Gestaltungschancen kommunaler Arbeitsmarktpolitik

Fachinformation - geschrieben am 27.03.2024 - 19:28
Eine Frau und ein älterer Mann betätigen sich handwerklich

Betriebe suchen händeringend Auszubildende und Arbeits- und Fachkräfte. Gleichzeitig bleiben zu viele junge Menschen ohne Berufsausbildung und zu viele Menschen sind langzeitarbeitslos. In Zeiten des demografischen Wandels und des zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangels ist dieses Missverhältnis eine ständig wachsende Herausforderung. Kommunen können gemeinsam mit sozialen Beschäftigungsunternehmen und der Jugendsozialarbeit wichtige Verbesserungen zum Wohl der Betroffenen, der Wirtschaft und des Gemeinwesens gestalten.

 

Alle Menschen verfügen über Potenziale zur aktiven Beteiligung an unserer Erwerbsgesellschaft. Junge Menschen und langzeitarbeitslose Menschen mit individuellen Einschränkungen und in schwierigen Lebenslagen können diese entdecken, freisetzen und entwickeln. Dazu brauchen sie geeignete Förderangebote und -strukturen, die deren soziale Inklusion im Rahmen von Ausbildung und Arbeit ermöglichen. Der Paritätische orientiert sich bei deren Entwicklung an zwei grundlegenden Prinzipien. Das Normalitätsprinzip setzt als Ausgangspunkt der Förderung die konkrete Lebenssituation der Menschen und zielt auf deren Teilhabe in den Regelsystemen und -abläufen des Geschehens am Arbeitsmarkt. Das Dienstleistungsprinzip setzt dazu auf passgenaue Förderungen und Strukturen, die für die Integration in Ausbildung und Erwerb notwendig sind.

 

Belastung für Betroffene und Wirtschaft

Ohne geeignete Angebote und Strukturen der Förderung entstehen massive Belastungen der Betroffenen, der Gemeinwesen und der sozialen Sicherungssysteme. Der Wirtschaft und den Betrieben gehen potenzielle Arbeitskräfte verloren. Bis 2035 werden rund sieben Millionen Arbeitskräfte in Deutschland fehlen. Auf der anderen Seite verfügen allein im Land rund 320.000 junge Menschen im Alter bis 34 Jahren über keinen Berufsabschluss. Gleichzeitig besteht eine große, seit Jahren wachsende Lücke am Ausbildungsmarkt. Rund 79.600 Ausbildungsangebote, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet waren, standen im Land zu Beginn des Ausbildungsjahres 2023 nur rund 52.000 Bewerber*innen gegenüber. Auch Langzeitarbeitslosigkeit ist ein seit Jahren drückendes Problem, die Integrationsquoten in Arbeit bleiben zu gering. Gerade für Menschen im Bürgergeldbezug ist die Chance, eine passende Arbeitsstelle zu finden sehr eingeschränkt. Rund zwei Drittel von ihnen haben keine berufliche Qualifizierung. Auf der anderen Seite stehen rund drei Viertel der offenen Stellen nur für qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung. So münden denn auch seit Jahren lediglich 15 bis 20 Prozent der arbeitslosen Menschen, die Bürgergeld beziehen, in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein. Menschen, die Arbeit haben, sind gesünder, sie leben länger und geraten viel seltener in existenzielle Nöte. Menschen, die länger ohne Arbeit bleiben, sind in diesen Punkten klar benachteiligt. Zudem werden Arbeitslose häufig gesellschaftlich abgewertet und ziehen sich aus der Gesellschaft zurück. Scham, Selbstvorwürfe und materielle Knappheit verstärken dies. Isolation und ein Gefühl des Überflüssig- und Alleingelassenseins prägen ihre Lebenswirklichkeit.

 

Im Jahr 2022 gab es nur noch 171.234 Auszubildende in Baden-Württemberg. Das ist der niedrigste Wert seit 1980. 1985 lag die Zahl der Auszubildenden noch bei 274.578.

Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

 

Gestaltungschancen in den Kommunen

Diese beginnen bei den jungen Menschen, die ohne ausreichende Förderung keine Berufsausbildung finden und absolvieren können. Hier können und müssen neben der Arbeitsverwaltung auch die Kommunen ihre Verantwortung und ihre Möglichkeiten nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz endlich in der Breite wahrnehmen. Jugendsozialarbeit zur Integration in Ausbildung und Arbeit muss bei Bedarf für alle jungen Menschen angeboten werden, so wie Schulsozialarbeit in den Schulen zum Normalfall geworden ist.

 

Soziale Beschäftigungsunternehmen (SBU) sind spezialisiert auf die Qualifizierung und Beschäftigung von langezeitarbeitslosen Menschen mit besonderen Einschränkungen. Kommunen können und müssen diese SBU als festen Bestandteil der sozialen Infrastruktur fördern, etablieren und fest in das regionale Wirtschaftsgeschehen einbinden. Kommunale Arbeitsmarktpolitik kann hierüber entscheidend dazu beitragen, dass für alle Beteiligten gute Rahmenbedingungen entstehen und die Erwerbspotenziale der Betroffenen für die regionale Wirtschaft besser mobilisiert und eingebracht werden können. Möglichkeiten dazu reichen zum Beispiel in ergänzenden Förderungen der SBU durch die Kommune, über die enge Verbindung der Beschäftigungs- mit der Wirtschaftsförderung bis hin zur sozial nachhaltigen Vergabe bei der Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen etwa im Rahmen von Quartiersentwicklung und sozialen Dienstleistungen.

 

Zukunftsinvestitionen durch kommunale Arbeitsmarktpolitik

Angesichts dieser Herausforderungen und Gestaltungschancen muss eine entschlossene kommunale Arbeitsmarktpolitik die Beschäftigung und Qualifizierung zur Sicherung der zukunftsfähigen beruflichen Teilhabe für förderbedürftige Menschen jeden Alters unterstützen, entsprechende innovative Impulse setzen und einen eigenständigen Beitrag in Ergänzung zu den Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik des Bundes leisten. In jedem Fall ist es heute mehr denn je angezeigt, Arbeit und Ausbildung zu fördern anstelle Arbeitslosigkeit zu alimentieren. Auch der Arbeitsmarkt befindet sich in einer Zeitenwende und braucht Zukunftsinvestitionen in die Förderung von Menschen, deren Erwerbspotenzial bisher ungenutzt bleibt.

 

Der Paritätische fordert

  • Kommunen müssen zukünftig die regionale Ausbildungs- und Beschäftigungspolitik sowie die arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit aktiv mitgestalten
  • Für junge Menschen, die von den bestehenden Förderungen nicht ausreichend erreicht werden, müssen Kommunen eigenständige Unterstützungsangebote machen, die sich an den Zielen und Handlungsprinzipien der Jugendhilfe und Jugendsozialarbeit orientieren
  • Die Instrumente zur Grundsicherung für Arbeitssuchende müssen im kommunalen Interesse aktiv mitgestaltet, ergänzt und auch finanziell flankiert werden
  • Kommunen müssen sich verstärkt für die Entwicklung eines nachhaltigen Integrationsarbeitsmarktes einsetzen, soziale Beschäftigungsunternehmen als Teil der sozialen Infrastruktur etablieren und deren Zusammenwirken mit der regionalen Wirtschaft fördern
  • Nicht zuletzt: Als ein Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende müssen Kommunen darauf hinwirken, dass die Ausschöpfung der Eingliederungsmittel im SGB II von rund 82 Prozent deutlich verbessert wird

 

 

Beitrag aus ParitätInform 01/2024

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