Prof. Cremer über Hintergründe und Ideen der Armutsbekämpfung

Fachinformation - geschrieben am 28.10.2022 - 19:27

Auf Einladung des paritätischen Kreisverbandes Ravensburg erläuterte Professor Georg Cremer am 27. Oktober in der Stiftung KBZO Variablen der Armutsdebatte und zeigte Wege auf, wie Menschen in Armut wirksamer geholfen werden kann. Der vielschichtige Vortrag des Experten von der Universität Freiburg gipfelte in einer fruchtbaren Diskussion mit den Zuhörern.

„Die Menschen haben oftmals noch einen guten Mantel im Schrank, deshalb zeigt sich Armut hier in der Region vielleicht nicht so offensichtlich“, vermutete Dirk Weltzin, Vorstandsvorsitzender der Stiftung KBZO und Vorsitzender des paritätischen Kreisverbandes Ravenburg, in seiner Begrüßung. Er machte deutlich, dass Armut hier sehr wohl präsent sei und sich der Kreisverband deshalb auch für das Thema „Wie Armut bekämpfen? Für einen Sozialstaat, der Menschen schützt und stärkt“ im Rahmen der jährlichen Veranstaltungsreihe „Der Paritätische Reden & Verändern“ entschieden habe.

Weshalb der äußere Anschein durch ältere Kleidung noch gewahrt werde, machte Professor Cremer, der sich als Ökonom der Universität Freiburg und Vertreter der Caritas in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zum Thema Armut zu Wort gemeldet hat, schnell klar: Viele betagte Menschen seien von Armut betroffen, nähmen aber die ihnen zustehenden staatlichen Hilfen nicht in Anspruch. Deshalb seien auch Zahlen zum Hilfebezug stets mit Vorsicht zu genießen ob ihrer Aussagekraft zur Verbreitung von Armut. Am Beispiel der Wirtschaftskrise in Griechenland führte Cremer in die statistischen Fallstricke der Armutsdebatte ein: Da damals die Einkommen gleichmäßig über alle Einkommensschichten gesunken seien, sei auch die Armutsquote in dem Land nahezu konstant geblieben. Die Aussagekraft verschiedener Indikatoren wurde so hinterfragt, ebenso erläutert, was unter „Armut“ zu verstehen sei. Wer als „arm“ gilt, wird relativ zum durchschnittlichen Einkommen in einem Land gesehen.

Cremer formulierte das Ziel, der Sozialstaat müsse Armut stärker präventiv begegnen. Dies beträfe natürlich insbesondere die junge Generation, bei der die Tendenz, dass armutsgefährdete Kinder auch als Erwachsene arm seien, aufgebrochen werden müsse. Es sei unsäglich, dass rund 20 Prozent der Schüler am Ende ihrer Schulzeit nicht richtig lesen könnten. Einer Regierung, die das Bildungssystem dementsprechend anpassen wollte, bescheinigte er jedoch eine „ausgeprägte suizidale Haltung“. Deshalb mahnte er an, finanzielle Instrumente zu schaffen für Familien, die noch nicht im Transfersystem sind, sich finanziell aber nur knapp über den Grenzen des Leistungsbezugs befänden. Zur Stärkung von Familien mit niedrigem Einkommen schlägt er eine einkommensabhängige Kinder-Grundsicherung vor.

Angesichts der Ukrainekrise und der beschlossenen Entlastungsmaßnahmen für die Bevölkerung zeigte sich Cremer zuversichtlich, dass der deutliche Ausbau des Wohngeldes und die Einbeziehung der Energiekosten in die Transferleistungen wirklich diejenigen unterstützten, die diese benötigten. Den Tankrabatt stufte er hingegen als nicht sinnvoll ein, da alle Maßnahmen, die sich an die breite Mitte der Bevölkerung richteten, „symbolisch oder saumäßig teuer“ seien.

Als konkrete Maßnahme zur Bekämpfung von Altersarmut forderte Cremer eine gemeinsame Beratung zu Rente und Grundsicherung in den Kommunen. Zum einen käme durch eine bessere Aufklärung staatliche Hilfe bei den betagten Unterstützungsberechtigten an, die diese aus den verschiedensten Gründen nicht beantragten. Andererseits würden hier die verschiedenen Säulen des Sozialstaates, die oftmals nur nebeneinander- statt zusammenarbeiteten, gemeinsam zielgerichtet wirken können. Solch kostengünstige Ansätze scheiterten in der Praxis jedoch oftmals an finanziellen Zuständigkeiten einzelner Bereiche der öffentlichen Hand.

Bei der Debatte zur Armutsbekämpfung  ginge es immer darum, Prioritäten zu setzen in verteilungspolitischen Fragen, weshalb auch der Gerechtigkeitsaspekt von Transferleistungen berücksichtigt werden müsse. Damit täten sich auch die Sozialverbände mitunter schwer, merkte der Referent in der Überleitung zur anschließenden intensiven Diskussion an.

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