PARITÄTISCHE Mitgliedsorganisationen suchen den Dialog mit Landtagsabgeordneten

Fachinformation - geschrieben am 25.11.2021 - 13:50

Nordschwarzwald/Pforzheim/Enzkreis/Calw/Freudenstadt       Rund 200 Tagen nachdem der 17. Landtag von Baden-Württemberg gewählt wurde, sucht der PARITÄTISCHE Regionalverbund Nordschwarzwald und seine Mitgliedsorganisationen beim Sozialpolitischen Fachforum, kurz SoFa den Austausch mit den gewählten Landtagsabgeordneten aus den  Wahlkreisen Calw, Enzkreis, Freudenstadt und Pforzheim. Stefanie Seemann (Die Grünen/Enzkreis) und Prof. Dr. Erik Schweickert (FDP/Enzkreis) stehen in der rund zweistündigen Veranstaltung sieben Vertreter*innen paritätischer Mitgliedsorganisationen Rede und Antwort. Im Zentrum des Dialogs stehen die prekäre Gesundheitssituation von Schwangeren und Sexarbeitenden mangels medizinischer Versorgung und finanzieller Förderung, die Forderung nach einer gesicherten Finanzierung von Frauenhäusern und den kostenfreien Zugang und Schutz für von gewaltbetroffene Frauen und ihren Kindern, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sowie die große Wohnungsnot und die erheblichen Schwierigkeiten bezahlbaren Wohnraum zu finden.

„Seit 2020 gibt es in der Region Pforzheim und Enzkreis kein Angebot für Frauen zum Abbruch in der Frühschwangerschaft“, stellt Edith Münch, Geschäftsführerin von pro familia Pforzheim e.V. fest. Die große Versorgungslücke führe für Frauen und Familien in der Region zu einer schlechteren gesundheitlichen Versorgung, zu weiteren Benachteiligungen und zu einer verschlechterten Lebenssituation, so die Geschäftsführerin von pro familia weiter. Auch die Versorgung von schwangeren Frauen durch Hebammen sei derzeit nicht ausreichend, „Frauen müssen oftmals für die Geburt bis zu 50 km zurücklegen“, schildert Münch die Situation, „und, dass obwohl 2019/2020 die Geburtenrate in der Region, die höchste in ganz Baden-Württemberg war.“
Die mangelnde medizinische Versorgung beklagt auch Claudia Jancura, Geschäftsführerin der Aidshilfe Pforzheim e.V. „Gerade für Menschen ohne Krankenversicherung fehlt es an medizinischer Versorgung“, führt Jancura aus. Mit den mobilen Teams der Aspasia-Fachberatungsstelle für Prostituierte ermöglicht die Aidshilfe Sexarbeiter*innen an deren Aufenthalts- und Arbeitsorten einen niedrigschwelligen Zugang zu Beratung und Hilfestellung. Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt und Zwangsprostitution sowie Betroffene von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, werden bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention* leider vergessen, so Jancura. „Wir brauchen für diese Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung, ausreichend Schutzraum und eine nachhaltige Finanzierung der Beratungsangebote“, fordert die Geschäftsführerin der Aidshilfe.

Jegliche Planungssicherheit fehlt auch den Einrichtungen in der Frauenhilfe. Seit über 40 Jahren wird die Finanzierung von Frauenhäusern sowie auch die der Frauenberatungsstellen von Legislaturperiode zu Legislaturperiode neu entschieden. Eine weitere Hürde sei die fehlende gesetzliche Vorgabe, die eine Kostenerstattung für von Gewalt betroffene Frauen gewährleistet außerhalb des SGB II, bemängeln die beiden Vertreter*innen der Frauenhilfe.  Das heißt, wenn eine Studentin, eine Auszubildende, eine Rentnerin oder eine Frau mit eigenem Einkommen einen Frauenhausplatz sucht, muss die Kostenübernahme zunächst geklärt werden. Im schlimmsten Fall müssen die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus, den von Gewalt betroffene Frauen absagen in dem Wissen, „dass sie nicht sicher sind“, betont Katrin Schwahn vom Frauenhaus Calw. Gewaltschutz darf weder eine individuelle Sozialleistung noch eine freiwillige Leistungserbringung sein oder gar abhängig vom Gusto der aktuellen politischen Entscheidungsträger, hält Martina Sillmann von der FrauenHilfe Freudenstadt fest. Zudem bemängeln die beiden die fehlenden Plätze in Frauenhäusern in ganz Baden-Württemberg und konkret in der Region. Die Istanbul-Konvention gibt vor ein Familienplatz (in Deutschland aktuell 2,59 Betten) pro 10.000 Einwohner*innen vorzuhalten. Nach dieser Berechnung fehlen im Landkreis Calw 41, im Enzkreis 52, in Pforzheim 7 sowie im Landkreis Freudenstadt 16  Familienplätze.

„Die Arbeit der Migrationsberatung ist unglaublich umfangreich. Hier bekommt die gut ausgebildete Spanierin Hinweise, wie sie ihren Berufsabschluss anerkennen lassen kann. Der Zeitarbeiter aus Bulgarien erfährt, was Kurzarbeitergeld ist und ob er darauf Anspruch hat. Oder der anerkannte Flüchtling wird dabei unterstützt, seine Familie aus Syrien nach Deutschland zu holen“, sagt Regina Ehrismann, Bereichsleitung Menschen mit Migrationshintergrund bei miteinanderleben e.V. in Pforzheim. „ Wir können so vielen Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, zeigen, welche Möglichkeiten und Wege es gibt, um sich hier zurechtzufinden und Teil der Gesellschaft zu werden. Ehrismann begrüße die Inhalte des Integrationsmanagement im Koalitionsvertrag sowie die Projektfortschreibung um ein weiteres Jahr, wenn auch nur zu einer reduzierten Fördersumme. Klärungsbedarf bestehe jedoch laut Ehrismann in der mangelnden Definition von Aufgaben des Integrationsmanagements und deren Zielgruppe sowie eine klare Perspektive zur Finanzierung für den Fortbestand der Angebote.

"Es ist die Aufgabe der Politik, den sozialen Wohnungsbau im Land voranzutreiben“, fordert Harald Stickel, Mitglied im Kreisvorstand des Paritätischen und Geschäftsführer bei Plan B. Bei allen angesprochenen Themenfelder fehle es den entsprechenden Zielgruppen grundsätzlich an bezahlbarem Wohnraum. Sexarbeiter*innen, die aussteigen benötigen für den Übergang eine Unterkunft, Frauen und ihre Kinder, die von Gewalt betroffen sind, sind auf eine Anschlussunterbringung nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus angewiesen sowie auch Menschen mit Migrationshintergrund brauchen bezahlbaren Wohnraum, und unabhängig davon ob es sich um Hartz IV-Empfänger oder Menschen mit Einkommen handelt, sie alle benötigen Wohnraum, fasst Ute Hötzer, Mitglied im PARITÄTISCHEN Kreisvorstand und Geschäftsführerin von Q-Prints zusammen. Der PARITÄTISCHE Kreisverband spricht sich für die Einführung einer Sozialquote, wie es bereits in vielen Großstädten bereits eingeführt wurde, aus. Unter Sozialquote versteht der Kreisverband, dass bei größeren Mietwohnungsbauvorhaben 20 % Sozialwohnungen integriert werden.Hötzer mahnt, „wenn soziale Probleme aufgrund von mangelndem Wohnraum entstehen, dann kostet das unsere Sozialsysteme immens viel Geld!“

*Istanbul-Konvention: Die Istanbul-Konvention aus dem Jahr 2011 ist ein menschenrechtlich bindender Vertrag, der Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpft. Die Istanbul-Konvention schreibt unter anderem ein bedarfsdeckendes, spezialisiertes und qualifiziertes Hilfe- und Unterstützungssystem für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen vor. Auch Präventionsmaßnahmen, Intervention sowie Aus- und Fortbildung bestimmter Zielgruppen sind hier verankert. Deutschland hat die Istanbul-Konvention im Jahr 2017 ratifiziert, sie ist am 01. Februar 2018 in Kraft getreten. Sie ist zentrales Instrument zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* und häuslicher Gewalt.

Weiterführende Informationen wie Kontaktdaten der Gesprächspartner*innen im Begleitheft (s.u.)!

 

Hintegrundinformation:

DER PARITÄTISCHE Regionalverbund Nordschwarzwald ist einer der 12 Regionalverbünde im Landesverband, der sich im Rahmen der Neustrukturierung der regionalen Verbandsarbeit im Frühjahr 2019 gegründet hat. Ihm gehören die Kreisverbände Calw, Freudenstadt und Pforzheim/Enzkreis mit insgesamt 121 Mitgliedsorganisationen an. Die Mitgliedsorganisationen und -einrichtungen sind in den Bereichen der Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendschutz, Familie und Bildung, Straffälligen- und Opferhilfe, Suchtberatung und –hilfen, Teilhabe und berufliche Wiedereingliederung, Altenhilfe, Selbsthilfe sowie Mädchen- und Frauenarbeit, fachspezifische Beratungsangebote, Gesundheit und Prävention tätig. Weitere Informationen unter www.paritaet-bw.de/nsw

Begleitheft SoFa 24.11.2021

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