Sozialwirtschaft und ihr Beitrag für eine enkelgerechte Zukunft die Idee der Gemeinwohlökonomie
Die wichtigste Aufgabe der Sozialwirtschaft und besonders der Kinder- und Jugendhilfe ist es, eine gute Zukunft für die ihr anvertrauten Menschen zu ermöglichen. Als Erziehe*in/Sozialarbeiter*in bedeutet dies im Alltag in der Regel, die unmittelbaren Rahmenbedingungen der jeweiligen jungen Menschen und deren Bezugssystem zu verbessern, so dass ihnen ein guter (zweiter) Start ins Leben gelingen kann. Die Frage, die man sich als verantwortliche*r Akteur*in in Zeiten multipler globaler Krisen aber auch immer mehr stellen muss: reicht es aus, nur auf das jeweilige Individuum zugeschnittene Lösungen zu finden? Muss nicht auch vielmehr an der (Um-)welt selbst gearbeitet werden, um die vielbeschworene enkelgerechte Nachwelt zu schaffen?
Einigen Mitarbeitenden des Michaelshof Hepsisau gingen diese Fragen nicht mehr aus dem Sinn. Und so fand die Idee der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) gleich Anklang, als sie im Kollegium vorgestellt wurde.
"Wer hat im Klo schon wieder das Licht angelassen?"
Im Frühjahr 2020 machte sich eine kleine Arbeitsgruppe bestehend aus vier Mitarbeitenden ans Werk. Zunächst galt es, ein 80-seitiges Arbeitsbuch zu erfassen, zu erklären und die Frage zu diskutieren, wie weit es wohl auf den Wohngruppenalltag herunter zu brechen wäre. Hilfreich war dabei die Unterstützung eines erfahrenden Beraters der GWÖ, der von Beginn an dabei war. Ziel war es, in angemessener Zeit einen umfassenden Bericht zu erstellen, der neben dem ökologischen Impact der Einrichtung noch viele weitere Kennzahlen darstellen sollte.
Die spannende Frage, wie tief man in den täglichen Alltag von sieben Wohngruppen schaut, um die wesentlichen Dinge und Daten zu erfassen, bewegte dabei immer wieder die Gemüter. Im übertragenen Sinne war es die Frage nach dem Verursacher der Toilettenbeleuchtung, die wieder die ganze Nacht hindurch sinnlos vor sich hin strahlte. Im Laufe der gemeinsamen Arbeit wurde deutlich, dass diese Frage tatsächlich eine gewisse Relevanz hatte. Es ging nicht darum, den Schuldigen für den unverhältnismäßigen Stromverbrauch zu finden. Das Wesentliche war, ein Bewusstsein für einen schonenden Umgang mit Ressourcen in allen Arbeits- und Lebensbereichen bei Kindern und Erwachsenen zu schaffen. Denn auch dies wird in einer Gemeinwohlbilanz positiv bewertet.
Darüber hinaus werden aber vor allem harte Fakten, sogenannte "verbindliche Indikatoren" abgefragt: Mit welchen Banken arbeitet das Unternehmen zusammen? Wie beteiligt es seine Mitarbeitenden an den Prozessen und Entscheidungen der Organisation? Welche Zulieferer hat das Unternehmen und wie steht es dort mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen in der Lieferkette? Natürlich immer wieder auch die Überprüfung aller Aspekte auf die Einhaltung von nachhaltigen Kriterien, die daran gemessen werden, ob die verwendeten Rohstoffe und Ressourcen die Erde nicht ausbeuten.
Die Einbeziehung aller Aspekte und Fragen in einen allseits verständlichen Kontext zu bringen, bindet Ressourcen, die in er Jugendhilfe ohnehin knappe Güter sind.
Endlich geschafft!
Nach nahezu drei Jahren mit mehr oder weniger intensiven Arbeitsphasen und einigen Hängern haben wir es im Dezember 2023 endlich geschafft: Der Bericht war fertiggestellt und eine unabhängige, unternehmensfremde Auditorin war auf dem Weg zu uns. Während eines ganzen Tages befragte sie Mitarbeitende, ließ sich Unterlagen zeigen oder schaute sich Abläufe an. Und schon wenige Tage später lag uns der geprüfte Auditbericht vor, mit einem durchaus respektablen Endergebnis, das vom Einrichtungsleiter stolz auf der Weihnachtfeier den Mitarbeiter*innen präsentiert wurde und dessen Zertifikat unter https://audit.ecogood.org/firmen- pp/?qrfkey=w5uro einsehbar ist.
Michaelshof Hepsisau
Der Michaelshof Hepsisau ist eine Einrichtung der Kinder und Jugendhilfe auf anthroposophischer Grundlage im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Hier bekommen junge Menschen im Alter von 6 bis 15 Jahren Unterstützung in schwierigen Lebenslagen. In sieben Wohngruppen und einer dazugehörigen Schule (SBBZ) finden sie einen Ort für einen Neubeginn.
Weitere Infos:
Und was hat´s gebracht?
Und was bleibt nun neben viel Arbeit und Engagement unter dem Strich dem Michaelshof als Mehrwert übrig? Kurz gesagt sehr viel! Zugegebenermaßen ist der Aufwand für die erste Bilanz ziemlich hoch. Jedoch dient diese nun als Gradmesser und Taktgeber für alle folgenden Bilanzierungen, die dann entsprechend weniger Input benötigen. Gleichzeitig wurde mit der Fokussierung auf zentrale Themen ein Reportwesen für die Einrichtung geschaffen, das hervorragend als Instrument zur Weiterentwicklung der Organisation dient. Weiter ist ein Gemeinwohlbericht ein Instrument der Information und Transparenz für Klient*innen und Kund*innen, aber vor allem ist es der schriftliche Beweis für die gute und engagierte Arbeit aller Mitarbeiter*innen und somit ein wesentlicher Baustein für die Bindung an und die Identifikation mit dem Unternehmen. Unser Fazit: Das hat sich wirklich gelohnt!
Stichwort Gemeinwohlökonomie
Die Gemeinwohlökonomie ist eine inzwischen weltweite Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen Referenzrahmen für alle Unternehmen (nicht nur Sozialunternehmen) zu schaffen, der nicht nur die finanziellen Rahmendaten beleuchtet (Finanzbilanz), sondern auf Basis von allgemeingültigen Werten alle Aspekte für ein „gutes Leben für Alle“ abfragt. Mittlerweile sind weltweit 1.275 Unternehmen zertifiziert, darunter auch bekannte Namen wie z. B. der Outdoorbekleidungshersteller Vaude oder auch seit kurzem der Bundesliga-Fußballclub 1. FC St. Pauli. Aber auch Banken, Gemeinden, Universitäten, Schulen und Wirtschaftsunternehmen sind dabei und damit vergleichbar in ihrem Beitrag für ein am allgemeinen Wohl aller Menschen orientierten wirtschaften!
Weitere Infos:
Jens Binder-Frisch - Einrichtungsleiter und Vorstand
Michaelshof Hepsisau
Beitrag aus ParitätInform 02/2024