellschaften eine herausgehobene Rolle. Es gehört zum fundamentalen Selbstverständnis unserer Demokratie, niemanden auf lange Sicht auszuschließen.  Deshalb ist Diskriminierung mit Demokratie  nicht vereinbar, denn sie braucht die Teilhabe und Beteiligung aller Menschen. 

 Es gehört zum fundamentalen Selbstverständnis unserer Demokratie, niemanden auf lange Sicht auszuschließen.

Antidiskriminierung sichert Teilhabe

Antidiskriminierung – oder positiv formuliert:  der Schutz und die Repräsentanz von Minderheiten – sind wichtige Mechanismen zur Sicherung von Teilhabe. Die Begriffe betonen, dass unterschiedliche Gruppen ihre Interessen aus - handeln und – falls nötig – auch einklagen können.  Denn reine Mehrheitsentscheidungen können in Demokratien schnell zum Diktat der Mehrheit und zur Diskriminierung von Minderheiten führen. Entscheidungen, die die Mehrheit und die Minderheiten gleichsam berücksichtigen, sind demokratisch im größtmöglichen Sinne. Denn sie beziehen möglichst viele Menschen  und deren verschiedene Interessen mit ein.
Antidiskriminierung ist zudem bedeutsamer Teil der Entstehung von Demokratie, denn Kämpfe gegen Diskriminierung haben die Geschichte  der Demokratie begleitet, angeführt vom Widerstand benachteiligter Gruppen, die für Selbstbestimmung und für gleiche Rechte eintraten. 

Zusammen mehr wert

Und auch wenn das heute scheinbar viele  Menschen durch die rechte und populistische Daueragitation vergessen haben: Vielfalt und Antidiskriminierung besitzen einen großen  Mehrwert für die ganze Gesellschaft – auch  wenn diese voraussetzungsvoll sind. 
Demokratie lebt von der Idee, dass alle Menschen mitbestimmen können. Eine vielfältige Gesellschaft, die in Institutionen und Medien repräsentiert und in der Diskriminierung bekämpft wird, fördert Teilhabe und Gleichheit. Unterschiedliche Perspektiven (z. B. aus verschiedenen Lebensrealitäten oder sozialen Milieus) führen ferner zu mehr Kreativität und Problemlösungskompetenz, auch in politischen Debatten. Zudem sind Gesellschaften, die Vielfalt anerkennen und aushalten, oft resilienter gegenüber Extremismus, weil sie gelernt haben, mit  Differenz umzugehen. Der Umgang mit Vielfalt hilft Demokratien auch, inklusive Strukturen  zu schaffen und sich selbst zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt sind Vielfalt  und Antidiskriminierung Ausdruck von individuellen Freiheiten, Meinungspluralismus und Selbstbestimmung – also zentralen demokratischen Prinzipien, die auch im Grundgesetz festgeschrieben sind. 

Keine Alternative

Klar, die Aushandlung von Vielfalt ist nicht immer einfach und manchmal schwer auszuhalten:  Es können soziale Spannungen, Konflikte, Polarisierung sowie sozial oder räumlich isolierte Gemeinschaften entstehen, wenn Vielfalt und Minderheitenrechte nicht gut moderiert werden. Auch rechte Akteur*innen setzen uns in den Demokratien immer wieder unter Druck, weil sie Vielfalt als Feindbild benutzen und eine Rückkehr zur „homogenen Nation“ propagieren. Und weil Demokratien zumindest ein gewisses Maß an gemeinsamen Werten und sozialem Zusammenhalt brauchen, empfinden wir Vielfalt manchmal auch als Bedrohung und fragen uns, ob wir das hinkriegen, mit all den Auflagen zur Antidiskriminierung, vor allem in Krisenzeiten.


Gesellschaftliche Vielfalt und Antidiskriminierung sind eben kein Selbstläufer – auch nicht in Demokratien. Wir alle müssen daran arbeiten und das Aushandeln mitgestalten, auch wenn man sonst schon viel zu tun hat. Aber wenn wir das tun, entsteht ein großer Mehrwert für uns alle. 

Demokratie lebt von der Idee, dass alle Menschen    mitbestimmen können. Eine vielfältige Gesellschaft, die in Institutionen und Medien repräsentiert und in der Diskriminierung bekämpft wird, fördert Teilhabe und Gleichheit.

Dr. Mirjam Weiberg, Leiterin Fachgruppe Demokratieförderung und demokratische Praxis
Samah Al-Hashash, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgruppe  Demokratieförderung und demokratische Praxis
Deutsches Zentrum für Integrationsund Migrationsforschung DeZIM e. V.

 

DeZIM-Institut - Fachgruppe Demokratieförderung und demokratische Praxis 

Das DeZIM trägt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur  Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungen und  Maßnahmen im Themenbereich des BMFSFJ bei und macht  diese Erkenntnisse der Wissenschaft und Praxis zugänglich.  Eine zentrale Maßnahme ist die Umsetzung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“, das Demokratie, Vielfalt und  Extremismusprävention fördert. Die Fachgruppe evaluiert das  Programm, berät das BMFSFJ empirisch basiert und unterstützt  den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik durch kontinuierliche Datenerhebung und -auswertung.