In der Kinder- und Jugendhilfe ist der Fachkräftemangel wie in vielen anderen sozialen Bereichen mittlerweile deutlich spürbar. Das Projekt Camica (Catch me if you can) ist ein Praxisentwicklungsprojekt zur Gewinnung, Entwicklung und Bindung von Fach- und Führungskräften in der Kinder- und Jugendhilfe, das sich mit diesem Mangel auseinandersetzt.
Die Idee
Die Einrichtungsleitungen von kit jugendhilfe Tübingen, Jugendhilfe Creglingen und Kinder- und Jugendhilfe Linzgau hatten die Idee, ein trägerübergreifendes Projekt auf die Beine zu stellen, um zukunftsfähige Konzepte für die Personalakquise und -bindung zu entwickeln. Seit Jahren besteht eine enge fachliche Kooperation zwischen den drei Partnereinrichtungen über die Fachgruppe Jugendhilfe des Paritätischen, das Kernteam und gemeinsam durchgeführte Projekte. In der Größe, der Struktur der Angebote, vor allem auch der Philosophie der drei Einrichtungen gibt es viele gemeinsame Anknüpfungspunkte. Aus einem gemeinsamen Trainee-Programm für Nachwuchsführungskräfte wurde die Idee geboren und ein gemeinsamer Förderantrag beim Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) gestellt.
Projektstruktur
Das Projekt Camica startete im September 2022 und läuft bis Ende August 2025. Unterstützt und gefördert wird Camica vom KVJS. Jede Einrichtung stellt ein*e Mitarbeiter*in mit einer Freistellung von 0,2 Vollkraftstellen. kit jugendhilfe stellt zusätzlich 0,4 Vollkraftstellen zur Leitung und Koordination des Projektes. Begleitet wird das Projektteam von den drei Einrichtungsleitern in der Steuerungsgruppe sowie von einem Beirat mit Vertreter*innen des KVJS, dem Paritätischen und weiteren ausgewählten Partner*innen nach Thema und Bedarf. Die beiden Gremien werden ergänzt durch Fachveranstaltungen im Format „Horizonte“ in remote.
Durch regelmäßige Remotesitzungen und einem persönlichen Kick-Off hatte sich das vierköpfige Team schnell zusammengefunden. Zunächst wurden einige Fachvorträge besucht, um sich in das Thema Personal einzufinden – Baby-Boomer, Generation Z, Recruiting, Onboarding usw. waren auch für das Team neue Begriffe.
Projektarbeit
Als erster Arbeitsschritt wurden die bestehenden Strukturen in den drei Einrichtungen im Hinblick auf Catching und Akquise neuer Mitarbeitenden, Onboarding, Ongoing und Offboarding untersucht. Auch die Recruitingwege wurden beleuchtet. Unterschiedlichkeiten wurden bewertet und nach Überprüfung von den anderen Einrichtungen als Anregungen aufgegriffen. Als Highlights der „best-practice“-Modelle wurden z. B. die Personalstelle einer Ausbildungsbeauftragten, das Mentoringmodell, eine Roadshow (Besuch der Einrichtungsleitung in den Teams) identifiziert. Ebenso konnten die Benefits und die Strukturen in den Einrichtungen, z. B. beim Betrieblichen Gesundheitsmanagement verglichen werden. Auch in vielen anderen Bereichen griff man auf die Erfahrungen der anderen Einrichtungen zurück.
Sichtbar werden
Nach dem ersten Horizont „Strategische Mitarbeitendengewinnung und -bindung durch Employer Branding“ mit einer externen Fachreferentin wurde deutlich, wie wichtig die Außenwirkung im „Storytelling“ über unsere Einrichtungen und deren Arbeit ist. „Wo grenzen wir uns ab? Was zeichnet uns aus?“ Wichtige Fragen, die sich die Einrichtungen stellen sollten.
Die Webseiten wurden im Hinblick auf Bewerbungsfreundlichkeit umgestaltet, Flyer angefertigt und Give-Aways organisiert und u. a. auf Ausbildungsmessen verteilt; Social-Media-Kanäle wurden erstellt und erweitert.
Im Idealfall startet der erste Arbeitstag mit einer gemeinsamen Teamsitzung, in der man Mitarbeitenden kennenlernt und schon mal einen ersten Eindruck von den Jugendlichen bekommt.
Mitarbeitende eng begleiten
Im anfänglichen Projektverlauf wurde die Wichtigkeit des Pre- und Onboardings deutlich. Ein enger Kontakt zu den Bewerber*innen und Neueinsteiger*innen ist von hoher Bedeutung, genauso wie der erste Arbeitstag und die Einarbeitungsphase. In drei gemeinsamen Online-Workshops teilten die Neueinsteiger*innen Erfahrungen, Erwartungen und Wünsche an die Einrichtungen mit. Betroffene machten unterschiedliche Erfahrungen wie „Meine Anfangszeit war wie ein Sprung ins kalte Wasser“ oder „Am ersten Arbeitstag war kein Schlüssel für mich da“. Erfreulich hingegen: „Ich hatte eine Bezugsperson, die immer für mich da war“. Ebenso fand eine Befragung dieser Gruppe durch Studierende im Rahmen eines Studienprojekts statt. Die Ergebnisse wurden den Leitungsteams der Einrichtungen vorgestellt und es gab Anregungen zur Umsetzung und Gestaltung.
Alternatives Recruiting
Im Bereich der Akquise wurde das Recruiting von Fachkräften aus dem Ausland betrachtet und hinterfragt; mit dem Ergebnis, dass das Recruiting mit sehr vielen Hürden und finanziellem Aufwand verbunden ist. Es ist derzeit keine Option im Bereich der stationären Kinder- und Jugendhilfe, da es bisher kaum Erfahrungen gibt, die genutzt werden könnten. Näher betrachtet hat das Team den Quereinstieg in die Jugendhilfe, vor allem im Hinblick auf das neue Projekt Direkteinstieg Kita. Wie können Quereinsteiger*innen gefunden und geschult werden, um dem Fachkräftekatalog des KVJS gerecht zu werden? Hierzu fand ein Onlineaustausch im Format „Horizont“ mit Vertreter*innen aus der Praxis statt.
Das Mentoring war für mich super, da meine Mentorin mit mir nach meinen Wünschen gearbeitet hat. So konnten wir konkrete Unsicherheiten bzgl. meines Teams, meiner Klient*innen und meiner Bereichsleitung besprechen. Außerdem hat sie mit mir besprochen, was ich für ein Idealbild von mir als Sozialpädagogin habe, und wie ich mich selbst bislang wahrnehme – das hat über die Zeit super geholfen. Und ich konnte mit ihr konkrete Möglichkeiten, von der Arbeit abzuschalten, besprechen. Allgemein habe ich sehr von ihrer Erfahrung, ihren Tipps und ihrer einfühlsamen Art profitiert.
Ausblick und Resumee
Derzeit plant das Team einen weiteren „Horizont“ zum Thema Mentale Fitness für Mitarbeiter*innen sowie die Neuauflage eines gemeinsamen Trainee-Programmes für Mitarbeitende, die Gestaltungs- und Führungsaufgaben übernehmen (möchten), welches im Sommer startet. Im letzten Projektjahr ist eine Auswertung der Erfahrungen geplant und die Erarbeitung einer Toolbox.
Eine bedeutende Erkenntnis aus dem bisherigen Projektverlaufs ist, dass man nicht mehr konkurrenzdenkend, sondern offen sein sollte. Miteinander denken, Unterschiede sichtbar machen, voneinander lernen und gemeinsam darüber reden – so könnte man die Zukunft in der Jugendhilfe gestalten und Soziale Arbeit attraktiv machen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen ist auch eine starke Lobbyarbeit von Nöten, um in der Öffentlichkeit präsenter zu werden.
Melanie Gärtner
Beitrag aus ParitätInform 02/2024