Beratungskompetenz kommt in die Fläche

Fachinformation - geschrieben am 25.04.2023 - 13:33
Frau sitzt verzweifelt auf einem Kissen am Boden

Hilfe für Frauen durch Mobile Teams in ländlichen Gebieten

Im Projekt „Mobile Teams der Fachberatungsstellen gegen häusliche und sexualisierte Gewalt sowie im Bereich Prostitution und Menschenhandel“ bringen die Fachberatungsstellen angesichts der Herausforderungen durch die Corona-­Pandemie Beratungskompetenz in die Fläche. Der Zugang zu niedrigschwelliger Beratung wird durch flexible, wohnortnahe, virtuelle oder aufsuchende Angebote für gefährdete Frauen und Kinder in Baden­-Württemberg geebnet.

Die Corona-Situation führte dazu, dass Not und Gewalt tendenziell zunahmen und zugleich Hilfe durch Kontaktbeschränkungen schwer erreichbar war. Neben der Bewältigung von Erschwernissen durch die Pandemie bezweckte das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg mit der Förderung der Mobilen Teams, die Versorgungssituation im Land insgesamt zu verbessern und Angebotslücken zu schließen*.

Wie Beratung in die Fläche bringen?

Die Etablierung eines Beratungsangebots mit sensiblen Inhalten im ländlichen Raum benötigt eine professionelle und kontinuierliche Netzwerkpflege. Offenheit und Förderung durch lokale Institutionen, Kooperationspartner*innen und Kreis- bzw. Stadtverwaltungen zählen zu den zentralen Voraussetzungen. Dafür sind eine persönliche Kontaktaufnahme, eine auf die Region abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit, die Klärung der Vermittlung von Klient*innen sowie ein regelmäßiger Austausch mit zentralen Kooperationspartner*innen notwendig. Es bedarf der zuarbeitenden Menschen in den Landkreisen, die Frauen sowohl zur Inanspruchnahme des Angebotes motivieren als auch nachfolgende Hilfen und Interventionen anbieten.

Runde Tische gegen Gewalt oder im Bereich Prostitution

In manchen Regionen gelang es den Mobilen Teams, einen "Runden Tisch gegen Gewalt" oder im Bereich Prostitution ins Leben zu rufen. Durch die Einführung eines solchen Arbeitsgremiums ist die Kontinuität und Verbindlichkeit der Kooperation am besten geregelt. Im ländlichen Raum ist zudem die Örtlichkeit von Beratung äußerst sorgfältig zu planen. Dies betrifft einmal die Verkehrsanbindung. Aber auch auf Anonymität ist besonders zu achten, um Stigmatisierungen vorzubeugen. Der Rückgriff auf „neutrale“ Räumlichkeiten wie in einem Gemeindezentrum sowie Beratung im Freien, in einem Beratungsbus oder als Hausbesuch eignen sich zur Herstellung von Vertraulichkeit. Das bedeutet aber auch, dass das Mobile Team zahlreiche Materialien und ein mobiles technisches Equipment mit sich führen muss. Verstärkt durch Wellen der Pandemie mussten Zeit und Örtlichkeit meist individuell nach den Bedarfen und Möglichkeiten der Klientinnen ausgehandelt werden. Nicht zuletzt erfordern diese zeitintensiven Aufgaben eine solide Finanzierung von personellen Ressourcen. Gute Arbeit benötigt passende strukturelle Voraussetzungen und Qualitäten.

Das Mobile Team des Vereins Frauen- und Kinderschutz Singen

Im westlichen Hegau im Landkreis Konstanz ist das Mobile Team des Frauen- und Kinderschutz e.V. Singen unterwegs. Eine offene Sprechstunde für von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen wurde im Rathaus Tengen, einer Gemeinde bestehend aus acht zusammengeführten Teilorten und weiteren 23 Höfen, eingerichtet. „Unsere Arbeit wurde von vielen Stellen wie Kindergärten, Schulen, Polizei, Ordnungsämtern, Jugendamt, Arztpraxen und Pfarrgemeinden mit offenen Armen empfangen und unterstützt“, erläutert Vanessa Wind, Mitarbeiterin im Singener Frauen- und Kinderschutz e.V. „Neben der offenen Sprechstunde  kann Beratung für die Betroffenen passgenau stattfinden und so eine Niederschwelligkeit garantiert werden.“

Das Mobile Team richtete zur Vernetzung und zum fachlichen Austausch über häusliche Gewalt einen Runden Tisch in Tengen ein. Diese kontinuierliche Netzwerkpflege, ein guter Kontakt zur lokalen Presse und Öffentlichkeitsarbeit wie eine Bäckertütenaktion haben zur Etablierung des Angebotes beigetragen. So konnte die mobile Beratung in den letzten beiden Jahren von insgesamt 95 Frauen in Anspruch genommen werden.

Die Zukunft der Mobilen Teams - was kommt 2024?

Das Mobile Team des Vereins Frauen- und Kinderschutz e.V. Singen zeigt auf: die Mobilen Teams haben ihr Angebot aufgestellt, sind in den Regionen angekommen und signalisieren, wie wichtig der Ausbau des Hilfsangebote im ländlichen Raum ist. Mit flexiblen Beratungsangeboten wurde eine Lücke im Hilfesystem geschlossen. Das Projekt wurde aufgrund der Corona-Pandemie initiiert, die ambulante Versorgung von gewaltbetroffenen Frauen bleibt aber unabhängig von der Pandemie wichtig und notwendig.„Bund, Länder und Kommunen sind durch die geltende Istanbul- Konvention, das europäische Übereinkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, verpflichtet, Gewalt gegen Frauen effektiv zu bekämpfen und Betroffenen eine bedarfsgerechte Versorgungsstruktur vorzuhalten“, sagt Dr. Katrin Lehmann, fachliche Begleitung der „Mobile Teams“ bei der Werkstatt PARITÄT. So sieht auch der Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Regierung eine Verstetigung der Mobilen Teams der Fachberatungsstellen vor. Ab dem Jahr 2024 ist eine Aufnahme der Mobilen Teams in die Verwaltungsvorschrift zur Förderung der Fachberatungsstellen angedacht. Den überwiegenden Teil haben jedoch künftig die Kommunen aufzubringen. Bereits 2023 wurden die Förderbedingungen verändert und die Co-Finanzierung in die Verantwortung der Träger gelegt, die mehrheitlich kommunale Mittel beantragt oder aufwendige Spendenakquise betrieben haben. Die Frage nach der Verstetigung der Angebote nach der Projektlaufzeit und damit nach einer langfristigen Verbesserung der Infrastruktur an Beratungshilfen bleibt somit nicht abschließend geklärt.

 

* Die Förderung durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration begann im Herbst 2020 und endet nach zweimaliger Verlängerung am 31.12.2023. Die Koordination des Projektes mit seinen aktuell 19 Mobilen Teams erfolgt über die Werkstatt PARITÄT gGmbH. 

Mehr zum Projekt Mobile Teams

Margarita Sommerfeld

Projektleitung Mobile Teams

Werkstatt PARITÄT

 

Beitrag aus PARITÄTinform 1/2023

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