Gemeinwohlökonomie in der Jugendhilfe: Eine Einrichtung hat sich auf den Weg gemacht

Fachinformation - geschrieben am 28.06.2021 - 15:34

Gemeinwohlökonomie ist ein Thema, das den Landesverband und die Mitgliedsorganisationen im Paritätischen aktuell sehr beschäftigt. Dies zeigte sich bei der digitalen Mitgliederversammlung am 25.06.2021.

Eine unserer Jugendhilfeeinrichtungen, der Michaelshof Hepsisau, ist vom Ansatz der Gemeinwohlökonomie überzeugt, hat sich gemeinsam mit den Mitarbeitenden auf den Prozess eingelassen und befindet sich derzeit im Zertifizierungsprozess zur Gemeinwohlbilanz.

Jens Binder-Frisch, Einrichtungsleiter und Vorstand, beantwortet uns hierzu ein paar Fragen:

 

Weshalb haben Sie sich für den Ansatz der Gemeinwohlökonomie entschieden?

Im Rahmen einer Masterarbeit habe ich selbst Kontakt zur Idee der GWÖ bekommen und war gleich begeistert. Diese Begeisterung hat sich noch verstärkt, als ich Herrn Felber selbst bei einem Vortrag in München zum Thema erlebt habe, in dem er vor allem auch auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung im Hinblick auf die Endlichkeit der zur Verfügung stehenden Ressourcen hingewiesen hat. Damals war mir klar, dass es ein „Weiter so“ nicht mehr geben kann und wir als pädagogisch Tätige auch im Sinne von Multiplikatoren hier unseren Beitrag beisteuern müssen. Und in der Folge dessen war für mich als Einrichtungsleitung klar, dass wir uns auch als Organisation auf den Weg machen müssen.

 

Wie konnten sich die Mitarbeitenden und die jungen Menschen in der Einrichtung auf den Prozess einlassen?

Aufgrund der Tatsache, dass wir als Einrichtung mit einer 75jährigen Geschichte am Rand der Schwäbischen Alb inmitten eines Biosphärengebietes bereits eine grundlegende Verbindung zur Natur haben, haben wir auch Mitarbeitende, die diesen positiven Bezug von Grund auf mitbringen. Insofern war es nicht schwierig, Mitstreiter*innen zu finden. Bei näherer Beschäftigung mit der Matrix der GWÖ wurde aber auch schnell deutlich, dass eine Zertifizierung weit mehr als nur Nachhaltigkeitsthemen betrifft. Insbesondere der Umgang mit den eigenen Klienten (neben den jungen Menschen sind hier auch die Eltern und Bezugspersonen und das Jugendamts gemeint), der Umgang mit den Mitarbeitenden oder auch der Umgang mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und Finanzpartnern werden dem kritischen Blick von 4 Wertefeldern unterzogen. So befindet man sich relativ schnell in einem Organisationsentwicklungsprozess oder zumindest in einer Bestandsaufnahme, die weit mehr ist als nur Strom zu sparen. Aber genau dieser Aspekt hat dann auch dazu geführt, dass sich über die ohnehin begeisterten „Naturschützer“ hinaus Kolleg*innen am Nutzen und Gewinn der Arbeit an der GWÖ-Matrix begeistern konnten. Und so sind wir inzwischen in einem ganz lebendigen Prozess angekommen, der in vielen Konferenzen und Sitzungen erlebbar wird und einen frischen Wind mit einigen Diskussionen und kritischen Betrachtungswinkeln mit dem Bisherigen gebracht hat.

Auch die Kinder und Jugendlichen profitieren davon, indem sie z.B. sich in ausgelobten Umweltwettbewerben einbringen können, aber auch durch konkrete Verbesserungen in unseren Partizipationsverfahren, die durch die Arbeit an den Strukturen sichtbar wurden.

 

Was sind derzeit aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?

Mit Abstand die größte Herausforderung ist natürlich, die doch recht aufwändige Bearbeitung der Matrix-Fragen neben der ohnehin schon bestehenden Arbeitsbelastung zu bewältigen. Das gelingt auch nur, wenn man sich zum einen genügend Zeit lässt und zum anderen die eigenen Ansprüche auf ein machbares Maß kürzt. Das ist auch im Hinblick auf die  Anschlussfähigkeit der GWÖ zu den Mitarbeitenden wichtig! Ansonsten gibt es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt unseres Prozesses nur kleinere Schwierigkeiten, die insbesondere die „Übersetzung“ der Fragen aus dem Profit- in den NonProfit-Bereich betreffen. Allerdings sind wir auch noch mittendrin und ich bin sicher, dass die eine oder andere Klippe noch auf uns wartet.

 

Nach der Sommerpause, bieten wir für die Fachgruppe Jugendhilfe am 12.10.2021 von 14.00 bis 15:30 Uhr eine Videokonferenz an, in der Jens Binder-Frisch die Gemeinwohlökonomie aus seinem  Blickwinkel vorstellt und von den ersten Erfahrungen des aktuellen Prozesses berichtet. Eine Anmeldung ist für Mitglieder der Fachgruppe Jugendhilfe hier bereits möglich.

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