Seit vielen Jahren weisen die Statistiken und der Paritätische Baden-Württemberg darauf hin, dass der demografische Wandel uns einholen wird und dringlicher Handlungsbedarf besteht. Bei einem Blick in die Zahlen des Landesstatistikamtes zeigt sich, dass die Kommunen aktuell die Rahmenbedingungen für ein aktives Altern mitten in der Gesellschaft nicht ausblenden dürfen und können, sondern aktiv angehen und die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen müssen.
Kommunen haben Schlüsselrolle bei der Daseinsvorsorge
Mit zunehmendem Alter steigt auch die Anzahl der pflegebedürftigen Bürger*innen und damit verbunden das Risiko altersbedingter Erkrankungen sowie der Menschen, die mobilitätseingeschränkt und auf Hilfsmittel (wie Gehstöcke, Rollatoren bis hin zu Rollstühlen) angewiesen sind.
Auch wenn die Gesellschaftspolitik eine gemeinsame Aufgabe mehrerer Akteure ist, so kommt gerade bei der Seniorenpolitik den Kommunen eine Schlüsselrolle zu. De facto können nur die Kommunen regional angepasste, auf die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung zugeschnittene soziale Netzwerkstrukturen sowie versorgungssichernde Infrastrukturen mit ambulanten Diensten und Einrichtungen (stationär und teilstationär) sowie ehrenamtlichen Strukturen im Auftrag der Daseinsvorsorge (nach art. 28 Abs. 2 GG und § 9 SGB XI) befördern.
Hierzu sind kommunale Konzepte zu entwickeln, die auf Basis möglichst realer Vorausberechnungen und unter Einbeziehung Dritter, wie Wohlfahrtsverbänden, Seniorenorganisationen und örtlicher Verbände, im Sinne der Sicherung der Daseinsvorsorge anregend gestaltet werden sowie Angebote sichern. Damit die Ausgestaltung bedarfsorientiert der Gewährleistungsverantwortung der Kommunen entsprechend ist, müssen die Kommunen verstärkt die Koordinierungs- und Managementverantwortung wahrnehmen.
Immer mehr pflegebedürftige Menschen benötigen Hilfe von pflegenden Angehörigen und professionellen Pflegediensten, sie brauchen Pflegeheimplätze, teilstationäre Angebote, neue Wohnformen und niederschwellige Hilfen.
Eine weitere große Aufgabe innerhalb der Daseinssicherung ist die Stabilisierung von häuslichen Pflegesituationen, deren Anteil heute schon ca. 75 Prozent einnimmt und nur zu ca. 15 Prozent durch ambulante Pflegedienste unterstützt werden. Wachsender Personalmangel in der Pflege und die zunehmend kleineren Familien mit nur einem Kind (1,5 Kinder pro Frau) stellen eine zusätzliche Herausforderung dar.
Um Entlastungen für pflegende Angehörige und Pflegesituationen kinderloser Bürger*innen zu gewährleisten, sind neben ehrenamtlichen und niederschwelligen Hilfsangeboten, Seniorenorganisationen, Selbsthilfegruppen, Vereine für Senioren sowie Beratungsstrukturen zu fördern. Die Teilhabe der älteren und pflegebedürftigen Bevölkerung am Leben in der Kommune ist offensiv zu fördern und zu unterstützen.
Wohnen und Wohnverhältnisse
Bei der Entwicklung altersgerechter Konzepte sind auch die Wohnverhältnisse der Bürger*innen mitzudenken. Im Alter nehmen Singlehaushalte zu, das soziale Umfeld reduziert sich und das Risiko der Vereinsamung steigt. Frauen sind oft von Altersarmut betroffen, da sie in der Familienphase oder aufgrund familiärer Pflegeaufgaben weniger am Erwerbsleben teilnehmen konnten. Es braucht eine aktive Gestaltung des Wohnumfeldes, die auch barrierefreie Ausstattung im sozialen Wohnungsbau, Sozialraum, öffentliche Begegnungsräume und der Verkehrsverhältnisse umfasst. Zur wohnortnahen Infrastruktur gehört auch die Erreichbarkeit von Arztpraxen, Apotheken, Geschäften des Lebensbedarfes, Geldinstituten und Ämtern.
Öffentliche Begegnungsräume und Quartiersentwicklung
Bei öffentlichen Begegnungsräumen in den Quartieren und Dörfern müssen auch das Sicherheitsbedürfnis und die körperlichen Einschränkungen sowie die zunehmende Vereinsamung berücksichtigt werden. Maßnahmen wie Barrierefreiheit, altersgerechte Sitz- und Ausruhmöglichkeiten (inkl. sanitärer Ausstattung), die zum Verweilen und auf einen „Schwatz“ einladen, sind in die Konzepte zu integrieren. Auch der Klimawandel (Temperaturanstieg von 1,5°C bis 2030) stellt die Seniorenkonzepte der Kommunen vor neue Herausforderungen. Es müssen Beschattung und kühlende bauliche Maßnahmen im öffentlichen Raum angepasst an die Bedarfe der älteren Bevölkerung umgesetzt werden. Anreize zur Etablierung von stabilisierenden und sichernden Dienstleistungen sowie ambulanter Strukturen sind zu setzen.
Die Gestaltung öffentlicher Räume sowie des Wohnens und Wohnumfeldes müssen den Bedarfen älterer Menschen Rechnung tragen. Dabei sind begegnungs- und bewegungsfördernde sowie den Sicherheitsbedürfnissen mobilitäts- und sinneseingeschränkter Bürger*innen entsprechende Wohnumfelder zu gestalten.
Digitalisierung und lebenslanges Lernen
Die Lebenserwartung der Menschen nimmt zu. Dadurch eröffnen sich neue Kontaktmöglichkeiten bei Mobilitäts- einschränkungen, Sicherheiten (z.B. durch Notrufsysteme), Teilnahme an Bildungs- und kulturellen Angeboten. In einer dynamischen Welt, verbunden mit einer höheren Lebens- erwartung, ist jeder Einzelne gefordert, ein lebenslanges Lernen anzunehmen. Aufgabe der Kommunen ist es, für die entsprechenden Rahmenbedingungen zu sorgen.
Die Digitalisierungsstrategie der Bundesrepublik Deutschland und der EU (Onlinezugangsgesetz) sowie die des Gesundheitssystems stellen Ämter und Behörden vor den Spagat, alle Bevölkerungsgruppen, darunter auch die der Älteren und Pflegebedürftigen, mitzunehmen und sie nicht bei notwendigen kommunalen Amtsgeschäften, Informationsquellen und der Transparenz im digitalen Gesundheitssystem abzuhängen oder auszuschließen. Deswegen sind lange Übergangszeiten von analogen Druckerzeugnissen zur Volldigitalisierung und für Antragsstellungen über Apps einzurichten.
Beratungsstellen, spezielle Schulungsangebote und personell begleitete Übungsräume, die mit den neuen Medien vertraut machen, sind dringend zu schaffen. Bei der Digitalisierung kommunaler Dienstleistungen ist darauf zu achten, dass ein barrierefreier Zugang für Senior*innen und die Bedienungskomplexität sowie anwendergerechte technische Ausgestaltungen (Sehfähigkeit und Tastengrößen) vorgehalten werden.
Die noch vorhandenen digitalen weißen Flächen in Baden-Württemberg sind zu schließen. Den Menschen, die durch Pflegebedarf oder Altersarmut keine Möglichkeit haben, den Zugang zu digitalen Strukturen zu finanzieren bzw. die notwendigen Geräte anzuschaffen, müssen Möglichkeiten zur Teilnahme an der digitalisierten Welt eröffnet werden. Die Kommunen müssen öffentliche Hotspots und Räume zur Nutzung von digitalen Medien und kommunaler Dienstleistungen einrichten, um allen Bürger*innen die Teilnahme an der Digitalisierung zu ermöglichen.
Der Paritätische fordert
Daseinsvorsorge
- Demografische Herausforderungen annehmen
- Daseinsvorsorge für alle Bevölkerungsgruppen (pflegebedürftige und ältere Menschen nicht ausgeklammert) lückenlos annehmen
- Verbleib in der Häuslichkeit für ältere und pflegebedürftige Menschen positiv beeinflussen
- Anreize für Entlastungs- und Unterstützungsangebote setzen
- Kommunale Pflegebedarfs- und Pflegestrukturplanung aktiv gestalten
- Seniorenpolitisches (Gesamt-)Konzept auflegen und umsetzen
- Mittel und Auftrag nach § 71 SGB XII umfassend nutzen und einsetzen
Wohnen und Wohnverhältnisse
- Angebote, die Vereinsamung vermeiden, ergreifen
- Öffentliche Räume nach den Bedürfnissen aller Bevölkerungsgruppen ausrichten (bedürfnisorientierte Maßnahmen entsprechender Entwicklungen des Klimawandels, Barrierefreiheit und „Schwätzbänkle“, Sanitärräume)
- Lebensnotwendige Strukturen sichern und erhalten
Digitalisierung und lebenslanges Lernen
- Digitale Kompetenzen stärken und barrierefreien Zugang zu den Leistungen der Kommunen im Spiegel des Onlinezugangsgesetzes ausbauen
- Bildungsangebote und kulturelle Anbindung schaffen
Beitrag aus ParitätInform 01/2024