Armut in Baden-Württemberg steigt auf 12,3 Prozent - Kinderarmut im Land mit 14,8 Prozent auf Höchststand

Pressemitteilung - geschrieben am 20.11.2020 - 14:40

Stuttgart 20.11.2020   Laut aktuellem Armutsbericht 2020 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Gesamtverband hat die Armutsquote in Deutschland mit 15,9 Prozent (rechnerisch 13,2 Millionen Menschen) einen neuen traurigen Rekord erreicht. Auch in Baden-Württemberg ist die Armutsquote um 0,4 Prozent auf 12,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Damit steht Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich mit Rang zwei, hinter Bayern (11,9 Prozent), noch gut da. Im bundesweiten Trend hat die Armut bei Alleinerziehende, Arbeitslosen und kinderreichen Familien weiter zugenommen. Dramatisch ist die Zunahme bei den Rentner*innen und Pensionär*innen auf 17,1 Prozent. Die Kinderarmut in Baden-Württemberg erreicht einen neuen Höchststand von 14,8 Prozent. Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg fordert eine menschenwürdige Grundsicherung, die das Existenzminimum sichert und armutsfest ist sowie die Einführung einer Kindergrundsicherung. Regionale Armutsentwicklungen müssten in den Armuts- und Reichtumsbericht des Landes aufgenommen und eine entsprechende Infrastrukturpolitik zur Armutsbekämpfung vorangetrieben werden, mahnt der Verband.

ttp://www.der-paritaetische.de/schwerpunkt/armutsbericht/regionale-armutsquoten/Insgesamt variieren die Armutsquoten in Baden-Württemberg auf niedrigem Niveau. Aber in einigen Regionen ist die Armut auf einem neuen Rekordhoch wie im Kreis Neckar–Alb (13,1), Schwarzwald-Baar-Heuberg (11,6), Donau-Iller (12,8) und Nordschwarzwald (13,6). Die höchste Armutsquote im Land liegt bei 15,1 Prozent in der Region Rhein-Neckar und die niedrigste bei 10,6 Prozent in der Region Hochrhein- Bodensee. In Stuttgart liegt die Armutsquote bei 11,0 Prozent (plus 0,4).

„Im bundesweiten Vergleich steht Baden-Württemberg gut da. Dennoch ist die Armutsquote in unserem Bundesland um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, die der Kinderarmut um 0,2 Prozent. Das einzige, was gegen Armut hilft, ist Geld. Wir brauchen endlich eine Politik, die Armut überwindet und sozialen Aufstieg ermöglicht. Eine menschenwürdige Grundsicherung muss das Existenzminimum sichern und armutsfest sein. Menschen, die keine Existenznöte haben, sind gesünder, leben länger und sind weniger psychisch belastet“, betont Ursel Wolfgramm, Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. Mit der Corona-Pandemie verschärfe sich die Situation armer und armutsgefährdeter Menschen im Land. „Frische Lebensmittel sind teurer geworden. Dazu kommen zusätzliche Ausgaben für notwendige Schutzkleidung und Hygieneartikel. Die Betroffenen haben keine finanziellen Rücklagen“, so Wolfgramm.

„Menschen, die ohnehin wenig haben, gehören zu den großen Verlierern der Corona-Krise. Die soziale Ungleichheit innerhalb unserer Gesellschaft wächst und vergrößert sich durch die derzeitige Situation spürbar. Arm sein, bedeutet vielfach stigmatisiert, abgehängt und ausgeschlossen zu sein. Armut in einem reichen Land wie Baden-Württemberg darf nicht sein und muss mit allen Kräften von den Ursachen her bekämpft werden“, so die Vorstandsvorsitzende. Altersarmut müsse bereits im Erwerbsleben mit wirksamen Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnbereich entgegengewirkt werden. Als wirksames Mittel gegen Kinderarmut sei eine existenzsichernde Kindergrundsicherung, eine gute Qualität in der frühkindlichen Bildung und Angebotsstruktur im sozialen Umfeld von Schulen erforderlich. „Menschen, die sich abgehängt fühlen und jetzt durch die Corona-Krise in finanzielle Not geraten, laufen Gefahr, sich jenen zuzuwenden, die ihnen in dieser Haltlosigkeit Halt versprechen. Das sind leider immer mehr politische Gruppierungen, die sich klar demokratie- und staatsfeindlich zeigen. Mehr denn je geht es in diesen schwierigen Zeiten um Solidarität und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, so Wolfgramm.

Armutsbetroffene Kinder und Jugendliche brauchen passgenaue, einzelfallorientierte und individuelle Hilfe- und Fördermaßnahmen. Mit dem neuen PARITÄTISCHEN landesweiten Netzwerkprojekt SILKY - Social Inclusion Labs für Kids und Youngsters – werden Kinder und Jugendliche schon ganz früh ab Klasse 5 gestärkt, die Lust und Chance zu bekommen, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Am Standort Stuttgart unterstützt die Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft Kinder und Jugendliche, die besonders unter den Coronaauswirkungen leiden. Neben einem Sorgentelefon „Stress zu Hause“ und einer Laptop-Spendenaktion gibt es ein Angebot, in welchem Kinder und Jugendliche darin unterstützt werden, eigene Lebensvorstellungen zu realisieren und ermutigt werden, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Eines der vielen Angebote dabei ist eine Lern- und Hausaufgabenhilfe in welcher ältere SILKY-Teilnehmende, jüngere ehrenamtlich unterstützen. „Genau jetzt brauchen Kinder und Jugendliche, die vor Corona schon in benachteiligenden Strukturen gelebt haben, ganz besonders unsere Unterstützung! Sie brauchen verlässliche Ansprechpersonen und einen Rückzugsort, an dem sie Sorgen und Probleme loswerden können. Denn alle Problematiken, Konflikte und belastende Situationen, spitzen sich für diese Kinder, Jugendliche und Familien aktuell dramatisch zu. Wir können nicht einfach wissentlich zuschauen“, sagt Tim Velinsky, Projektleitung SILKY bei der Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft. „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Unterstützung, Beratung und Begleitung in der individuellen und sozialen Entwicklung. Dieses Recht müssen wir auch in der gegenwärtigen belastenden Situation erfüllen. Deshalb müssen wir trotz Einschränkungen neue Wege erproben, um Kinder und Jugendliche zu erreichen“, so Velinsky.

„Das letzte dreiviertel Jahr hat gezeigt, dass sich für Menschen, die von Wohnungsnot bedroht oder sich akut in Wohnungsnot befinden, das Leben noch anstrengender geworden ist. Jobs, die die staatlichen Hilfen aufgebessert haben, fielen von heute auf morgen weg“, sagt Rainer Kanzler, Geschäftsführer von PräventSozial Justiznahe Soziale Dienste gemeinnützige GmbH. „Der Wohnungsmarkt ist unverändert angespannt, kaum jemand von unseren Klient*innen findet auf dem freien Wohnungsmarkt ein passendes Angebot, bzw. wird als Mieter genommen“, so Kanzler. Die Kontaktsperre im ersten Corona-Lookdown sei für alle eine große Herausforderung gewesen. „Unsere Klient*innen waren dankbar, dass wir da waren. Oft waren die Sozialarbeiter*innen in den Wohnangeboten die letzten verbliebenen Ansprechpartner*innen. Die Ämter waren geschlossen. Wir waren da“, so Kanzler weiter. Sehr gut funktioniert habe in den letzten Monaten das PARITÄTISCHE Stuttgarter Projekt „Faire mieten“. Darüber konnten 4 Wohnungen für Klient*innen sowie ein ganzen Haus, das als zusätzliche Wohngruppe im Rems-Murr-Kreis eingerichtet wurde, angemietet werden.  

Den Paritätischen Armutsbericht 2020 finden Sie unter www.der-paritaetische.de/schwerpunkte/armutsberichte/ und eine detaillierte Suchfunktion nach Postleitzahlen http://www.der-paritaetische.de/schwerpunkt/armutsbericht/regionale-armutsquoten/

               

 

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