Konsequente Gleichstellung und ein entschiedener Kampf gegen Gewalt an Frauen

Fachinformation - geschrieben am 11.04.2023 - 10:39

Die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie die Umsetzung der sogenannten Istanbul-­Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt stellen zentrale Ziele im Koalitionsvertrag dar. PARITÄTinform sprach mit Dr. Ute Leidig, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden­-Württemberg, über Errungenschaften und Entwicklungen in diesen Feldern in herausfordernden Zeiten.

Frau Dr. Leidig, Sie sind nun knapp zwei Jahre im Amt als Staatsekretärin für Soziales, Gesundheit und Integration – welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Meine ersten beiden Jahre im Amt sind von Krisen durch die Corona-Pandemie und den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geprägt gewesen. Diese schwierigen Zeiten haben mich in meiner Erfahrung bestärkt, wie wichtig eine konsequente Gleichstellungspolitik ist. In Krisenzeiten sind Resilienz, Haltung und strukturelle Teilhabechancen essenziell. Ich setze mich gezielt dafür ein, Frauen zu stärken und ihre noch immer bestehende strukturelle Benachteiligung zu überwinden.

Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen prägen seit jeher die Berufsbiografien von Frauen. Für viele ist die Vereinbarkeitsaufgabe ein schwieriger Balanceakt – wo sind die größten Baustellen?

Ja, es stimmt, Elternschaft und Pflege von Angehörigen sind wesentliche Treiber von Ungleichheit in unserer Gesellschaft, denn sie bedingen häufig Brüche in den Berufsbiografien. Bisher haben wir uns vor allem auf die Rahmenbedingungen von Frauen konzentriert. Aktuelle Umfragen zeigen allerdings, dass viele Väter heute eine partnerschaftliche Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit anstreben und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Als Landesregierung unterstützen wir diese positiven Entwicklungen. Seit Mitte November 2022 fördern wir in fünf Kommunen innovative Projekte, die die Verteilung von Sorgearbeit sichtbar machen und für eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit sensibilisieren. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse! Auch im Rahmen unserer geplanten Gleichstellungsstrategie, die bis 2025 erarbeitet wird, werden wir uns diesem Thema widmen. Dank der Einbindung aller Ressorts gehen wir dabei in alle Bereiche der Gesellschaft.

Die Corona-Pandemie wie auch der Fachkräftemangel in Kitas und bei Pflegediensten bedrohen gleichstellungspolitische Errungenschaften. Wie kann die Landespolitik hier gegensteuern?

Mit der Schließung von Betreuungseinrichtungen und Schulen und persönlicher Kontaktbeschränkungen während der Lockdowns waren Eltern, Kinder und Jugendliche sowie pflegende Angehörige vor enorme Herausforderungen gestellt. Vor allem Mütter leisteten noch mehr Sorgearbeit als bisher, was sich unmittelbar auf ihre Erwerbstätigkeit auswirkte. Einmal mehr zeigte sich, dass flexible Arbeitszeiten und stabile Betreuung entscheidend für die Gleichberechtigung sind. Hier will ich mich für praktische und konkrete Lösungen einsetzen.

Wie kann die geplante ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie dazu beitragen, den strukturellen Benachteiligungen von Frauen in Baden-Württemberg entgegenzuwirken?

Ich will es an einem zentralen Beispiel erklären: Aktuell zeigt uns die Berechnung des Gender Pay Gap von 2022, warum die Gleichstellung der Geschlechter interdisziplinär angegangen werden muss und warum wir dafür eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie brauchen. Laut Statistischem Landesamt verdienten Frauen in Baden-Württemberg 2022 durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer. Dies bezeichnet den unbereinigten Gender Pay Gap, der strukturelle Unterschiede einschließt. Frauen entscheiden sich oft für Berufe mit geringerer Bezahlung, arbeiten häufiger in Teilzeit und haben seltener gut dotierte Führungspositionen. Aber auch der bereinigte, also vergleichbare Wert, beträgt noch sieben Prozent Verdienstunterschied. Hier bedarf es einer Anstrengung auf vielen Ebenen – Bildung und Ausbildung sind entscheidend, aber auch die Wirtschaft, öffentliche Einrichtungen, die Wissenschaft und die sozialen Sicherungssysteme sind hier angesprochen. Die Landesebene wird hier nicht im Alleingang strukturelle Benachteiligungen auflösen können. Aber ich bin mir sicher, wir können einen guten Beitrag leisten. Mit der Gleichstellungsstrategie wollen wir genau solche Querschnittsthemen gemeinsam mit allen Ministerien und den unterschiedlichen Interessenvertretungen angehen.

Die Gewaltbetroffenheit von Frauen ist nach wie vor hoch. In Deutschland erlebt jede dritte Frau in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt. Was tut die Landesregierung dagegen?

Der entschiedene Kampf gegen Gewalt an Frauen ist uns als Landesregierung sehr wichtig. Seit 2018 besteht in Deutschland die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Wir setzen diese bis Ende 2024 in unserem Landesaktionsplan um und schaffen gemeinsam mit dem Innen-, dem Justiz-, dem Kultusministerium sowie dem Frauenhilfe- und Unterstützungssystem und den kommunalen Vertretungen ein noch stärkeres Gewaltschutzsystem. Denn Prävention, funktionierende Interventions- und Sanktionsmöglichkeiten sind elementar beim Schutz vor Gewalt.

Außerdem legen wir einen Fokus auf neue Gewaltformen wie der digitalen Gewalt. So positiv die Entwicklungen der Digitalisierung sind, so hoch ist die Gefahr, dass diese bei Stalking oder Hatespeech missbraucht werden. Seit 2021 haben wir eine Koordinierungsstelle zur Bekämpfung digitaler Gewalt eingerichtet, die mit Aufklärung und Sensibilisierung gegen Kontrollausübung, Manipulation und damit häusliche Gewalt in digitalen Räumen angeht.

Frauen in ländlichen Gebieten erhalten nur schwer Zugang zu passender Hilfe in der Not. Woran liegt das und was macht die Landesregierung dagegen?

Aus meiner Sicht liegt das an zwei Faktoren. Zum einen werden Gewalterfahrungen oft immer noch als Privatsache angesehen. Auf dem Land ist es für eine Frau schwieriger, unbemerkt von ihrem sozialen Umfeld Hilfe aufzusuchen. Zum anderen gibt es in den städtischen Gebieten mehr Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten als auf dem Land. 

Die Landesregierung hat gezielte Maßnahmen ergriffen, um diese Unterschiede zu überwinden. Wir fördern Mobile Teams der Fachberatungsstellen, die im ländlichen Raum flexibel einsetzbar sind und durch neue Beratungskonzepte bisher unterversorgte Regionen erschließen. Auch haben wir die Zahl an Frauenhausplätzen ausgebaut. Insgesamt haben wir die Mittel im Gewaltschutz in sechs Jahren auf heute fast zwölf Millionen Euro versiebenfacht.

Frauen erleben es als alltäglich, belästigt zu werden oder Angst auf dem Nachhauseweg zu haben – mit weitreichenden Folgen, über die wir zum Beispiel mit unserer Kampagne „nachtsam“ für ein sicheres Nachtleben sensibilisieren. Wir ergreifen zahlreiche Maßnahmen, um Belästigung und Angstempfinden von Anfang an zu verhindern. Für mich gilt: Nicht Frauen müssen ihr Verhalten ändern, die Täter müssen es! Und dazu kann jede und jeder von uns beitragen.

Staatssekretärin Dr. Ute Leidig MdL
Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg

 

Beitrag aus PARITÄTinform 1/2023

 

Wichtige Werkzeuge

Artikel merken