"Personal ist die Aufgabe, für die ich bezahlt werde!"

Fachinformation - geschrieben am 17.02.2022 - 13:28

„Man wirft mir vor, dass ich die meiste Zeit mit Personalthemen verbringe. Als ob ich keine anderen Aufgaben hätte.
Ich möchte an dieser Stelle sagen: Personal ist die Aufgabe, für die ich bezahlt werde.“

Larry Page | Mitbegründer von Google

Man kann einwenden, dass dies eine Leichtigkeit für ein Unternehmen ist, das in einem expandierenden Markt agiert und mit einem lukrativen Image punkten kann. In der Alten- und Gesundheitshilfe dagegen sieht es doch ganz anders aus. Zu schlecht ist das Image, zu fremdbestimmt die Rahmenbedingungen, zu eingeschränkt das unternehmerische Handeln, zu leergefegt der Markt an Fachkräften.

Heißt die Schlussfolgerung aber gerade dann und erst recht:

„Personal ist die Aufgabe, für die wir bezahlt werden – wenn wir unser Unternehmen, unseren Dienst, unsere Einrichtung auch zukünftig noch betreiben wollen?“

Die Herausforderungen sind immens

Die Verantwortlichen in der ambulanten und stationären Altenhilfe kennen die Herausforderungen des Arbeitsmarkts und die daraus resultierenden unternehmerischen Aufgaben. Zwei zentrale Herausforderungen seien an dieser Stelle genannt:

Die Altenhilfe gehört neben dem Gesundheitsbereich zu einem extrem von außen regulierten Markt. Ständig neue gesetzliche Vorgaben zwingen zu permanenten Veränderungen und Anpassungen. Nicht nur das Bewältigen der Corona-Pandemie macht müde, ebenso der permanente Veränderungsdruck, der kaum Luft zum Atmen lässt. Mit den Vorgaben des § 113 c zur Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) steht die nächste große Veränderungsaufgabe an. Von der Sache her notwendig, um endlich die Basis für ein adäquates Personalbemessungsverfahren zu schaffen, vom Zeitrahmen der Roadmap extrem sportlich, weil aller Voraussicht nach zu eng bemessen, von der Planungssicherheit bezüglich der Gestaltung des Übergangsverfahrens und der Vorbereitung entscheidender Pflegesatzverhandlungen ein großer Unsicherheitsfaktor.

Dazu kommt eine weitere permanente Herausforderung: der demografische Wandel. Da es sich um einen Megatrend handelt, ist er unumkehrbar. Mitarbeitende werden gemeinsam älter und weniger. Die Zusammenarbeit der Generationen, der Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden, das schnelle Besetzen offener Stellen werden daher zum zentralen Faktor unternehmerischer Bestandssicherung. Die Zahlen zeigen es schonungslos: Neben dem Handwerk steht die Altenhilfe ganz oben auf der Liste der durchschnittlichen Wiederbesetzung offener Stellen aller Engpassberufe in Deutschland im Jahr 2019 (siehe Grafik).

Personalmarketing und Personalentwicklung – eine nicht delegierbare Führungsaufgabe

Wer in Leitungsverantwortung ist, weiß um die Herausforderungen hinter diesen nackten Zahlen. Jede Maßnahme, die dazu beiträgt, diese Vakanzzeiten zu verkürzen, zahlt ein auf die Leistungsfähigkeit und Gesunderhaltung aller Teammitglieder sowie auf die Fehlzeitenreduktion innerhalb der Teams. Personalentwicklung und Personalmarketing sind eine nicht delegierbare Führungsaufgabe – und sie werden es noch lange bleiben.

Wege aus der Krise

Was also ist zu tun? Zunächst einmal ist es notwendig, den Gestaltungsspielraum zu nutzen, der bei allen Unklarheiten in der Übergangszeit zur Umsetzung der Roadmap des § 113 c zur Personalbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) gegeben ist.

Neben der strategischen Personalbedarfsplanung gilt es jetzt schon Vorbereitungen für eine an den Qualifikations- und Kompetenzniveaus ausgerichtete Personaleinsatzplanung zu treffen. Dies wiederum erfordert umfangreiche Aufgabenneuverteilungen zwischen den einzelnen Berufsgruppen in der Pflege, die wiederum eine Umorganisation von Arbeitsabläufen notwendig machen. Damit dies gelingt, müssen Rollenprofile neu entwickelt werden, um die mit der Umorganisation und Neuzuordnung verbundene Aufgabenverantwortung wahrnehmen zu können. Allen Leitungsverantwortlichen ist klar, dass dies eine Mammutaufgabe ist, die innerhalb eines unglaublich eng bemessenen zeitlichen Korridors geleistet werden soll. Professionelles Gestalten von Veränderungsprozessen gehört damit unweigerlich zum Führungsalltags und die Kunst besteht darin, Mitarbeitende aller Berufsgruppen an diesen Umsetzungsschritten zu beteiligen.

Doch bei allen Anstrengungen, die von Führungsverantwortlichen bei den Vorbereitungen zur Umsetzung der Roadmap innerhalb des vorgegebenen Zeitkorridors unternommen werden müssen, die Aufgabe qualifizierte Mitarbeitende für ihre Einrichtung und ihren Dienst zu gewinnen, bleibt bestehen – heute und in den nächsten Jahren.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Leitungs- und Personalverantwortliche wissen es inzwischen aus leidvoller Erfahrung: Es gibt nicht die einzige erfolgversprechende Maßnahme der Personalgewinnung und Personalbindung. Es braucht ein individuell aufgesetztes, strategisch geplantes und langfristig durchgeführtes Personalmarketing. Doch dieses ist nur dann erfolgreich, wenn es zurückgebunden ist an die Lebenswelt und an die Bedürfnisse der aktuellen und potenziellen Mitarbeitenden. Denn viele Bedürfnisse ergeben einen Bedarf.

An diesem Marketinggrundsatz lässt sich ansetzen: Es gibt eine sehr aufschlussreiche Studie der berufundfamilie Service GmbH, die 2019 Geschäftsführungen, Personalverantwortliche und Beschäftigte repräsentativer Unternehmen und Institutionen befragt hat. Eine Frage lautete: „Wie wichtig ist die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben bei der Wahl eines Arbeitgebers?

Die Antworten auf diese Frage sind übrigens nicht abhängig vom Geschlecht und von der gewählten Lebensform. Denn von allen befragten Beschäftigten betonen 81 Prozent der Frauen und 72 Prozent der Männer sowie 78 Prozent der Verheirateten, 73,7 Prozent der Ledigen und 70,2 Prozent der Geschiedenen die Bedeutsamkeit der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben für ihre Lebensqualität und den Einfluss auf die Wahl des Arbeitgebers.

Die nächste Frage spitzt noch weiter zu:

„Wäre die schlechte Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben für Sie ein Grund den Job zu wechseln?“

Zusammengefasst: 65 Prozent der befragten Erwerbstätigen beantworten diese Frage mit „Ja, auf jeden Fall“ oder „Eher ja“.

Diese Erkenntnisse ersetzen nicht die vielfältigen Maßnahmen der Personalgewinnung und -bindung, die Leitungs- und Personalverantwortliche unternehmen. Aber sie lenkt den Blick auf einen bisher noch unterentwickelten Aspekt der Personalentwicklung und des Personalmarketings.

Denn um zur Gewinnung und Bindung qualifizierter Mitarbeitender beizutragen, muss sie zum einen an der Strategie der Einrichtung und der Dienste ausgerichtet sein, andererseits sich aber auch an den Lebensphasen und -situationen von potenziellen und aktuellen Mitarbeitenden orientieren. Ohne Lebensphasenorientierung laufen viele Personalbeschaffungs- und Personalbindungsmaßnahmen ins Leere, weil die Instrumente keinen Bezug mehr zur Lebenswirklichkeit der Betroffenen haben. Ohne Berücksichtigung der Lebensphasen und den damit verbundenen Verpflichtungen aus dem familiären und privaten Umfeld gelingt es Einrichtungen und Diensten immer weniger, junge und qualifizierte Führungskräfte für Leitungsaufgaben zu gewinnen.

Wie gehen Unternehmen vor, die dies im Führungsalltag schon berücksichtigen?

Eine Konsequenz der demografischen Entwicklung ist die Abkehr vom Senioritätsprinzip und die Zunahme asymmetrischer Führungskonstellationen. Konkret heißt dies, dass nicht mehr automatisch die Ältesten und Erfahrensten Vorgesetzte sind, sondern zunehmend jüngere Führungskräfte ältere und langjährige Mitarbeitende führen. Autorität leitet sich dabei nicht mehr aus der Führungsrolle, sondern aus der Kompetenz und Integrität ab.

Weitblickende Unternehmen unterstützen diese Führungskräfte daher durch generationenübergreifende Lerntandems oder Mentorenmodelle, bei denen das gegenseitige Lernen, die gegenseitige Kompetenzvermittlung von „jung“ zu „alt“ und umgekehrt ein wichtiger Baustein der Bindung qualifizierter Führungskräfte ist. Außerdem ist dies ein Weg, Erfahrungskompetenz im Unternehmen zu halten, gerade dann, wenn in den nächsten Jahren langjährige und bewährte Führungsverantwortliche altersbedingt ausscheiden werden.

Um zukünftig keine Potenziale zu verlieren und um vor allem qualifizierten Frauen den Einstieg in Führungspositionen zu ermöglichen, werden gerade Modelle von „geteilter Führung“, von „Führung in Teilzeit“ oder auch von „Führung auf Zeit“ heiß diskutiert und modellhaft erprobt. Erfahrungen aus dem Krankenhausbereich zeigen, dass es über diesen Weg gelingt, qualifizierte (Ober-)Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen und zu halten, eine Berufsgruppe, die Erwerbstätige gesamt Fachkräfte im Personalwesen/Human Ressources Entscheider*innen gerade erkennt, dass Lebensqualität und berufliche Erfüllung gleichberechtigte Priorität haben können.

Eine dritte Entwicklung, die sich gerade abzeichnet und die durch die Corona-Pandemie eine unglaubliche Beschleunigung erfahren hat, ist die Notwendigkeit, als Führungsverantwortliche Teams aus der Ferne und aus räumlicher Distanz zu führen. Gerade bei Teams, die sich nur noch selten real und in Präsenz begegnen, ist es eine wichtige Zukunftsaufgabe, für Teamzusammenhalt und Teambindung zu sorgen. Führungsverantwortliche aus der ambulanten Altenhilfe haben dabei einen Erfahrungsvorsprung, sind sie es doch gewohnt, Teams zu führen, deren Mitglieder sie nicht regelmäßig sehen und begegnen können.

Fazit: Was die Zukunft bringt, wird heute entschieden

Sind die vor uns liegenden Aufgaben schwierig? Ganz sicher. Sind sie überhaupt notwendig? Die Gegenfrage sei erlaubt: Was passiert, wenn nichts getan wird? Die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Menschen gerne in diesen Berufsfeldern der Altenhilfe und Gesundheitshilfe arbeiten, das ist Aufgabe der Politik und der Verbände. Den Gestaltungsspielraum innerhalb dieser Rahmenbedingungen zu nutzen, das ist die Aufgabe von Führungsverantwortlichen. Wie hat es schon Larry Page gesagt? „Personal ist die Aufgabe, für die ich bezahlt werde.“

Martin Volz-Neidlinger
Volz-Neidlinger & Partner Educonsulting

Beitrag aus PARITÄTinform 4/2021

Wichtige Werkzeuge

Artikel merken