Um es gleich vorwegzunehmen: Inklusion meint mehr als die gemeinsame Förderung von Kindern mit und ohne Behinderung in der Kindertagesbetreuung. Gleichwohl wird der Begriff der „Inklusiven Kita” oft für genau diesen Teilbereich verwendet. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich entsprechend auf diesen Aspekt der Inklusion.
Rechtliche Grundlagen
Die Gesetzeslage ist klar: Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) hat die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit und ohne (drohende) Behinderung gestärkt. Seit Juni 2021 haben alle Kinder einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf gemeinsame Förderung in Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege. Ihre besonderen Bedürfnisse sind zu berücksichtigen. Im Dezember 2023 fand das Bundesrecht seinen Niederschlag auch im Kindertagesbetreuungsgesetz von Baden-Württemberg (KiTaG): „Kinder mit Behinderungen und Kinder ohne Behinderungen sollen gemeinsam gefördert werden. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und von Kindern, die von Behinderung bedroht sind, sind zu berücksichtigen.“
Was fehlt
Diese an sich sehr begrüßenswerte Änderung hat nur einen gravierenden Pferdefuß: Die für die Umsetzung erforderlichen Rahmungen wurden nicht näher definiert. Es fehlen weiterhin Regelungen zur Finanzierung, zur Qualifizierung des Personals und zu weiteren Rahmenbedingungen.
„Ein eventueller zusätzlicher im Einzelfall zu ermittelnder Betreuungsbedarf von Kindern mit Behinderung, die in integrativen Gruppen gemäß § 1 Abs. 4 und § 2 Abs. 2 KiTaG betreut werden, ist vom Mindestpersonalschlüssel nach Absatz 1 Satz 1 nicht abgedeckt.”
§ 1 Abs. 2 KiTaVO
Inklusive Betreuung durch Eingliederungshilfe
Bislang haben einige Träger von Kindertageseinrichtungen das Finanzierungssystem der Eingliederungshilfe genutzt, um die entsprechenden Voraussetzungen für eine gemeinsame Betreuung zu schaffen.
Christina Speck, Leiterin Kindertagesstätten der Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung:
„Die beiden Kitas der Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung setzen seit vielen Jahren ein Konzept für Kinder mit und ohne Förderbedarf um. Ganz selbstverständlich erleben die Kinder im Alter von eins bis sechs Jahre Vielfalt und profitieren vom multiprofessionellen Team. In jeder Gruppe betreuen drei bis vier Fachkräfte und ein Praktikant 15 Kinder, davon vier bis fünf Kinder mit besonderem Förderbedarf. Finanziert wird der erhöhte Personalschlüssel mit Hilfe der Eingliederungshilfe für die jeweils vier bis fünf Kinder mit Förderbedarf.
Durch die vorhandene konzeptionelle Ausrichtung sowie die dafür geschaffenen personellen und finanziellen Rahmenbedingungen, wie z.B. durch Vereinbarungen mit der Abteilung Eingliederungshilfe, fließen die Mittel in die Grundausstattung und bieten Verlässlichkeit. Diese Rahmenbedingungen ermöglichen es, Plätze für Kinder mit und ohne besonderem Förderbedarf anzubieten. Damit Inklusion nachhaltig umgesetzt werden kann, benötigt es ein multiprofessionelles Team. Durch die positive Haltung von Leitung und Mitarbeitenden gelingt es, inklusive Betreuung und Bildung zu leben und umzusetzen.“
Doch kann und darf die Eingliederungshilfe nicht flächendeckend dafür herangezogen werden, in allen Kitas die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Zumal es auch hier noch Verbesserungsbedarf gibt, wenn sich beispielsweise in einer Leistungsvereinbarung zwischen einer Kommune und einem Kita-Träger ein Passus findet, der bei einem individuellen Unterstützungsbedarf von mehr als 60 Stunden pro Monat die Überprüfung einer Aufnahme in einen Schulkindergarten als fachlich geeignete Einrichtung vorsieht. Mit der Folge, dass den Kindern mit besonderem Förderbedarf, die einen Kindergarten besuchen wollen, nur maximal 60 Stunden Integrationskraft bewilligt werden:
„Derzeit betreuen wir ein Kind, das wir genau die 60 Stunden im Monat betreuen können, die wir finanziert bekommen. Da das Kind selbstgefährdend unterwegs ist, braucht es eine 1-zu-1-Betreuung, die wir nicht gewährleisten können, wenn die Integrationskraft nicht da ist. Auch nicht befriedigend…“, so die Leitung der betroffenen Kita.
Für die Schaffung dieser Voraussetzungen müssen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und die Rahmenbedingen inklusiver Kitas in der KiTaVO verankert werden. Denn die grundsätzliche Bereitschaft der Kita-Träger und der pädagogischen Teams, Kinder mit und ohne (drohende) Behinderung in ihren Einrichtungen zu betreuen, ist hoch. Am Willen fehlt es nicht, aber ohne die erforderliche Unterstützung können sie sich dieser Aufgabe nicht mit ausreichender Qualität stellen.
Der Paritätische fordert
Um Kinder mit Behinderungen und Kinder ohne Behinderungen gemeinsam zu fördern, braucht es aus Sicht des Paritätischen Landesverbandes insbesondere
- die Weiterentwicklung der fachlichen Grundlagen und die Verankerung der inhaltlichen und methodischen Anforderungen einer inklusiven Betreuung, Erziehung und Bildung im Orientierungsplan und den Konzeptionellen Grundlegungen der Kindertagesbetreuung,
- die Berücksichtigung des Betreuungsmehrbedarfs behinderter Kinder bei den Personalschlüsseln,
- die Anpassung der Gruppengröße der Gruppen, in denen behinderte Kinder betreut und gefördert werden,
- die Schaffung barrierefreier Zugänge und die Entwicklung entsprechender Raumkonzepte,
- der unbürokratische und niederschwellige Zugang des Kita-Teams zu heilpädagogischem und therapeutischem Wissen.
Um die über die inklusive Regelbetreuung hinausgehenden besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und von Kindern, die von Behinderung bedroht sind, berücksichtigen zu können, müssen auch die individuellen Leistungen nach SGB IX im Bereich der Assistenz, der Pflege, der Heilpädagogik und der gesellschaftlichen Teilhabe in das Leistungssystem der Kindertageseinrichtungen eingebunden werden.
Beitrag aus ParitätInform 01/2024