Differenz- und geschlechterbezogene Konzeptentwicklung

Fachinformation - geschrieben am 22.05.2023 - 17:25
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Fachkräfteschulung zum Thema sexualisierte Gewalt 

Das Projekt FiBIP unterstützt Institutionen nachhaltig bei der differenz- und geschlechterbezogenen Konzeptentwicklung. 

Um (sexualisierter) Gewalt professionell begegnen zu können, bedarf es unterschiedlicher Herangehensweisen. Gewalt hat hier immer eine individuelle, aber eben auch eine gesellschaftliche Dimension. Schwerpunkt des Projekts FiBIP[1] ist, Fachkräfte und Institutionen bei den jeweiligen Anstrengungen gegen sexualisierte Gewalt und bei der Entwicklung von gelingenden Schutz­konzepten zu unterstützen. Dabei verfolgt FiBIP in seinen Fortbildungsangeboten einen differenz­- und geschlechterbezogenen Ansatz.

Personen sind für ihr eigenes Handeln verantwortlich und müssen dies mit gesellschaftlichen Konventionen, Regeln und Gesetzen in Einklang bringen. Es müssen aber auch die widersprüchlichen Gegebenheiten gesellschaftlicher Differenz- und Geschlechterkonstruktionen durchschaubar gemacht werden, um zu verstehen, warum (sexualisierte) Gewalt und die mehrdimensionalen Grundlagen dafür nicht kurzfristig aufgearbeitet, verändert und beseitigt werden können – ohne auch das dahinterstehende System zu erneuern. Und dennoch ist es die Aufgabe von Fachkräften, Minderjährige und Schutzbedürftige, oder juristisch formuliert: Schutzbefohlene, vor Gewalt und Schaden zu schützen. Dies ist effektiv möglich, obwohl Widersprüche existieren.

Veranstaltungen berücksichtigen Vielfalt in Lebensentwürfen

In den Veranstaltungen von FiBIP werden Grundlagen und unterschiedliche Facetten einer gelingenden pädagogischen Bildungs-, Präventions- und Interventionsarbeit gegen (sexualisierte) Gewalt angeboten. Viele Adressat*innen müssen erreicht werden, um möglichst effektive Ergebnisse mit der Arbeit zu erzielen: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene – mit und ohne Behinderung, Eltern und alle Personen, die mit den vorher genannten Personen in Kontakt kommen. Minderjährige mit und ohne Behinderung müssen einen Zugang zu alters- und entwicklungsbezogen angemessenen Angeboten zu sexueller Bildung haben, ebenso zu Ideen von gewaltfreien Beziehungskonstellationen vermittelt bekommen, um einschätzen zu lernen, wie gelingende Freundschaft, Partnerschaft und Sexualität gestaltet werden kann. Auch stellt sich Vielfalt in der Sexualität, zum Beispiel bei Menschen mit Behinderungen oder in queeren Beziehungen, da häufig nicht frei von Diskriminierungserfahrungen, möglicher- weise anders dar. FiBIP führt deshalb in aller Regel die Veranstaltungen in vielfältigen Teams durch bzw. berücksichtigt Vielfalt in Lebensentwürfen. Wichtig ist bei gelingenden Bildungsansätzen, dass der Respekt vor den jeweils eigenen Grenzen sowie den Grenzen anderer mit den Teilnehmenden gemeinsam erarbeitet werden.

Gewaltfreier Umgang ist keine Selbstverständlichkeit

Nicht erst seit dem Erscheinen des Romans ‚Lord of the Flies‘ von William Golding ist klar, dass ein gewaltfreier Umgang unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen keine Selbstverständlichkeit ist und erlernt werden muss und auch hinsichtlich sexualisierter Gewalt erlernt werden kann. Die Statistiken weisen darauf hin, dass zwei Drittel der sexualisierten Gewalt zwischen Minderjährigen stattfindet. Kinder und Jugendliche gehen an Grenzen und manchmal zu weit darüber hinaus. Das heißt, dass es versierte Erwachsene braucht, um Adressat*innen hilfreich und gegebenenfalls begrenzend zur Seite zu stehen. Für die professionelle Pädagogik bedeutet dies, dass Multiplikator*innen ausgebildet werden müssen: Fachkräfte, die die je eigene Haltung zu Gewalt und Diskriminierung reflektieren sowie sich mit Differenz, Vielfalt und Geschlecht im Kontext gesellschaftlicher Konstruktionen und Bewertungen beschäftigen.

Auch eine Rückfallprävention für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Behinderung, die durch Grenzverletzungen oder Übergriffe auffällig wurden, ist durchaus erfolgversprechend. FiBIP bietet hier über die erfahrenen Therapeuten* Urban Spöttle-Krust und Dr. Reiner Blinkle eine neuntägige Fortbildung für Fachkräfte aus der Eingliederungs- und Kinder- und Jugendhilfe an.

Darüber hinaus bietet FiBIP[2] hierzu eine Vielzahl an unterschiedlichen (weitgehend) kostenfreien Seminaren an: Online, in Präsenz sowie Inhouse-Veranstaltungen und darüber hinaus individuelle Beratungen rund um die Themenbereiche. In den Fortbildungen werden die Bereiche der sexuellen Bildung, Gewaltprävention und auch -intervention besprochen und referiert.

Mehr männliche Fachkräfte nehmen an digitalen Schulungen teil

FiBIP gelingt es, kleinere und fachlich übergreifende Institutionen aus Jugendhilfe und Eingliederungshilfe sowie Leitungen, Fachdienste und Jugendämtern zu erreichen. Insbesondere Fachkräfte, die über Präsenzveranstaltungen schwer zu erreichen sind. Auch nehmen viele männliche* Fachkräfte an den Veranstaltungen teil. Die Überlegung ist, ob dies möglicherweise durch digitale Formate und durch ‚räumlichen Distanz‘ eher möglich war. Die individuellen Rückmeldungen weisen darauf hin, dass geschlechtergemischte Teams sowie geschlechtervielfältige Themen jenseits von Stereotypien dies mit ermöglichen.

Die Evaluation[3] der Universität Tübingen hat gezeigt, dass die differenz- und geschlechterbezogenen Angebote die Möglichkeit zur niederschwelligen und professionellen Bearbeitung sowie zum Austausch mit unterschiedlichsten pädagogischen Bereichen und Arbeitsebenen relativ einfach macht. Auch besteht die Möglichkeit, weitere Unterstützung beispielsweise bei der individuellen Erstellung und Verschriftlichung von Schutzkonzepten zu bekommen. Die (digitalen) Veranstaltungen werden den Bedürfnissen der Teilnehmenden angepasst und mit zwei/drei spezialisierten Fachkräften durchgeführt. Niederschwellige Ansprechbarkeit, konsequente und permanente Angebote sind gerade bei diesen Themen wichtig und für gelingende Schutzkonzepte unumgänglich.

[1] Das Projekt FiBIP (Fachkraft fit für Bildung, Intervention und Prävention) ist ein Kooperationsprojekt der LAG Jungen* und Männer*arbeit Baden-Württem- berg e.V. , des Gesundheitsladen e.V. Stuttgart, PfunzKerle e.V. Tübingen und des Frauenberatungs- und Therapiezentrums Stuttgart fetz e.V. Das Projekt FiBIP wird seit 2020 umgesetzt mit freundlicher Förderung des Landes Baden- Württemberg (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg). Die zweite Förderperiode geht bis 31.03.2024. Danach wird eine Verstetigung mit drei Referent*innenstellen und weiteren Honorarmitteln für Seminarangebote angestrebt.
[2] www.fibip.de
[3] Das Projekt FiBIP wurde 2022 von T. Schlicher von der Universität Tübingen evaluiert. Hierzu wurden aus dem Zeitraum 2021 ca. 450 Teilnehmer*innen der FiBIP Seminare angeschrieben und um das Ausfüllen eines halbstrukturierten Fragebogens gebeten. Die Evaluationsergebnisse konnten die sehr positiven schriftlichen und mündlichen Rückmeldungen bestätigen. Die Ergebnisse können ausführlich bei der LAG J*M* BW angefordert werden. Ebenso wurden die Ergebnisse in der Masterarbeit (2022) des Autors ausführlich dargestellt und interpretiert.

Kai Kabs-Ballbach

FiBIP – Sexuelle Bildung und Gewaltprävention/-Intervention – ein Projekt der LAG-Jungen* und Männer*arbeit

www.lag-jungenarbeit.de

www.fibip.de

www.gewaltprävention-bw.de

 

Beitrag aus PARITÄTinform 1/2023

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