Plan B zur europäischen Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt – Arbeit im Parlament hat begonnen
Erschossen. Erstochen. Erwürgt. Frauen mitten aus dem Leben gerissen. Durch Partner, Ex-Partner oder Unbekannte. Weil sie Frauen sind. Weil nach wie vor nicht alle Instrumente genutzt werden, die zur Verfügung stehen, und die nicht in die Tat umgesetzt werden, die vielversprechend wären. Weil der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und auch gegen Femizide oft am politischen Willen scheitert. Und damit Gewalt gegen Frauen zulässt. Die Fortschritte, die es zuletzt in manchen Mitgliedstaaten gab, haben sich verlangsamt, manche Länder haben in ihren Bemühungen stagniert. Genannt sei hier das Beispiel Spanien, eigentlich eines der Vorzeigeländer der EU in Sachen Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Und doch wurde bekannt, dass im Dezember 2022 der seit 20 Jahren höchste Stand an Femiziden gemessen werden musste. Die Regierung ist alarmiert und schickt Gesetze und Umsetzung auf den Prüfstand.
Istanbul-Konvention als Beispiel
All das passiert inmitten der EU. Einer Staatengemeinschaft, die sich der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Frauenrechte und ihrer Unversehrtheit verschrieben hat. Aber in diesem Kampf bisher zu wenig aktive Mittel nutzt und durchsetzt. Dabei gäbe es Mittel und Maßnahmen, hier aufzurüsten. Ein Beispiel ist die sogenannte Istanbul Konvention. Von Deutschland und zahlreichen anderen Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene ratifiziert und umgesetzt. Von anderen hingegen nicht. Und diese sind es auch, die einen Gesamteuropäischen Beitritt blockieren. Und das, obwohl die Konvention mit qualifizierter Mehrheit ratifiziert werden könnte. Was das bedeutet? Die Mehrheit der Mitgliedstaaten könnte für alle Mitgliedstaaten entscheiden, die Konvention anzunehmen und ein starkes Zeichen setzen. Schutzlücken schließen, dort wo die EU tätig werden kann. Damit Frauen über die Grenzen hinweg gleichen Schutz erfahren und die EU ganz klar sagt: Null Toleranz. Forderungen des Europäischen Parlaments, dies in die Tat umzusetzen, bleiben vom Rat ungehört.
Grundlagenevaluierung: Positive Entwicklungen und große Lücken
Aber auch die Istanbul-Konvention alleine wird nicht alle Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt bewahren. Deutschland hat die Konvention ratifiziert. Die im Oktober letzten Jahres durch GREVIO erstellte erste Grundlagenevaluierung ergab zahlreiche positive Entwicklungen, wie zum Beispiel die zahlreichen gesetzgeberischen Maßnahmen im Bereich des Strafrechts, die vor und nach der Ratifizierung der Istanbul Konvention ergriffen wurden. Hier vor allem das Prinzip Nein heißt Nein, das endlich Einzug in das deutsche Sexualstrafrecht fand. Aber auch die neuen Gesetze im Bereich des Missbrauchs wie Cyberstalking, der unerlaubten Aufnahme von Bildern privater Körperteile, die Weitergabe von Bildern im Internet und die Verwendung von Stalker-Software und die mit diesen einhergehenden Sensibilisierungskampagnen. Aber es wurden auch weiterhin große Lücken identifiziert, die es nun endlich zu schließen gilt. Dazu gehören die fehlende bundesweite Strategie und die fehlende nationale Koordinierungsstelle. Gewaltbekämpfung kann keine Ländersache sein. Sie muss auch national lückenlos angegangen werden. Und im besten Fall zusätzlich europäisch.
Vorschläge für europaweite Mindeststandards
Und hier kommen wir nun zu der im letzten Jahr von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Richtlinie zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt [1]. Sie schlägt konkrete Definitionen der Gewalt- formen sowie Maßnahmen zur Prävention, zur Bekämpfung, Bestrafung und dem Schutz der Betroffenen vor. Dabei bezieht sie sich auf die Formen der Gewalt, die durch die rechtliche Grundlage der sexuellen Ausbeutung und Onlinegewalt abgedeckt sind: Vergewaltigung, Genitalverstümmelung, geschlechtsspezifische Gewalt, Häusliche Gewalt und Onlinegewalt. Sie definiert diese und macht Vorschläge für europaweite Mindeststandards, um derzeitige Lücken zu schließen.
Die Arbeiten des Parlaments an diesem Text haben zum Ende des letzten Jahres begonnen. Und als Sozialdemokrat*innen haben wir im ersten Berichtsentwurf bereits einiges deutlich gemacht. Dazu gehören vor allem diese drei Punkte:
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Vergewaltigung: Die Definition der Kommission umfasst derzeit nur Penetration. Dies muss dringend nachgebessert und ausgeweitet werden.
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Weitergabe von intimen Bildern an andere: Dabei müssen es im Entwurf der Kommission mehrere Personen sein. Wir finden: auch die Weitergabe an eine weitere Person ist Gewalt. Dies muss sich in der Richtlinie wiederfinden.
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Hinzufügen weiterer Straftatbestände: Hier wollen wir aufbauend auf die rechtliche Grundlage der sexuellen Ausbeutung das Thema Prostitution, Profitieren von der Prostitution anderer und ein Sexkaufverbot hinzufügen.
Klar ist: Nur wenn Frauen und Männer gleichgestellt sind, Gleichheit tief verankert ist, Machtgefälle ausgeschlossen werden und Stereotype abgebaut sind, wird ein Leben ohne Gewalt gegen Frauen möglich sein. Die EU muss also zudem weiterhin in allen Bereichen der Gleichstellung tätig sein, um auch Gewalt nachhaltig bekämpfen zu können. Und das bedeutet heute auch immer wieder gegen Regierungen und ihre Versuche Frauenrechte abzubauen aufzustehen. Frauenleben müssen den europäischen Regierungen die Konfrontation wert sein.
[1] https://commission.europa.eu/document/28552314-3316-40b4-ae0f-17ff8a- b9f43f_de
Mitglied des Europäischen Parlaments und gleichstellungspolitische Sprecherin der Sozialdemokrat*innen
Beitrag aus ParitätInform 1/2023