Geschlechtsspezifische Fluchtgründe anerkennen

Fachinformation - geschrieben am 03.05.2023 - 17:45
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Weibliche Genitalverstümmelung in Zusammenhang mit Flucht und Asyl

Menschen fliehen aus Kriegs­ und Krisengebieten, vor Gewalt, Armut, Naturkatastrophen, Diskriminierung oder religiös sowie politisch motivierter Verfolgung. Zusätzlich fliehen Mädchen und Frauen aus geschlechtsspezifischen Gründen, also wegen Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht oder sexueller Orientierung.

Bis heute finden in Deutschland geschlechtsspezifisch verfolgte Mädchen und Frauen kaum ausreichenden Schutz. Das Asyl- und Aufenthaltsrecht steht an vielen Stellen im Widerspruch zum Gewaltschutz. Die Istanbul-Konvention gilt jedoch für alle Frauen, unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status und ist diskriminierungsfrei umzusetzen.[1] Geflüchtete Frauen und Mädchen sind in besonderer Weise von Gewalt bedroht und betroffen und die Vertragsstaaten zum Flüchtlingsschutz verpflichtet.[2]

Der Blick auf die Hauptherkunftsländer von geflüchteten Frauen und Mädchen, u.a. Syrien, Somalia, Nigeria, Eritrea, Afghanistan, lässt vermuten, dass ein großer Teil von ihnen geschlechtsspezifische Gewalt erfahren hat.[3] Seit einigen Jahren erhalten aber immer weniger Geflüchtete den vollen Flüchtlingsschutz. Etliche Frauen dürften ganz durch die Raster einer nicht ausreichend sensibilisierten Asylstruktur fallen.

Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung und Beschneidung, FGM/C (Female Genital Mutilation/Cutting) handelt es sich um eine schwere Menschenrechtsverletzung. Diese Einordnung verpflichtet im Asylverfahren dazu, bestimmte Maßnahmen zu gewährleisten, zum Beispiel die Hinzuziehung einer Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung und die Befragung durch weibliches Personal. Betroffene Frauen scheitern in ihren Asylverfahren häufig bereits daran, dass ihnen nicht bewusst ist, dass FGM/C ein Asylgrund sein kann, weswegen sie diese bei der Anhörung zu ihren Fluchtgründen nicht erwähnen. Auch Scham, Verunsicherung und Aufregung können Gründe sein, FGM/C nicht anzusprechen.[4] Hier platziert das Land Baden-Württemberg nun ein neues Angebot. Die Mitgliedsorganisation Sompon Socialservices Baden-Württemberg e.V. koordiniert das neu aufgelegte Projekt der landesweiten Anlaufstelle für von Genitalverstümmelung und Beschneidung bedrohte und betroffene Frauen und Mädchen in Baden-Württemberg.[5] Angeboten wird Beratung rund um FGM/C, bei Fragen zu Gesundheit, Asylrecht, psychischer Belastung und Kindeswohl.

Der Paritätische Baden-­Württemberg setzt sich dafür ein, dass das Recht auf internationalen Schutz durch die konsequente Anerkennung spezifischer Asylgründe für Frauen, Mädchen und LSBTTIQ* Personen gewährleistet und ihre Rechte während des Aufnahme- und Asylverfahrens uneingeschränkt gewahrt werden.

  1. IK Art. 4 Abs. 3
  2. IK Art. 61, Abs. 2
  3. Genitalbeschneidung, Zwangsverheiratung, häusliche Gewalt, drohende Ermordung, Entführung, straffrei bleibende Vergewaltigungen, Vergewaltigungen als Kriegswaffe und andere Formen der Gewalt.
  4. Hinzu kommt, dass das BAMF meistens nur eine drohende FGM/C als Asylgrund anerkennt, nicht eine bereits erlittene. Ist eine Frau bereits verstümmelt, erhält sie oft keinen Schutzstatus, weil nach Auffassung des Bundesamtes die asylrelevante Verfolgung bereits erfolgt sei und keine dauerhafte Bedrohung darstelle. Gemäß Einschätzungen des UNHCR stellt weibliche Genitalverstümmelung aber eine Form Gewalt dar, die sowohl psychisches wie physisches Leiden zur Folge hat und einer asylrelevanten Verfolgung gleichkommt. Dies betrifft nicht nur Frauen und Mädchen, die vor einer bevorstehenden Genitalverstümmelung flüchten, sondern auch diejenigen, an denen die Verstümmelung bereits vorgenommen wurde.
  5. Das Projekt wird durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg gefördert.

 

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