International aus Prinzip

Fachinformation - geschrieben am 09.03.2022 - 12:00

Vielfalt als Qualitätsmerkmal und Grundlage für eine starke Gemeinschaft

Der permanente Personalmangel stellt viele Unternehmen der Altenhilfe, eigentlich sämtliche Unternehmen für medizinische Dienstleistungen in Deutschland, zunehmend vor kaum lösbare Probleme. Es ist ein grundsätzlicher Mangel, der in der gesamten Republik herrscht. Nicht nur Fachkräfte und Mitarbeitende für die Leitungsverantwortung sind rar, sondern auch Hilfskräfte sind kaum zu finden.

Die Expansion von Betrieben scheitert nicht an der Nachfrage nach der Dienstleistung, sondern daran, dass es nicht genügend Mitarbeitende für die zu leistenden Aufgaben gibt.

Wer überleben will, muss ungewöhnliche Wege beschreiten

In der Pflegebranche herrscht ein großer Kampf sowohl um Fachkräfte als auch um Hilfskräfte. Es wird prognostiziert, dass für den deutschen Pflegemarkt bis 2030 ca. 130.000 zusätzliche Pflegestellen im Vergleich zu 2017 benötigt werden, um dem demografischen Wandel gerecht zu werden.

Es wurde längst in allen Fachkreisen verstanden, dass die Deckung des Bedarfes keinesfalls allein durch Ausbildungs- offensiven gelingen kann, auch wenn der Anteil an Auszubildenden in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Damit kann man vielleicht einen Personalstatus auf aktuellem Niveau erhalten. Expansion, um das eigene Angebot deutlich zu erweitern, kann aber so nicht erzielt werden.

Wirtschaftsfachleute zeigen auf, dass der gesamtdeutsche Arbeitsmarkt einen jährlichen Zuwachs von ca. 400.000 Arbeitnehmenden aus dem Ausland benötigt, um die Wirtschaftsleistung und damit auch zukünftige Renten einigermaßen stabil halten zu können. Alle Unternehmen, die in diesen Zeiten mit Stabilität arbeiten, haben ihre Hausauf- gaben verstanden. Wer gut am Markt bestehen will, muss sinnvolle Wege beschreiten, um das wichtigste Gut seines Betriebes – sein Personal – positiv zu führen und zu binden.

We are international

Es ist kein neues Phänomen, dass in Einrichtungen der stationären und ambulanten Pflege ein sehr internationales Kollegium zusammenarbeitet. Zumindest in Ballungsräumen ist der Anteil von Mitarbeitenden mit Migrationsbezug sehr groß und auch in ländlichen Regionen wächst der Anteil permanent.

In der Pflegeeinrichtung Haus zum Fels Heilbronn arbeiten beispielsweise derzeit 105 Menschen aus 27 verschiedenen Herkunftsländern. Sie pflegen und betreuen täglich 87 Senior*innen. Acht Mitarbeitende wurden von der Leitung in den letzten vier Jahren aktiv aus dem Ausland, z. B. den Philippinen oder Bosnien akquiriert. Mindestens zwei bis vier Mitarbeitende aus dem außereuropäischen Ausland 

verstärken jährlich das Team. Sie werden von der Einrichtungsleitung oder über das Projekt „Triplewin“, einer Zusammenarbeit der GIZ und der Arbeitsagentur, bei dem Prozess der Zeugnisanerkennung, der Visums- und Aufenthaltsgenehmigung begleitet, um dann ihren beruflichen Start in Deutschland zu machen.

Viele jüngere Mitarbeitende kommen aus Familien, die bereits in der zweiten oder sogar dritten Generation in Deutschland leben. Sie sind Deutsche, bringen aber immer auch ihre familiäre und kulturelle Prägung mit.

Es stellt sich also nicht die Frage, ob die personelle Besetzung dieser Pflegeeinrichtung auch anders denkbar sein könnte. Der Personalmix spiegelt den Querschnitt des Heilbronner Gesellschaftsspektrums wieder und das ist auch gut so. Seit langem gibt es in der Einrichtung keinen Personal- und vor allem keinen Fachkraftmangel. In diesen Zeiten ist das ein eher seltenes, sehr positives Phänomen.

Alle sind gleich wertvoll

„Wir sind international“. Das ist eine der ausgewiesenen Qualitäten, die dieses Haus so erfolgreich arbeiten lässt. Soziokulturelle Vielfalt unter der Mitarbeiterschaft wird nicht als Bürde oder als eine Notlösung betrachtet. Sie ist eine ausgewiesene Qualität, die sich im Miteinander und Zusammenwirken deutlich entwickelt. Die Mitarbeitenden identifizieren sich sehr mit ihrem Betrieb und pflegen eine enge Bindung.

Die erfolgreiche Zusammenarbeit beginnt mit der Haltung der leitenden Mitarbeiter*innen. Die Wahrnehmung, dass Vielfalt eine besondere Qualität, gar ein Prädikat für die Gemeinschaftsleistung des Teams ist, beginnt in den Köpfen und Herzen dieser Mitarbeitenden.

Sie transportieren diese Philosophie in ihre Arbeitsteams. Das ist der erste wirklich kritische Punkt bei dieser Aufgabenstellung. Ohne eine echte Überzeugung, ohne den Glauben daran, dass diese internationale Arbeitsgemeinschaft eine besondere Qualität darstellt, kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit nicht gelingen. Wenn das „gelebte Vorbild“ auf der Leitungsebene fehlt, kann sich diese Qualität nicht in einem Team etablieren.

Mitarbeitende, egal welcher Nationalität bedürfen wahrer Annahme und echter Wertschätzung. Sie bedürfen einer gerechten Behandlung und benötigen eine optimale Förderung. Sie spüren sofort, ob sie willkommen sind, ob sie gleichberechtigt arbeiten und ob ihnen echte Angebote zur Integration gemacht werden.

Vom „DIE“ zum „WIR“

Alle sind gleich wertvoll. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss sich kümmern und sich für diese Idee begeistern. Gerade auch die Menschen, die sich neu integrieren, müssen sich von dieser Haltung anstecken lassen. Es ist sehr wohltuend festzustellen, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft, Weltanschauung, Bildung und Kultur doch meist verblüffend ähnliche Lebenswünsche und -bedürfnisse haben. Einander zu verstehen, bildet die Grundlage für eine starke Gemeinschaft!

 

Frank Becker
Einrichtungsleitung
Haus zum Fels Heilbronn
 
Beitrag aus ParitätInform 4/2021

Wichtige Werkzeuge

Artikel merken