Gewaltschutz in Einrichtungen

Fachinformation - geschrieben am 24.03.2023 - 15:19

Gewaltschutz in Einrichtungen braucht die Perspektive von Frauen*

Frauen* mit Behinderung, die in Einrichtungen arbeiten, erleben häufiger Gewalt, geschlechtsspezifische Diskriminierung, Grenzüberschreitungen und Strukturen, die Gewalt begünstigen. Vor diesem Hintergrund wurden in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung 2017 zum ersten Mal Frauen*beauftragte gewählt.

Die Frauen*beauftragten sollen die Interessen und Rechte der Frauen* in der Werkstatt vertreten und die Handlungsmöglichkeiten der Frauen* gegen körperliche, sexuelle und psychische Belästigung oder Gewalt erweitern. Die Frauen*beauftragten sind innerhalb der Werkstatt zentrales Bindeglied zwischen gewaltbetroffenen Frauen*, Werkstattleitung und Fachberatungsstellen.

 

Netzwerkstelle für Frauen*beauftragte in Baden-Württemberg

Die Netzwerkstelle für Frauen*beauftragte unterstützt die Frauen*beauftragten bei allen ihren Belangen, ermöglicht Austausch und Vernetzung und stellt notwendige Materialien und Fortbildungsangebote auch in Leichter Sprache bereit. Sie ermöglicht den Frauen*beauftragten den Zugang zum Hilfesystem (z. B. Fachberatungsstellen) und zu den Ansprechpersonen vor Ort. Träger der Netzwerkstelle ist das Frauen*beratungs- und Therapiezentrum Stuttgart e. V. Sie hat die Expertise in den Bereichen Gewalt gegen Frauen* mit und ohne Behinderung und ist landesweit hervorragend vernetzt.

Unterstützt werden die Frauen*beauftragten und deren Unterstützer*innen von der Netzwerkstelle für Frauen*be auftragte – durch Informationen, Vermittlung von Kontakten, Vernetzung untereinander und das Angebot von Fortbildungen und Austauschtreffen.

Frauen*beauftragte unterstützen die Frauen*, ihre Rechte wahrzunehmen. Sie haben zu den Ratsuchenden einen Zugang „auf gleicher Augenhöhe“. Sie sind kundige Ansprechpartner*innen, die über notwendige Informationen verfügen oder sich dazu informieren und die Frau an die jeweilige richtige Stelle weiterverweisen können. Sie bieten Sprechstunden an, beraten, informieren und stärken die Frauen* ihrer Werkstatt.

Unabhängig von konkreten Vorfällen können Frauen*beauftragte Kontakte zu Fachberatungsstellen aufbauen. Wenn eine Frau dann tatsächlich von einem Übergriff berichtet, kann die Frauen*beauftragte ihre im Vorfeld aufgebauten Kontakte zur Fachberatungsstelle oder zur Netzwerkstelle nutzen, um sich über Handlungsmöglichkeiten und Hilfen bei der Bewältigung von geschlechtsspezifischer Gewalt und beim Umgang mit den Folgen zu informieren.

Entwicklung von Schutzkonzepten

Die Frauen*beauftragten sind Betroffene und Expertinnen für die Werkstatt. Ihre Beteiligung in der Prävention und am Gewaltschutzkonzept einer Einrichtung ist daher enorm hilfreich und effektiv.

Praxisbeispiel:

In einer Werkstatt wurde ein Umkleideraum am Ende eines langen Ganges von den Frauen* sehr ungern benutzt. Warum dies so war, wurde nicht offen kommuniziert. Die Frauen*beauftragte erfuhr von den Frauen* Folgendes: die Beleuchtung konnte nur am Anfang des Ganges eingeschaltet werden. An der Tür der Umkleide gab es keinen Lichtschalter, der Rückweg war unbeleuchtet und dunkel. Sie äußerten ihre Angst nicht offen, da sie befürchteten, ausgelacht und nicht ernst genommen zu werden. Auf Initiative der Frauen*beauftragten wurde zur Beleuchtung ein Bewegungsmelder installiert, der den Frauen* Sicherheit gab.

Expertinnen in eigener Sache

Die Frauen*beauftragte ist den Frauen* und ihrem Arbeitsalltag viel näher und hat Zugang zu anderen Informationen. Sie ist als Beschäftigte in der Werkstatt selbst Expertin in eigener Sache. Sie ist in der Lage, Situationen und Probleme aus der Position der Betroffenen einzuschätzen und zu beurteilen. Und sie kann diese Kenntnis nutzen, um geeignete präventive Maßnahmen vorzuschlagen.

Frauen*beauftragte haben direkten Kontakt zur Leitungsebene und können in ihrer Rolle unangenehme Informationen leichter als die betroffenen Frauen* an die Werkstattleitung weitergeben. Insbesondere bei Konflikten kann es für die Frauen* erleichternd sein, wenn sie die Vertretung ihrer Interessen an die Frauen*beauftragte delegieren können.

Praxisbeispiel:

In einer Werkstatt hatten die männlichen Beschäftigten Nacktbilder von Frauen* außen an ihren Spinden aufgehängt. Die Frauen*, die täglich daran vorbeigehen mussten, empfanden dies als äußerst unangenehm. Sie beschwerten sich über diese Form der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz nicht, weil sie den Konflikt mit den männlichen Beschäftigten und Betreuern scheuten. Sie befürchteten, als „Sittenpolizei“ oder „engstirnig und kleinlich“ angegangen und abgewertet zu werden. Die Frauen*beauftragte nahm sich der Sache an und erreichte, dass die Bilder nur noch innen an den Spindtüren aufgehängt werden durften.

Frauen*beauftragte müssen am Gewaltschutz beteiligt sein

Die Frauen*beauftragte muss wie andere Selbstvertretungen an der Entwicklung präventiver Maßnahmen und am Gewaltschutz beteiligt sein. Nur die Teilhabe der Betroffenen garantiert, dass die kritischen Punkte erkannt werden, präventive Maßnahmen passgenau sind und das Gewaltschutzkonzept im Alltag der Werkstätten gelebt wird. Positive Erfahrungen machen Werkstätten, wenn sie Gewaltschutzkonzepte und sexualpädagogische Konzepte gemeinsam mit Vertreter*innen der Beschäftigten in der Werkstatt erstellen. Gewaltschutzkonzepte oder bereits bestehende Regeln ermöglichen, dass Betroffene auf sie verweisen und deren Einhaltung einfordern können, ohne jedes Mal neu diskutieren zu müssen.

Praxisbeispiel:

In einer Werkstatt konnten Beschäftigte den Weg von der Ver- waltung in die Werkstatt erheblich abkürzen, wenn sie durch den Umkleideraum der Frauen* gingen. Dies hatte sich eingebürgert, da der Umkleideraum nicht ständig belegt war. Männer schauten auch dann regelmäßig in den Umkleideraum, wenn sich Frau- en* dort umzogen. Auf die Aufforderung zu gehen, fingen eini- ge männliche Beschäftigten an zu diskutieren, ausnahmsweise trotzdem durch den Umkleideraum gehen zu dürfen. Diese Situ- ation konnte erst mit einem festen Regelwerk, das das Betreten der Umkleide für Unbefugte kategorisch verbot, beendet werden.

Barbara Götz

Netzwerkstelle für Frauen*beauftragte in Werkstätten Baden-Württemberg

 

Beitrag aus PARITÄTinform 4/2022

 

 

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