Beteiligungsformate neu ausrichten

Fachinformation - geschrieben am 16.08.2024 - 09:16

Die Ombudschaft in Baden-Württemberg

Im Zuge der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wurden 2021 über den neu eingeführten § 9a SGB VIII alle Landesregierungen verpflichtet, Ombudsstellen in ihren Bundesländern einzurichten und diese dem Bedarf entsprechend sicherzustellen. Bereits ein Jahr vor der bundesweiten gesetzlichen Verankerung hat sich das Land Baden-Württemberg verbindlich dazu entschieden, Ombudsstellen als festen Bestandteil in der Kinder- und Jugendhilfe hierzulande zu implementieren.

Das Landesombudssystem von Baden-Württemberg ist organisatorisch an den Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) angegliedert. Seit Sommer 2020 etabliert, verfolgt es das Ziel, mit unabhängiger Beratung die Beteiligung von jungen Menschen und ihren Familien in der Jugendhilfe zu fördern. Der dreigliedrige Aufbau umfasst eine koordinierende Geschäftsstelle, vier regionale Ombudsstellen mit hauptamtlichen Beraterinnen und eine Struktur des zivilgesellschaftlichen Engagements. 

Über 1.800 Fälle hat die Landesombudschaft seit Bestehen bereits bearbeitet; jedes Jahr konnte dabei eine Steigerung der Beratungsanfragen verzeichnet werden, was auf einen stetig anwachsenden Bekanntheitsgrad zurückzuführen ist. 

 

Unabhängige Beratung Im Konfliktfall

Die Anliegen der Ratsuchenden an die Ombudsstellen sind sehr vielseitig. Allen gemeinsam ist, dass ein Konflikt mit der öffentlichen und/oder freien Jugendhilfe zugrunde liegt. Hierunter kann sich jedoch eine große Spannbreite subsumieren: Angefangen beim persönlichen Eindruck, von den jeweiligen Fachkräften der öffentlichen oder freien Kinder- und Jugendhilfe nicht genügend über einen Sachverhalt informiert oder hierzu nicht hinlänglich gehört worden zu sein, bis hin zur Einlegung eines Widerspruchs oder einer Klageeinreichung, wenn die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung in Frage gestellt wird bzw. zustehende Leistungen nicht oder nicht dem Bedarf entsprechend gewährt wurden. 

Die Aufgabe der Ombudschaft liegt nun darin, die Ratsuchenden dabei zu unterstützen, in einem partizipativen Sinne eine Aushandlung auf Augenhöhe zwischen den Beteiligten im jugendhilferechtlichen Leistungsdreieck zu erreichen. Dies kann durch Informationen, Aufklärung, Beratung oder Vermittlung geschehen und dient dazu, junge Menschen und ihre Familien zu stärken, damit sie ihre Rechte möglichst eigenständig wahrnehmen und verwirklichen können. 

 

Junge Menschen und ihre Familien als Zielgruppe

Im Jahr 2023 waren es mit rund 50 Prozent mehrheitlich Eltern, die den Kontakt zu den regionalen Ombudsstellen aufgenommen hatten. In zehn Prozent der Fälle waren es die jungen Menschen selbst, die zu einem Problem mit ihrem Jugendamt oder ihrer Jugendhilfeeinrichtung ombudschaftlichen Rückhalt suchten. Bei Personen außerhalb der Familie waren es vor allem Fachkräfte von freien Trägern mit 17 Prozent, die die Beratung veranlassten.                             

- siehe Grafik unten

Hier ist zu sehen, dass diese Fachkräfte oftmals im Auftrag der von ihnen betreuten jungen Menschen gehandelt hatten. Hinsichtlich des rechtlichen Zuständigkeitsbereichs der Anfragen dominierte, wie in früheren Jahren auch, die Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII (43 Prozent) – hier insbesondere Settings der Unterbringung außerhalb der Familie.

 

Digitale Reichweite und Öffentlichkeitsarbeit immer mitgedacht

Damit das ombudschaftliche Beratungsangebot von Ratsuchenden in Anspruch genommen werden kann, ist es grundlegend, im Rahmen der ganzen Kinder- und Jugendhilfe sichtbar zu sein. Neben der eigentlichen Beratungstätigkeit nimmt deshalb auch die Öffentlichkeitsarbeit eine zentrale Rolle beim Team Ombudschaft ein. Verschiedene Kanäle und Plattformen wurden hierfür sukzessive aufgebaut. Herzstück dabei ist die eigene Homepage sowie das Instagram-Profil als zweite große Säule der digitalen Netzwerkarbeit. Die beiden Kernbausteine wurden bisher durch einen Podcast und einen Newsletter für Fachkräfte flankiert.

Aus der Landesstatistik ist bekannt, dass es besonders Fachkräfte von freien Jugendhilfeträgern sind, über die junge Menschen und ihre Familien von der Ombudschaft erfahren. Sie stellen in ihrer Brückenfunktion eine wichtige Ressource dar. Persönliche Vorstellungs- oder Austauschtermine in den Jugendhilfeeinrichtungen, in denen die Fachkräfte arbeiten, werden deshalb regelmäßig durchgeführt. Damit geht einher, dass im Jahr 2023 mehr als jede dritte Anfrage, die bei den regionalen Ombudsstellen eingingen, einen direkten Bezug zur Heimerziehung nach § 34 SGB VIII hatte.

 

Materialkoffer für stationäre Jugendhilfe

In den letzten Jahren hat das Beratungsteam aufgrund dieses hohen Anteils an Beratungsvorgängen zur stationären Unterbringung die damit gemachten Erfahrungen systematisch aufbereitet. Es entstand die Idee, diese in spielerisches Material zu übersetzen und den stationären Jugendhilfeeinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Vor allem die Themen der jungen Menschen standen dabei im Mittelpunkt, die häufig das Zusammenleben in einer Einrichtung, die Ausgestaltung von Beziehungen, vorgegebene Regelwerke oder einen fehlenden Einbezug in Entscheidungen zum Inhalt haben.

So entwickelte das Team einen Materialkoffer, der insgesamt sieben Spiele zu lebensweltlichen Situationen und typischen Konflikten in Wohngruppen beinhaltet und darüber Zugangswege anbietet, sich im pädagogischen Alltag gezielt mit Partizipation, Kinderrechten und Konfliktbearbeitung auseinanderzusetzen.

Die Spiele des Materialkoffers ermöglichen es Fachkräften, einen Gesprächsanlass im Gruppen- oder Einzelkontakt zu schaffen, ohne dass z. B. ein realer Konflikt gerade akut gelöst werden müsste und damit personenbezogen emotional aufgeladen ist. Auch lassen sich dadurch Gelegenheiten gestalten, in denen junge Menschen ihre eigenen Grenzen verbalisieren und die Grenzen der anderen besser wahrnehmen können, um so gegenseitige Erwartungen und Bedürfnisse in einem geschützten Rahmen auszutauschen.

 

Dr. Sonja Kuhn und Renke Jahn

Landesombudsstelle - Baden-Württemberg, Stuttgart 

www.ombudschaft-jugendhilfe-bw.de

 

Beitrag aus ParitätInform 02/2024

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