„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 SGB VIII).
Die Verwirklichung dieses Rechts ist unser Auftrag. Es ist der gemeinsame Auftrag für die Träger der öffentlichen und der freien Jugendhilfe. In Baden- Württemberg haben wir in den vergangenen Jahrzehnten im guten partnerschaftlichen Miteinander, sowohl vor Ort in den Städten und Gemeinden als auch auf Landesebene, einen Rahmen für Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe auf- und ausgebaut, in welchem die Bedarfe überwiegend befriedigt werden konnten. Junge Menschen in Baden-Württemberg hatten allgemein gute Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen. Hatten?
Es blitzt und donnert in der Praxis
Mittlerweile machen Blitzlichter aus der Praxis deutlich, dass die Kinder- und Jugendhilfe mit großen Herausforderungen konfrontiert ist: zunehmende Belastungen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien treffen auf Fachkräftemangel, steigende Kosten und immer wieder neue Aufgabenstellungen von Bund und Land. Der Problemdruck steigt schnell. Einige sprechen bereits vom drohenden Kollaps des Systems.
Die volkswirtschaftlich zur Verfügung stehenden Ressourcen Personal, Finanzmittel und Räume werden knapper. Gleichzeitig wächst in vielen gesellschaftspolitisch relevanten Feldern die Notwendigkeit zu handeln. Das werden wir akzeptieren müssen. Die Politik auf allen staatlichen Ebenen ist gefordert, über Vor- und Nachrangigkeiten zu entscheiden. Aus Sicht des Städtetags Baden-Württemberg sollte die Gestaltung einer zukunftsfähigen Kinder- und Jugendhilfe auf der Agenda ganz oben stehen.
Wir müssen die Probleme beschreiben, Belastungen sowie Grenzen des Handelns ehrlich benennen und die politischen Verantwortungsträger für den drohenden Verlust der Leistungsfähigkeit der Kinder- und Jugendhilfe sensibilisieren. Und dann müssen wir die Gestaltung der Zukunft angehen.
Chancen nutzen – neue Räume schaffen
Unsere Mitglieder verstehen sich als „Lösungsfinder“ und „Zukunftsmacher“. Allen Akteuren sollte bewusst sein, dass die Probleme, mit denen wir heute und in den nächsten Jahren umgehen müssen, nicht mit den bisherigen Konzepten zu lösen sein werden. Es bedarf neuer Handlungsansätze, neuer Perspektiven, neuer Wege. Wir brauchen echte Innovation.
Die Gesetzgeber in Bund und Land sowie die Mandatsträger*innen in den Hauptorganen der Kommunen sollten einen Rahmen öffnen, der es den Gestalter*innen der öffentlichen und der freien Kinder- und Jugendhilfe ermöglicht, in pragmatischer Weise und entlang der tatsächlichen Möglichkeiten vor Ort bedarfsgerechte Leistungen für junge Menschen und ihre Familien zu entwickeln. Wenn diese gemeinsam konzipiert werden und sich aus einer strategisch ausgerichteten, integrierten Planung sozialer Daseinsvorsorge ableiten, wird die Kinder- und Jugendhilfe in Baden-Württemberg auch zukünftig verlässlich arbeiten können.
Benjamin Lachat
seit 2014 Dezernent für Familie und Soziales des Städtetags Baden-Württemberg
Mitglied des Landesjugendhilfeausschusses, stellvertretender Vorsitzender des Landesjugendkuratoriums
aktuell Vorsitzender der Kommission Kinder- und Jugendhilfe
Beitrag aus ParitätInform 2/2024