Gewalt gegen Frauen beenden

Fachinformation - geschrieben am 04.04.2023 - 09:21
Zerstörte Büste eines antiken Frauenkopfs

Die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bund und Land

Das Europäische Abkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ist nun seit fünf Jahren bindendes Recht in der Bundesrepublik Deutschland. Alle staatlichen Stellen sind verpflichtet, die vielfältigen Maßnahmen der Konvention im Bereich Politik, Schutz und Unterstützung, Prävention, Materielles Recht, Strafverfolgung, Migration und Asyl umzusetzen. Ende letzten Jahres hat der europäische Expert*innenausschuss GREVIO den ersten Prüfbericht des Umsetzungsstandes in der Bundesrepublik vorgelegt. Sei­ ne Empfehlungen werden für die kommenden Jahre auch in Baden­Württemberg richtungsweisend sein.

In Deutschland passiert viel und vieles gut, aber ohne Struktur und Nachhaltigkeit

Der GREVIO Bericht lobt und tadelt. Positiv wird unter anderem herausgestellt, dass die Gesetzgebung zum Schutz vor Gewalt bereits gut ausgestaltet wurde: das Gewaltschutzgesetz, die Reform des Sexualstrafgesetzes, die Einführung des Straftatbestands des Cyberstalkings werden in diesem Zusammenhang hervorgehoben. Außerdem lobt er das langjährige Engagement im Kampf gegen Gewalt an Frauen, das Wirken einer starken feministischen Bewegung sowie die Durchführung von Aktionsplänen auf Bundes- als auch Länderebene – zum Teil schon Jahre vor Inkrafttreten der Konvention. Der Einsatz für Frauenrechte habe hier eine gewisse vorbildliche Tradition.

Die Liste der Mängel fällt dennoch deutlich länger aus: Auf Bundesebene fehlt es an einer strategischen langfristigen Rahmung, einer nationalen Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Konvention und an einer unabhängigen Monitoringstelle. Es gibt zudem keine flächendeckende Versorgung an Frauenhäusern und spezialisierten Frauenberatungsstellen. Beratung und Schutz fehlen insbesondere für gewaltbetroffene Frauen, die weitere vielfältige Benachteiligungen erleben, wie Frauen mit Behinderungen oder Suchterkrankungen, asylsuchende Frauen, LBTI-Frauen, Roma- und Sinti-Frauen, obdachlose Frauen oder Frauen in der Prostitution. Ebenso fehlen ausreichend Hilfsangebote, die speziell auf Mädchen und junge Frauen zugeschnitten sind.

GREVIO äußert sich auch zur Ausgestaltung der Hilfe: Zur angemessenen Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen bedarf es „One-Stop-Shops“, das bedeutet eine Adresse, welche verschiedene Hilfen an einem Ort bündelt, damit Frauen keinen institutionellen Staffellauf bewältigen müssen. Außerdem betonen die Expertinnen, dass Hilfe zum einen auf die ökonomische Unabhängigkeit der Betroffenen abzielen soll und zum zweiten die Inanspruchnahme rechtlicher Instrumente zum Schutz vor Gewalt einschließlich der Strafverfolgung fördern soll. Denn: Die Gesetze sind da, kommen aber laut GREVIO zu selten zum Tragen. Es erübrigt sich fast auf die GREVIO Forderung hinzuweisen, dass das Hilfesystem nachhaltig und auskömmlich finanziert werden muss und hierfür ein bundeseinheitlicher Rechtsrahmen geschaffen werden muss.

Weitere Aufgaben für die Bundesrepublik sieht GREVIO in einer Ausgestaltung des Sorge- und Umgangsrechts, das den Schutz von Frauen und Kindern konsequent im Fokus hat und an Hilfen für Kinder, die Zeuginnen von häuslicher Gewalt geworden sind. Sie appellieren an die Einsetzung von geschlechtersensiblen Täterprogrammen mit verpflichten- den fachlichen Standards und an die Einführung einer systematischen Aus- und Weiterbildung relevanter Fachkräfte. Außerdem sollte die Zusammenarbeit der verschiedenen in- volvierten Institutionen und Behörden verlässlich eingeführt, strukturiert und koordiniert werden.

Der Grundtenor des Berichts lautet: Eine Vielzahl vielversprechender Aktionen und Projekte sind sowohl auf Bundes-, Landes- als auch kommunaler Ebene zu verzeichnen. Es fehlt jedoch an einer grundlegenden soliden Sozialplanung, an der flächendeckender Einführung und Verstetigung erfolgreicher Modellprojekte, an einem bedarfsgerechten Ausbau von Schutz und Hilfe und an deren auskömmlichen Finanzierung.

Mit der Veröffentlichung des Berichts hat sich Bundesministerin Lisa Paus zur vorbehaltlosen Umsetzung der Istanbul- Konvention bekannt. Auf Bundesebene will sie das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und deren Kinder absichern und den Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung der Frauenhäuser schaffen. Eine nationale Koordinierungsstelle soll aufgebaut werden, welche eine ressortübergreifende Gesamtstrategie zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen erarbeitet. Eine unabhängige Monitoringstelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte wurde kurz nach dem Erscheinen des Berichts eingerichtet. Gleichzeitig weist Paus jedoch auch darauf hin, dass die Hauptverantwortung aufgrund des föderalen Systems in der Bundesrepublik bei den Ländern liegt.

Baden-Württemberg stellt sich den Anforderungen der Konvention

In den letzten Jahren wurde die Umsetzung vieler Ziele der Konvention in Baden-Württemberg vorangebracht. Das Land legt hier einen Fokus auf Maßnahmen mit landesweitem Bezug, wie die Einrichtung einer Anlaufstelle gegen Genitalverstümmelung oder einer Zuflucht für von Zwangsheirat bedrohte Frauen. Ein weiteres großes Projekt war die Einrichtung je einer Gewaltambulanz pro Regierungspräsidium zur vertraulichen Spurensicherung nach Gewalttaten. Verschiedene landesweit tätige Netzwerke in den Feldern häusliche und sexualisierte Gewalt werden in ihrer Arbeit gefördert und profitieren von Landesmitteln.

Etwas schwieriger gestaltet sich der dringend erforderliche Ausbau des Hilfesystems zum Schutz von Frauen und ihren Kindern. In Baden-Württemberg mangelt es wie überall in der Bundesrepublik an Frauenhausplätzen und spezialisierten Frauenberatungsstellen. Insbesondere im ländlichen Raum als auch im Ring um Großstädte zeigt sich hier eine deutliche Unterversorgung. Der Ausbau des Unterstützungssystems soll laut Koalitionsvertrag insbesondere durch zwei Vorhaben erfolgen: Zum einen wird das Projekt „Second Stage“ in Frauenhäuser bis zum Ende der Legislaturperiode in 2025 fortgeführt. Es verfolgt das Ziel, den Frauenhausaufenthalt zu verkürzen, indem Frauen, welche nicht mehr akut bedroht sind, in Wohnraum vermittelt werden und dort weiterhin Betreuung erhalten. Auf diese Weise werden dringend benötigte geschützte Frauenhausplätze wieder frei. Zum zweiten soll das Projekt „Mobile Teams der Fachberatungsstellen gegen häusliche Gewalt, Menschenhandel und Prostitution“ – aufgelegt, um in Zeiten der pandemiebedingten Einschränkungen Hilfe im ländlichen Raum erreichbar zu machen – verstetigt werden.

Es fehlt an einer gemeinsamen Erklärung von Land und Kommunen, die Istanbul-Konvention in Baden-Württemberg entschlossen umsetzen zu wollen.

Durch die Kommunalisierung der freiwilligen Daseinsvorsoge in Baden-Württemberg sind die Landkreise und Kommunen für das Aufgabengebiet Gewaltschutz von Frauen und Kindern zuständig. Es ist deren vornehmliche Aufgabe Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen vor Ort zu planen und zu fördern. Das Land kann Modellvorhaben erproben, Anreize zur bedarfsgerechten Ausgestaltung des Hilfesystems setzen und einen finanziellen Zuschuss zur Förderung der Infrastruktur per Verwaltungsvorschriften leisten. Wie umfassend aber ein Landkreis die Unterstützung für Frauen und Mädchen ausstattet oder auch nicht, bleibt ihm überlassen. Und genau hier wird offensichtlich, was von GREVIO als fehlende Gesamtstrategie und Sozialplanung bemängelt wird. Es fehlt an einer gemeinsamen Planung, einer Verständigung über einheitliche Qualitätsstandards, einer Entwicklung eines verbindlichen Maßnahmenpakets. Eine flächendeckende Versorgung lässt sich nur erreichen, wenn eine Einigung über eine Basisausstattung getroffen wird. Und: Es fehlt an einer gemeinsamen Erklärung von Land und Kommunen, die Istanbul-Konvention in Baden-Württemberg entschlossen umsetzen zu wollen.

Aktuell wird der Stand der Umsetzung der Handlungsfelder der Istanbul-Konvention in Baden-Württemberg durch die Universität Stuttgart evaluiert. Noch in diesem Frühjahr wird der Abschlussbericht veröffentlicht. Es bleibt zu wünschen, dass die Ergebnisse Ausgangspunkt für verbindliche politische Planungen und Entscheidungen werden sowie einen nachhaltigen Dialog zwischen Land, Kommunen und der Vertretungen der Frauenhilfeeinrichtungen anstoßen.

Der Paritätische – stark für den Schutz von Frauen und Mädchen

Der Paritätische Baden-Württemberg ist im Bereich Gewaltschutz für Frauen der stärkste Verband im Land. Rund 50 Prozent des Hilfesystems Baden-Württembergs ist im Paritätischen organisiert. Hierunter befinden sich 20 Frauenhäuser, eine Vielzahl an Fachberatungsstellen im Bereich häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, Interventionsstellen und Einrichtungen der Mädchenarbeit sowie der Täter*innenarbeit. Aufgrund der Stärke und der wertvollen Expertise seiner Mitgliedseinrichtungen kommt ihm in Baden-Württemberg eine Schlüsselrolle zu. Wir tragen Verantwortung, indem wir die Vernetzung paritätischer und nicht-paritätischer Träger fördern. So befinden sich unter dem Dach des Paritätischen seit über 20 Jahren der verbandsübergreifende Arbeitskreis Frauenhausfinanzierung (VAK) sowie das Netzwerk Interventionsstellen bei Partnergewalt (NIP). Der Paritätische fordert einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe, der allen gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen einen kostenfreien und niedrigschwelligen Zugang zu Beratung und Schutz sicherstellt.

Beitrag aus PARITÄTinform 1/2023
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