Herausforderungen meistern und Zukunft formen
Kinder- und Jugendhilfe als Garant für eine kinder- und familienfreundliche Umgebung
Gehen Sie einmal bewusst durch Ihre Stadt oder Ihr Wohnviertel und nehmen es aus den Augen von jungen Menschen und Familien wahr. Welche Angebote entdecken Sie? Da sind sicher eine Kindertageseinrichtung und ein Schülerhort, ein Jugendhaus oder ein Jugendtreff. Vielleicht auch ein Eltern- oder Müttertreff, eine Erziehungsberatungsstelle und eine Jugendberatung. An der Schule hängt ein Plakat für die Sprechstunde bei der Schulsozialarbeiter*in. War da nicht noch eine Jugendhilfeeinrichtung oder eine Wohngruppe, in der Kinder und Jugendliche leben? Unmittelbar in Ihrer Nähe gibt es vielleicht eine Familie, die Unterstützung durch eine Sozialpädagogische Familienhilfe erhält und in der Nachbarschaft leben Kinder in einer Pflegefamilie oder werden von einer Tagesmutter betreut. Und nicht zu vergessen, da gibt es noch das Jugendamt für Beratung und Unterstützung und als Akteur zum Schutz von Kindern.
All dies zählt zur Kinder-und Jugendhilfe in Deutschland und trägt maßgeblich zu positiven Lebensbedingungen sowie einer kinder- und familienfreundlichen Umgebung in unserer Gesellschaft bei. Dies ist zwingend notwendig, damit sich junge Menschen gut entwickeln und gleichberechtigt am Leben in unserer Gesellschaft teilhaben können. Die Kinder- und Jugendhilfe ist somit ein wichtiger Bestandteil unserer Daseinsfürsorge.
Neue gesetzliche Herausforderungen meistern
Über all die Jahre hat sich die Kinder- und Jugendhilfe kontinuierlich weiterentwickelt, ausdifferenziert und an Bedarfen orientiert. Ermöglicht wurde diese Ausgestaltung durch die gesetzliche Verankerung im SGB VIII. Der Prozess der stetigen Weiterentwicklung hält an, denn die Kinder- und Jugendhilfe steht aktuell und zukünftig vor weiteren Heraus- forderungen. Die Umsetzung gesetzlicher Änderungen im SGB VIII, die durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2021 eingeflossen sind, stellt eine dieser Herausforderungen dar. Neben der Stärkung der Rechte von jungen Menschen und ihrer Eltern sowie einer weiteren Verbesserung des Kinderschutzes ist die inklusive Ausrichtung.
zu nennen. Spätestens zum 1. Januar 2028 soll die Kin- der- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen mit und ohne Behinderungen zuständig sein. Dies erfordert ein Umdenken, ein Zusammenführen bzw. einen Umbau der Angebote, nicht nur räumlicher Art! 2026 wird der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder den Ausbau eines weiteren Angebots erforderlich machen. Zudem steigen die Bedarfe an stationären Unterbringungsmöglichkeiten für jun- ge Menschen in Einrichtungen und Pflegefamilien.
Der Mehrbedarf an Angeboten trifft aber in der Praxis vor Ort auf fehlende Angebote, meist verursacht durch den Fachkräftemangel, der auch vor der Kinder- und Jugendhil- fe nicht Halt macht. Diese Situation wird sich verschärfen, wenn die Generation der Babyboomer bis 2030 in Rente geht. Umso mehr müssen die Personalgewinnung und -bindung, die Neugestaltung von Angeboten sowie die Vereinfachung von Verwaltungs- und Verfahrensabläufen in den Fokus rücken. Digitalisierung und KI können hierbei unterstützen. Sie müssen in der Kinder- und Jugendhilfe mitgedacht werden, immer unter der Abwägung von Chancen und Risiken. Die Entwicklung befindet sich im Vergleich zur Dynamik im Wirtschaftsbereich oder der Pflege noch in den Kinderschuhen.
Die Kinder- und Jugendhilfe stellt nicht nur die Angebote für ein gutes Aufwachsen von jungen Menschen sicher, sie leistet auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit einen wichtigen Beitrag. Themen wie Ernährung, erneuerbare Energien, energetische Gebäude- umbauten sind im Aufgabenfeld der Kinder- und Jugendhilfe bereits angekommen und machen Veränderungen erforderlich.
Neues Denken und Innovationen
Die Kinder- und Jugendhilfe befindet sich bereits mitten im Transformationsprozess, der neues Denken und Innovationen erforderlich macht: Was benötigen junge Menschen und Familien konkret in den nächsten Jahren? Wie können diese Angebote mit Kooperationspartnern gemeinsam und viel- leicht in einem Trägerverbund im Lebensraum der Familien und Kinder geschaffen und gestaltet werden? Wie sichern wir Kinderschutz und Teilhabe ab? Wie können wir Fachkräfte bzw. Personal gewinnen und von nicht-pädagogischen Auf- gaben entlasten? Welcher Ressourcen bedarf es?
Für all das braucht es politische Entscheidungen, die junge Menschen im Blick haben und die Kinder- und Jugendhilfe stärken. An diesen Entscheidungen sind junge Menschen und ihre Familien aktiv zu beteiligen. So werden Sie zukünftig „Wir haben geöffnet“ an den Türen der Jugendhilfeangebote bei Ihnen vor Ort lesen können.
Für „Jugendhilfe reloaded“ bedeutet dies konkret
- Einnehmen eines neuen Blickwinkels. Es geht um mehr als „Quantität statt Qualität“ oder „alles muss weitergehen wie bisher“
- Beteiligung von jungen Menschen, Familien und Selbstvertretungen bei der Planung und (Weiter-) entwicklung von Angeboten
- Ermöglichung eines qualifizierten Quereinstiegs zur Personalgewinnung und stärkere Personaleinsatzverantwortung beim Träger
- Ausbau von Studien- und Ausbildungsplätzen für die Berufe in der Kinder- und Jugendhilfe
- Schaffung und Finanzierung von besseren personellen Rahmenbedingungen in der stationären Jugendhilfe
- Fokussierung auf gesetzliche Aufgaben und Entlastung als „Ausfallbürge“ für andere Bereiche. Stärkung von Kooperationen, Einbringen der jeweiligen Fachkompetenz und Entstehen eines Miteinanders
- Schulterschluss von öffentlicher und freier Jugendhilfe für eine zukunftsfähige und starke Kinder- und Jugendhilfe
- Voranbringen von Digitalisierung und des Einsatzes von Künstliche Intelligenz (KI)
- Förderprogramme und gesicherte Finanzierung für das Ziel der Nachhaltigkeit
- Realitätscheck der gesetzlichen Regelungen und ggf. notwendige Anpassungen
Beitrag aus ParitätInform 2/2024