Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Juli 2021 über die Frage entschieden, ob eine Platz-/Reservierungsgebühr, die einem privatversicherten Pflegebedürftigen für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug in das Pflegeheim berechnet wurde, zurückerstattet werden muss. Über das Urteil haben wir bereits mit Fachinformation vom 21. Juli 2021(https://paritaet-bw.de/leistungen-services/fachinformationen/platz-reservierungsgebuehr-bgh-urteil-vom-15072021) mit Verweis auf die Presseerklärung des BGH informiert. Nunmehr liegt die Urteilsbegründung (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&client=12&pos=0&anz=1&Blank=1.pdf&nr=121024) vor, die allerdings nichts neues im Vergleich zur Presseerklärung des BGH beinhaltet.
In den Leitsätzen stellt der BGH fest, dass der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 WBVG nicht nur Verbraucher, die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung im Sinne des § 28 SGB XI unmittelbar beziehen erfasst, sondern auch Verbraucher, die Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung im Sinne von § 23 in Verbindung mit § 110 SGB XI erhalten und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch nehmen. Zudem wird ausgeführt, dass es mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar ist, eine Platz-oder Reservierungsgebühr auf der Basis des vertraglichen Leistungsentgelts -gegebenenfalls vermindert um pauschalierte ersparte Aufwendungen -für die Zeit vor der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim bis zum tatsächlichen Einzugstermin vertraglich festzulegen. Eine solche Vereinbarung ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI unwirksam.
Sachverhalt:
Für die inzwischen verstorbene Mutter des Klägers bestand eine private Pflegepflichtversicherung. Sie war ab dem 4. Januar 2016 pflegebedürftig und wurde zunächst in einem anderen Alten- und Pflegeheim vollstationär untergebracht. In der Folgezeit schlossen der Kläger als Vertreter seiner Mutter und die Beklagte als Einrichtungsträgerin unter dem 12. Februar 2016 einen schriftlichen "Vertrag für vollstationäre Pflegeeinrichtungen" mit Wirkung zum 15. Februar 2016. Der Einzug der Bewohnerin in das Pflegeheim der Beklagten erfolgte am 29. Februar 2016.
Der Pflegevertrag sieht vor, dass die (künftige) Bewohnerin vom Vertragsbeginn bis zum Einzugstermin eine Platzgebühr in Höhe von 75 % der Pflegevergütung, der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie des Umlagebetrags nach der Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung (AltPflAusglVO) zu entrichten hat.
Dementsprechend stellte die Einrichtung (Beklagte) unter dem 22. März 2016 der Mutter des Klägers für die Reservierung eines Zimmers in ihrem Pflegeheim in dem Zeitraum vom 15. bis 28. Februar 2016 eine Platzgebühr in Höhe von 1.127,84 € in Rechnung. Der Kläger bezahlte zunächst den Rechnungsbetrag. 2018 forderte er die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung auf.
Der Kläger machte geltend, gemäß § 87a SGB XI habe eine Vergütungspflicht erst ab dem tatsächlichen Einzug seiner Mutter in das Pflegeheim der Beklagten am 29. Februar 2016 bestanden. Abweichende Vereinbarungen seien unwirksam.
Entscheidungsgründe:
Der BGH führt aus, dass die Vereinbarung einer Platz-/Reservierungsgebühr mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar und daher unwirksam (15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI) sei.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG müssen in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem SGB XI in Anspruch nehmen, die Vereinbarungen den Regelungen des Siebten und Achten Kapitels des SGB XI sowie den aufgrund dieser Kapitel getroffenen Regelungen entsprechen. Die Verweisung in § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG auf die Vorschriften des Achten Kapitels des SGB XI über die Vergütung der Pflegeleistungen schließe die zu diesen Bestimmungen zählende Regelung des § 87a Abs. 1 SGB XI ein.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts umfasse der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 WBVG nicht nur Verbraucher, die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung im Sinne des § 28 SGB XI unmittelbar beziehen, sondern auch Verbraucher, die Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung erhalten und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch nehmen. Dafür spräche nicht nur der enge systematische Zusammenhang und die leistungsmäßige Gleichstellung der sozialen und der privaten Pflegeversicherung (§ 23 in Verbindung mit § 110 SGB XI), sondern vor allem auch der in der Gesetzesbegründung eindeutig zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck der Vorschrift.
In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass mit § 15 Abs. 1 WBVG eine Sonderregelung für das Verhältnis zwischen vertraglichen Vereinbarungen von Unternehmer und Verbraucher und den gesetzlichen Regelungen des SGB XI geschaffen werde. Hiernach seien vertragliche Vereinbarungen, die den Vorschriften des SGB XI sowie den aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen nicht entsprächen, unwirksam. Erfasst würden mit der Bezugnahme auf die Regelungen des SGB XI auch die Fälle mittelbarer Leistungsinanspruchnahme im Rahmen der privaten Pflegepflichtversicherung.
Dem in der Gesetzesbegründung betonten Zweck des § 15 Abs. 1 WBVG, den Vorrang des Leistungserbringungsrechts nach dem SGB XI vor vertraglichen Vereinbarungen nach dem WBVG sicherzustellen und die zivilrechtlichen/vertragsrechtlichen Vorgaben des WBVG mit den leistungsrechtlichen Bestimmungen des SGB XI zu harmonisieren, kann nur dann umfassend Rechnung getragen werden, wenn der Anwendungsbereich der Norm auch auf die Fälle der mittelbaren Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach dem SGB XI erstreckt werde. Andernfalls käme es zu einer kaum nachvollziehbaren Ungleichbehandlung der hinsichtlich des Leistungsumfangs gleichgestellten Versicherten in der privaten Pflegeversicherung, die der Gesetzgeber in diesem Bereich gerade vermeiden wolle.
Es sei daher mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar, eine Platz- oder Reservierungsgebühr auf der Basis des vertraglichen Leistungsentgelts – gegebenenfalls vermindert um pauschalierte ersparte Aufwendungen – für die Zeit vor der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim bis zum tatsächlichen Einzugstermin vertraglich festzulegen. Dies widerspräche nicht nur dem Prinzip der Abrechnung der tatsächlichen Leistungserbringung auf Tagesbasis, sondern begründe auch die (naheliegende) Gefahr, dass Leerstände im Anschluss an einen Auszug oder das Versterben eines Heimbewohners doppelt berücksichtigt würden, nämlich zum einen über die in die Pflegesätze eingeflossene Auslastungskalkulation und/oder etwaige Wagnis- und Risikozuschläge und zum anderen über die zusätzliche Inrechnungstellung eines Leistungsentgelts ohne tatsächliche Leistungserbringung gegenüber einem zukünftigen Heimbewohner.
§ 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI erkläre die Regelungen zur Zahlungspflicht nach § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI für zwingend. Wegen § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG ist es auch nicht möglich, abweichenden Vereinbarungen in einem Wohn- und Betreuungsvertrag den Vorrang einzuräumen.
Abweichendes ergibt sich auch nicht aus § 87a Abs. 1 Sätze 5 bis7 SGB XI. Dabei handelt es sich um Sonderregeln für die Fälle vorübergehender Abwesenheit des Bewohners, die an den Grundsatz des § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI anknüpfen und diesen konkretisieren, ergänzen und modifizieren. Die Regelung setzt die tatsächliche Aufnahme des Bewohners in das Pflegeheim voraus und normiert einen gesetzlichen Anspruch auf Freihaltung seines Pflegeplatzes, wenn er das Heim vorübergehend wieder verlässt (z.B. bei Aufenthalten im Krankenhaus oder in einer Rehabilitationseinrichtung, bei Urlaub). Insoweit fingiert das Gesetz -im Hinblick auf den Vorhalteaufwand der Einrichtung -eine Leistung der Pflegeeinrichtung auch während der Zeit der (vorübergehenden) Abwesenheit des Bewohners und auferlegt sowohl der Einrichtung als auch dem Heimbewohner entsprechende Rechtspflichten (Freihalteverpflichtung beziehungsweise Zahlungspflicht. Dementsprechend bestimmt § 75 Abs. 2 Nr. 5 SGB XI, dass die Rahmenverträge bei vorübergehender Abwesenheit des Pflegebedürftigen "aus dem Pflegeheim" (Krankenhausaufenthalt, Beurlaubung) Abschläge von der Pflegevergütung regeln müssen.
Nicht Gegenstand der Entscheidung war die Frage, ob gegenüber Selbstzahlern, die keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung beziehen und auch keinen Kostenerstattungsanspruch gegenüber einer privaten Pflegeversicherung haben, der Beginn der Entgeltzahlungspflicht zu einem bestimmten Zeitpunkt unabhängig davon vereinbart werden kann, ob der Pflegebedürftige an diesem Tag tatsächlich in das Heim aufgenommen wird.
Fazit:
Im Ergebnis ist das Urteil sehr klar in seiner Aussage, dass Platz-/Reservierungsgebühr nicht zulässig sind, wenn der Betreiber einer stationären Pflegeeinrichtung einem zukünftigen Bewohner für die Zeit zwischen Vertragsschluss und tatsächlichem Einzug ein Entgelt in Rechnung stellt. Die Abwesenheitsregel greift für diesen Zeitraum nicht. Ob der Pflegebedürftige gesetzlich oder privat versichert ist, spielt keine Rolle. Die Einrichtungsträger haben daher lediglich die Möglichkeit über die Auslastungsquote und/oder etwaige Wagnis- und Risikozuschläge einen Ausgleich im Pflegesatz zu verhandeln. Da Rückforderungsansprüche erst nach drei Jahren verjähren, sollten entsprechende Rückstellungen gebildet werden. Die Verjährungsfrist beginnt mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (vgl. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Nach unserer Einschätzung müssen die Einrichtungsträger jedoch nicht aktiv auf die etwaigen Rückforderungsansprüche der Bewohner hinweisen.