Was ist ein Gesamtverein?

Als „Gesamtvereine“ bezeichnet man insbesondere Organisationsstrukturen, in denen ein Verein (Hauptverein) auf einer oder mehreren Ebenen regional untergliedert ist und die Untergliederungen ihrerseits den Status eines eingetragenen Vereins im Sinne von § 21 BGB oder eines nicht eingetragenen Vereins im Sinne von § 54 BGB aufweisen (Zweigvereine). Dabei steht häufig das Interesse des Hauptvereins an der Durchsetzung einheitlicher Standards innerhalb der Gesamtorganisation mit dem Interesse der Zweigvereine, eigenständige, vom Einfluss des Hauptvereins unabhängige Entscheidungen treffen zu können in einem Spannungsverhältnis. Die Hauptvereine können auf die Zweigvereine meist aufgrund statutarischer Rechte Einfluss nehmen, die in der Satzung des Hauptvereins sowie insbesondere denen der Zweigvereine verankert sind. Auf ihrer Grundlage sind Einschränkungen der Satzungsautonomie, der Organbestellungsautonomie und der Verwaltungsautonomie der Zweigvereine möglich. Rechtlich stellt sich jedoch die Frage, inwieweit entsprechende Gestaltungen von der vereinsrechtlichen Satzungsfreiheit gedeckt oder aber wegen des Verstoßes gegen das Prinzip der Verbandsautonomie unwirksam sind. Bei letzterem handelte es sich nach ganz h.M. um eine ungeschriebene Schranke der Satzungsfreiheit, welche es einem Verein verbietet, sich einem übermäßigen Dritteinfluss zu unterwerfen.

Was geht?

  • Bei der Anwendung des Prinzips der Verbandsautonomie gilt es zu bedenken, dass der Hauptverein aufgrund der gestuften Mehrfachmitgliedschaft den Zweigvereinen nicht wie ein Dritter gegenüber steht; die Mitglieder der Zweigvereine sind auch Mitglieder des Hauptvereins und als solche an dessen Willensbildung beteiligt (OLG Karlsruhe NZG 2012, 1314, 1315: „[D]er Gesamtverein [steht] seinen Zweigvereinen nicht wie ein fremder Dritter gegenüber, weil seine Willensbildung ebenfalls von den gemeinsamen Mitgliedern bestimmt wird.“).
  • Die Satzung des Hauptvereins entfaltet gegenüber den Zweigvereinen unmittelbare Wirkung; die Zweigvereine unterwerfen sich ihr konkludent, indem sie sich als Untergliederung eines Gesamtvereins gründen
  • Eingriffe des Hauptvereins in die Satzungsautonomie der Zweigvereine aufgrund von Zustimmungsvorbehalten zu Satzungsänderungen oder durch den Erlass von Mustersatzungen sind grundsätzlich zulässig; die Wirksamkeit dynamischer Verweisungen, wonach Beschlüsse des Hauptvereins ohne Umsetzungsakt die Änderung der Zweigvereinssatzungen herbeiführen sollen, scheitert jedoch an § 71 Abs. 1 S. 1 BGB (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1988, 183, 184).
  • Eingriffe des Hauptvereins in die Organbestellungskompetenz der Zweigvereine sind in Form von Zustimmungsvorbehalten möglich (u.a. OLG Karlsruhe NZG 2012, 1314, 1315); Gestaltungen, durch die die Organbestellungskompetenz auf den Zweigverein übertragen wird, sind demgegenüber kritisch zu sehen (vgl. OLG Bamberg NJW 1982, 895)
  • Eingriffe des Hauptvereins in die Verwaltungsautonomie der Zweigvereine aufgrund von Weisungsrechten sind grundsätzlich zulässig (vgl. OLG Karlsruhe NZG 2012, 1314, 1315: „Bei […] Zweig-vereinen sind satzungsmäßige Beschränkungen des Selbstverwaltungsrechts zu Gunsten des Gesamtvereins nicht nur üblich, sondern grundsätzlich auch nicht zu beanstande
  • Eingriffe in die Satzung-, die Organbestellungs- und die Verwaltungsautonomie der Zweigvereine sind indes nicht grenzenlos möglich, sondern nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das Gruppen- bzw. Homogenitätsinteresse des Gesamtvereins gerechtfertigt sind (Verhältnismäßigkeitsprinzip).
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