Dialog und gegenseitiges Zuhören, um gemeinsam gute Lösungen zu finden
Die Sozialwirtschaft in Baden-Württemberg steht unter einem großen Druck. Enorme Kostensteigerungen und akuter Personalmangel bringen einige Einrichtungen und Dienste in eine wirtschaftlich schwierige Situation und gefährden insgesamt die soziale Infrastruktur im Land. Darüber sprach Paritätinform mit Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.
Welchen Stellenwert messen Sie den sozialen Einrichtungen im Land bei im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Das Miteinander der Menschen in einem Gemeinwesen – einer Kommune, einem Stadtviertel oder im ganzen Land – ist eine der Grundlagen unserer Gesellschaft. Es geht hier am Ende um die Frage, was uns im Gemeinwesen zusammenhält, obwohl die Lebenslagen sehr unterschiedlich sein können. Die sozialen Einrichtungen sind unverzichtbar, um die Teilhabe von Menschen an einem Leben in der Gemeinschaft zu unterstützen und um den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten. Häufig sind diese in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände. All den engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danke ich sehr herzlich für ihren Einsatz. Sie sind tagaus und tagein im Einsatz für diejenigen da, die in besonderen Situationen auf Hilfe angewiesen sind. Die Wohlfahrtsverbände und die Kommunen spannen mit ihren Einrichtungen ein dichtes Netz für die Menschen im Land, damit sie bei Problemen Hilfe finden. Dazu gehört es auch, Menschen so zu unterstützen, damit sie sich langfristig selbst helfen können. Ebenso dazu gehört gesellschaftliches und sozialpolitisches Engagement, um die strukturellen Be- nachteiligungen, denen einige Menschen ausgesetzt sind, zu beenden. Denn nur wenn alle selbstbestimmt leben, am Leben in der Gesellschaft teilhaben und aus eigenen guten Gründen selbst gewählte Entscheidungen treffen können, ist – trotz aller Unterschiedlichkeiten – ein respektvolles, wohlwollendes Miteinander auf Augenhöhe möglich. Dies ist die Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Der Einsatz der sozialen Einrichtungen ist umso wichtiger, seit die Corona-Pandemie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Baden-Württemberg beeinträchtigt hat. Dies ist auch das Ergebnis unserer Studie, die wir gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung durchgeführt haben. Die Bürgerinnen und Bürger haben heute weniger Vertrauen in ihre Mitmenschen und in Institutionen. Die sozialen Netze, die Solidarität und die Hilfsbereitschaft im Land sind nach Ansicht der Befragten durch die Pandemie zurückgegangen. Hierauf müssen wir unsere politischen Strategien, Unterstützungsangebote und Förderprogramme ausrichten. Dazu gehören unter anderem unsere Förderprogramme in der Pflege, im Bereich Quartiersentwicklung sowie unsere Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut und die Förderung der Tafeln, aber auch der verlässliche Zuschuss des Landes an die Liga der Freien Wohlfahrtspflege.
Ich denke, dass aufgrund der geschilderten Problemlagen, aber auch aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, die zu anderen Unterstützungsbedarfen für Menschen führen, sich die Angebotslandschaft der sozialen Dienstleister grund- legend verändern muss. Hierbei braucht es Vernetzungen und gemeinsame Angebote, welche einrichtungs- und verbandsübergreifend aufgestellt sein könnten.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage zur Sozialwirtschaft in Baden-Württemberg ein?
Die Sozialwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Die Situation der sozialen Dienstleister ist derzeit durch unterschiedliche Problemlagen geprägt. Dabei spielen der Personalmangel sowie die Personalkostensteigerungen, die Folgen der Corona-Pandemie, die Inflation sowie die erheblichen Energiekostensteigerungen, unter anderem im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, eine große Rolle. Die Problemlagen treffen aber nicht nur die Sozialwirtschaft. Die Kosten für Lebensmittelpreise, Verbrauchsmaterialien oder Dienstleistungen sind für alle Menschen stark angestiegen. So vielschichtig die Herausforderungen sind, so vielschichtig und unterschiedlich organisiert und positioniert sich auch die Sozialwirtschaft. Daher ist es mit pauschalen Feststellungen, Forderungen oder Unterstützungen nicht getan. Aufgrund der immer komplexeren Zusammenhänge und Gegebenheiten müssen wir genau hinschauen, um in gemeinsamer Verantwortung die Herausforderungen zu meistern.
Viele kleinere soziale Einrichtungen sind durch die enormen Kostensteigerungen in einer finanziell prekären Situation. Dazu kommt die Finanznot der Kommunen. Was kann das Land tun, um die soziale Infrastruktur und Versorgungssicherheit der Menschen im Land nicht zu gefährden?
Die Situation der sozialen Dienstleister ist sehr heterogen und sie sind innerhalb des Landes sehr unterschiedlich betroffen. Des Weiteren sind die Zuständigkeiten der Kosten- beziehungsweise Förderträgerschaft sehr vielschichtig. Von den beschlossenen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen des Bundes profitieren die sozialen Dienstleister sehr unterschiedlich. Um als Sozialministerium zusammen mit anderen Ressorts der Landesregierung differenziert vorgehen zu können, ist das Land mit den Vertretern der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege im regelmäßigen Gespräch, beispielsweise in Formaten wie dem Landespflegeausschuss. Aus diesen Erfahrungen heraus kann ich sagen, dass Hilfen im Gießkannenprinzip oder als Schnellschuss nicht helfen, aber der Dialog und das gegenseitige Zuhören eine wichtige Grundlage bilden. Unterstützungen müssen an den Stellen wirken, an denen sie auch tatsächlich benötigt und auch umgesetzt werden können. Hierzu müssen wir weiter in Kontakt bleiben. Ich setzte darauf, dass wir auch in Zukunft gemeinsam gute Lösungen finden werden.
Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft schauen: Wie ist die Situation dann in Baden-Württemberg und welche neuen Aufgaben werden Wohlfahrtsverbände in Zukunft wahrnehmen?
Auch in Zukunft brauchen wir unbedingt die Angebote und Unterstützungsleistungen der sozialen Dienstleister. Weiterhin wird es die Rolle der Wohlfahrtsverbände sein, als soziale Dienstleister, als Lobby für insbesondere benachteiligte Personengruppen und als Impulsgeber für die Landesregierung bei der Gestaltung der Sozialpolitik zu wirken. Ich denke, dass aufgrund der zuvor geschilderten Problemlagen, aber auch aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, die zu anderen Unterstützungsbedarfen für Menschen führen, sich die Angebotslandschaft der sozialen Dienstleister grundlegend verändern muss. Hierbei braucht es Vernetzungen und gemeinsame Angebote, welche einrichtungs- und verbandsübergreifend aufgestellt sein könnten. Auch die Gesellschaft in die Unterstützungsstrukturen einzubeziehen, zum Beispiel über Ehrenamt und Quartier, wird weiter an Bedeutung gewinnen. Ich habe nicht die Sorge, dass die sozialen Dienstleister nicht mehr benötigt werden. Sie sind schon heute nahe am Menschen und darauf wird es auch in Zukunft ankommen – ganz besonders in Zeiten mehrerer Krisen.
Kontakt: Markus Jox, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Pressesprecher Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg
Beitrag aus ParitätInform 2/2023