PARI trifft... Kommunalpolitik in Reutlingen

Fachinformation - geschrieben am 22.05.2021 - 18:00

Kreativer Pool für soziale Perspektiven

Der PARITÄTISCHE Reutlingen diskutierte am 21. Mai in der Reihe „PARI trifft… Kommunalpolitik“ online mit Stadt- und Kreisrät*innen über die Lage und Hilfeangebote sozialer Einrichtungen.

Die eingeladenen Kommunalpolitiker*innen waren sich einig, dass Hilfe für Menschen, die Unterstützung benötigen oder sich in Notlagen befinden, notwendiger denn je ist. Die beteiligten sozialen Einrichtungen, die im Paritätischen Kreisverband Reutlingen organisiert sind, schilderten eindrucksvoll den aktuellen Alltag in der Sozialen Arbeit. Die Pandemie macht dabei Probleme und strukturelle Defizite, die zuvor schon da waren, wie unter einem Brennglas nur noch deutlicher sichtbar. Gleichzeitig steigt der Hilfebedarf und alle Zeichen deuten darauf hin, dass diese Kurve absehbar nicht abflachen wird.

Moderator Dr. Wolfgang Grulke, Kreisvorstand des Paritätischen und Geschäftsführer der ridaf Reutlingen, betonte zu Beginn, dass das gegenseitige Zuhören im Mittelpunkt steht. Die Kommunalpolitik soll für die Sorgen der fachlichen Praxis sensibilisiert werden, aber auch von den motivierenden Momenten wirksamer Hilfeleistungen erfahren. Reinhold Eisenhut vom Verein für Sozialpsychatrie betonte daher: „Wir jammern nicht nur, wir tun auch was!“ Die Kosten der Krise dürfen aber nicht einseitig auf die Schwächsten abgewälzt werden, der Erhalt der sozialen Infrastruktur wirkt einer Verschärfung der Ungleichheit entgegen.

Ein weiteres Thema war die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt, über die Helga Jansons von der Liga für Teilhabe berichtete. Menschen mit Behinderung können ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben schon deshalb nicht realisieren, weil barrierefreier Wohnraum fehlt. Der soziale Wohnungsbau sollte wieder angekurbelt und bei Neubauten untere Etagen rollstuhlgerecht gestaltet werden. Besonders leiden Menschen mit Handicap unter der Isolation, dem Wegfall von Angeboten und digitaler Ausgrenzung. „Die Menschen sind zwar krisenerfahren, es ist aber zuviel“, sagte dazu Herr Eisenhut.

Heike Kauschinger von gÖrls e.V. / Mädchen*café berichtete von der Lage junger Frauen. Trotz Pandemie konnte mit kommunaler Unterstützung das erste Mädchenhaus in Baden-Württemberg als wichtige Anlauf- und Beratungsstelle eröffnet werden. Renate Stemmer von der Hilfe zur Selbsthilfe ergänzte, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie Alarm schlägt, weil die Zahl der jungen Hilfesuchenden stark ansteigt. Für den erwartbaren Mehraufwand sollen jedoch auf eigenes Risiko der Leistungserbringer Personalressourcen vorgehalten werden. Personalabbau aufgrund fehlender Regelfinanzierung sei in der aktuellen Lage unsinnig.

Angesichts limitierter kommunaler Haushalte betonte Frau Stemmer weiter: „Es geht uns nicht zuerst ums Geld, sondern um mehr Vertrauen, dass wir die Mittel sinn- und wirkungsvoll einsetzen können.“ Zuviele Ressourcen fließen in Bürokratie und Kompensation von Planungsunsicherheit. Die verlässliche, vielfältige, frühe und niederschwellige Unterstützung hilft dagegen, teuren Aufenthalten und Behandlungen vorzubeugen. Herr Eisenhut sieht daher das Fundament einer wirkungsvollen Gemeindpsychiatrie gefährdet, wenn beispielsweise die niederschwellig arbeitenden Tagesstätten wegbrechen würden.

In der Schlussrunde unterstrich Stadtrat Kurt Gugel (FWV), dass die Kommunalpolitik um den Wert schneller Hilfen in akuten Problemlagen weiß. Stadträtin Katharina Ernst (Grüne / Unabhängige) will die Idee unterstützen, im Sozialausschuss einen ständigen Tagesordnungspunkt zu den Leistungen sozialer Dienste anzuregen. Für Stadträtin Silke Bayer (SPD) war die Runde ein kreativer Pool für neue Ideen. Kreisrätin Petra Braun-Seitz (Linke) nimmt die fachliche Expertise in weitere politische Debatten mit und Kreisrat Michael Schwenk (Grüne) zeigte sich berührt von den gebotenen Einblicken.

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