„Wohnungslose Menschen ohne Chancen auf dem Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg“. Zu diesem Ergebnis kam die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg in ihrer jährlichen Stichtagserhebung. Eine jüngst vom PESTEL-Institut veröffentlichte Studie konstatiert, dass in Baden-Württemberg im Ländervergleich die meisten Sozialwohnungen fehlen. Einem aktuellen Bedarf von knapp 260.000 Sozialwohnungen stehen 2022 nur 52.287 Sozialwohnungen im Bestand gegenüber.
Die Liga-Stichtagserhebung 2023 stellt weiter fest, dass seit Erhebung der Daten (und damit seit 32 Jahren) mit 12.688 Personen ein neuer Höchststand an Personen erreicht wurde, die in den Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe unterstützt und beraten wurden. Insbesondere niedrigschwellige, ambulante Angebote wie Tagesstätten, Wärmestuben und Fachberatungsstellen sind von besonderer Bedeutung und erfüllen eine zentrale Funktion beim Zugang zum Hilfesystem. Gerade diese Angebote sind oftmals besonders unsicher und nicht auskömmlich finanziert und fallen immer häufiger dem Rotstift zum Opfer.
Ausbau präventiver Fachstellen
Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit durch Sicherung von Wohnraum muss oberste Priorität haben und der Ausbau von präventiv wirkenden Fachstellen gefördert werden. In vielen Fällen könnte Wohnungslosigkeit vermieden werden, wenn eine Fachberatungsstelle frühzeitig eingebunden wird und erfolgreich interveniert werden kann. Ebenso wichtig ist der Ausbau von Angeboten für Frauen oder pflegebedürftige Menschen, die von Wohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen sind. Um dem großen Mangel an bezahlbarem Wohnraum wirksam entgegentreten zu können, sind die politischen Verantwortungsträger*innen und die Immobilienwirtschaft in der Pflicht, systematisch Wohnraum zu schaffen und zugänglich machen.
Kommunale Wohneinrichtungen erfüllen häufig nicht die Kriterien für ein menschenwürdiges Leben
In Baden-Württemberg sind ca. 30 Prozent der von Wohnungslosigkeit Betroffenen ordnungsrechtlich untergebracht. Da die „unfreiwillige Obdachlosigkeit“ eine Notlage darstellt, ist die Erhaltung der notwendigen Lebensbedingungen und die Sicherung einer Existenzgrundlage staatliche Pflicht. Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde ist dabei oberstes Prinzip. Nach baden-württembergischem Recht ist dafür die Kommune verantwortlich, in der sich ein obdachloser Mensch aufhält. Die kommunalen Unterkünfte, ihr baulicher Zustand, ihre Ausstattung, die dortigen hygienischen Verhältnisse und die Wohnbedingungen wurden in der Vergangenheit immer wieder vom Paritätischen Landesverband und anderen Fachleuten kritisiert. Die kommunalen Wohneinrichtungen, die der ordnungsrechtlichen Unterbringung dienen, erfüllen häufig nicht die Kriterien für ein menschenwürdiges Leben. Ebenso fehlen Angebote und Möglichkeiten zur adäquaten Unterbringung von Frauen und Familien. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verweildauer in der ordnungsrechtlichen Unterbringung stetig steigt. In Baden-Württemberg waren am 1. Oktober 2014 nach Aussage der befragten Städte und Gemeinden insgesamt 51 Prozent der in „Obdachlosen- und sonstigen Unterkünften“ ordnungsrechtlich untergebrachten Personen dort länger als zwei Jahre.
Der Paritätische fordert
Um das sich stetig verschärfende Problem der Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg wirksam anzugehen und die ordnungsrechtliche Unterbringung menschenwürdig zu gestalten, bedarf es (u.a.)
- wirksamer Maßnahmen, um Wohnraum durch Neubau zu schaffen,
- des Ausbaus der präventiven Beratungsstellen,
- einer auskömmlichen und verlässlichen Finanzierung der Angebote der Wohnungsnotfallhilfe,
- des Ausbaus spezifischer Hilfe- und Wohnangeboten für obdachlose und von Obdachlosigkeit bedrohte Frauen, Familien und pflegebedürftige Menschen,
- der Vorhaltung von ausreichenden Kapazitäten für die ordnungsrechtliche Unterbringung und adäquate Unterbringungsmöglichkeiten für Familien und Frauen,
- Mindeststandards in der ordnungsrechtlichen Unterbringung zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Wohnsituation.
Beitrag aus ParitätInform 01/2024