Der Fachkräfte- bzw. mittlerweile der generelle Kräftemangel bestimmt zunehmend den Alltag in Unternehmen in Deutschland. 2022 wurden mehr als 630.000 offene Stellen für Fachkräfte nicht besetzt. Hier ist der Gesundheits- und Sozialbereich laut der TU Darmstadt besonders betroffen. Welche Maßnahmen können hier entgegenwirken und wie kann man das als Sozialunternehmen proaktiv gestalten? Der folgende Artikel versucht, diese Fragen zu beleuchten.
Lebenshilfe Donau-Iller initiiert neuen Studienbereich im Teilhabebereich
„Lebenslanges Lernen“ lautet der Slogan der Lebenshilfe Donau-Iller. Zehn Fachkräfte des Sozialunternehmens mit 1.300 Mitarbeitenden können zukünftig akademisch fundiertes Fachwissen einbringen: Sie sind Teilnehmer*innen des neuen Studiengangs Gesundheitswissenschaften, Heilerziehungspflege und Management.
Bei der Lebenshilfe Donau-Iller ist aus dem Mangel an Fach- und Hilfskräften der Antrieb entstanden, neue Entwicklungs- und Karriereperspektiven im Beruf Heilerziehungspflege zu schaffen. Der gemeinsam mit der SRH-Hochschule und der Paritätischen Akademie Süd initiierte bundesweite Bachelor-Studiengang „Gesundheitswissenschaften, Heilerziehungspflege und Management“ startet im Frühjahr 2024.
Innovationsgeist statt Krisenstimmung
Die Lebenshilfe Donau-Iller versucht, dem Fachkräftemangel mit Innovationsgeist und Tatkraft zu begegnen und schafft für die Nachwuchskräfte gute Aussichten. Der demografische Wandel und die damit einhergehende Personalknappheit, gerade auch im sozialen Bereich, sind lange bekannt. Als eine Antwort darauf wurde bereits seit 2015 ein unternehmenseigenes Fort- und Weiterbildungsinstitut gegründet, um Mitarbeitenden ein lebenslanges Lernen und Entwickeln zu ermöglichen.
Weiterhin wurde analysiert, was den zahlenmäßig größten Mitarbeiter*innenpool, die Heilerziehungspflegenden, besonders unterstützen könnte und dies auch mit einem externen Vergleich mit der Situation in der generalisierten Pflegeausbildung. Auffallend war hier, dass Entwicklungs- und Aufstiegschancen nur bedingt zugänglich waren und auch eine praxisorientierte und fachspezifische Akademisierung in Deutschland nicht zugänglich ist.
Zusammenarbeit mit mobiler Hochschule und dem Paritätischen
Gemeinsam mit der SRH-Fernhochschule und der Paritätischen Akademie Süd konnte so ein Lehrprogramm für den Studiengang „Gesundheitswissenschaften, Heilerziehungspflege und Management“ entwickelt werden. In drei Semestern können die Fachkräfte aus der Behindertenhilfe auf der Basis ihrer dualen Ausbildung ihre Kenntnisse erweitern und sich akademische Fähigkeiten aneignen.
Studieninhalte
Das berufsbegleitende, mobile Studium an der SRH vermittelt Inhalte der Gesundheitswissenschaften und Angebotsstrukturen im Gesundheitswesen, über Teilhabe in theoretischer, juristischer und praktischer Dimension sowie Organisations- und Management-Knowhow. Neben elf Pflicht- und Spezialisierungskursen sind zwei Wahlmodule vorgesehen. Hier können die Studierenden sich mit vielfältigen Themen befassen, wie zum Beispiel:
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Krankheitslehre und Medikation
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Prävention, Gesundheitsförderung und Rehabilitation
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Gesundheitspsychologie oder -soziologie
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Angewandte Prävention – Ernährung – Bewegung-Entspannung
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Sozial- und Gesundheitspolitik
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Rehabilitationspsychologie
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Ernährungspsychologie und Ernährungslehre
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Neurorehabilitation
Das Studium findet vorwiegend virtuell statt und ist somit bundesweit verfügbar. Die Präsenzphasen mit Praxisbezug sind auch in Ulm geplant.
Zielgruppe des berufsbegleitenden Studiengangs
Der Studiengang richtet sich an Mitarbeitende aus dem Teilhabereich, die sich fachlich weiterqualifizieren möchten. Ob Berufserfahrene oder Berufseinsteiger*innen, der Studiengang an der Fernhochschule SRH ist für eine breite Zielgruppe attraktiv. Gemeinsam haben sie das Interesse, an einer gelingenden Gesellschaft mitzuwirken, den Inklusionsgedanken zu leben und täglich für Menschen mit Behinderung da zu sein. Im ersten Jahr werden voraussichtlich zehn Mitarbeitende der Lebenshilfe Donau-Iller den Studiengang absolvieren. „Ich will bei der Lebenshilfe am Menschen arbeiten und möchte gerne studieren“, formuliert Jessica ihre Motivation. Die 18-jährige ist aktuell im Freiwilligen Sozialen Jahr und möchte anschließend bei der Lebenshilfe bleiben. Bereits viele Jahre in der Heilerziehungspflege tätig, sagt Sarah: „Ich möchte junge Menschen für die Berufung der Heilerziehungspflege begeistern und weitere Entwicklungsmöglichkeiten gestalten.“ Mit einer fundierten akademischen Ausbildung aufbauend auf ihrer Ausbildung der Heilerziehungspflege, kann die 32-jährige sich als Fachkraft weiterentwickeln.
Weiterentwicklung für die soziale Organisation
Die kontinuierlichen Entwicklungschancen für Fachkräfte werden hier als maßgeblich für eine niedrige Fluktuation und eine hohe Mitarbeitenden-Zufriedenheit gesehen. Das Bundesteilhabegesetz hat einen Veränderungsprozess in der Eingliederungshilfe/Behindertenhilfe angestoßen, der von den Fachkräften weiterhin neue Denkweisen und die motivierte Umsetzung neuer Prozesse und Strukturen erfordert. Das berufsbegleitende, fachspezifische Studium birgt große Chancen. Die akademische Qualifizierung von Fachkräften kann weiterhin als Motor für das Changemanagement in sozialen Organisationen wirken.
Von der Fürsorge zur Selbstbestimmtheit
Die Professionalisierung im sozialen Sektor hat auch die Lebenshilfe Donau-Iller geprägt. Seit 1960 entwickelte sich aus dem Elternverein ein großes Netz an Beratungs-, Bildungs-, Betreuungs-, Freizeit- und Arbeitsangeboten mit nahezu 1300 Mitarbeitenden. In der Region Ulm/Neu-Ulm, zwischen Blaustein, Günzburg und Illertissen, begleitet der gemeinnützige Verein an über 35 Standorten rund 2.500 Menschen mit Behinderung. Im Mittelpunkt steht ihre Teilhabe an der Gesellschaft und ihre Selbstbestimmtheit. Von der Frühförderung über Kindergarten und Schule, von Wohnstätten und ambulant unterstütztem Wohnen bis zu Berufsbildung, vielseitigen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben und der Inklusionsfirma widmet sich die Lebenshilfe Donau-Iller dem Ziel: Inklusion innovativ und menschlich gestalten.
Dr. Jürgen Heinz
Vorstandsvorsitzender
Lebenshilfe Donau-Iller
Beitrag aus ParitätInform 2/2023