Armutsfalle Wohnen

Fachinformation - geschrieben am 07.10.2022 - 14:52
Tierfalle mit einem Haus in der Mitte

Der Schock durch den Krieg in der Ukraine, explodierende Energiekosten, eine Inflation auf Rekordniveau und die Aus- und Nachwirkungen der Corona-Pandemie belasten die Konjunktur, treffen Mieter*innen und haben Auswirkungen auf den schon vor der Krise mehr als angespannten Wohnungsmarkt.

Wohnen macht arm

(Bezahlbarer) Wohnraum nicht nur in Ballungsräumen ist knapp. Mieten sowie Haus- und Wohnungspreise steigen seit Jahren ungebremst und das trotz vielfacher politischer Willensbekundungen, mehr zu bauen und mehr geförderten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Schon heute gibt die Hälfte aller Haushalte in größeren Städten mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass fast jeder zweite in Deutschland zu teuer wohnt. Vor allem für ärmere Haushalte wird die Miete mehr und mehr zu einem finanziellen Problem und verstärkt das Armutsrisiko. Jeder vierte Mieterhaushalte in Deutschland gilt schon heute als armutsgefährdet. Aber auch Haushalte mit mittleren Einkommen finden nur schwer eine bezahlbare Wohnung und müssen einen immer größeren Anteil ihres Einkommens für Miete aufwenden.

Hohe Energieausgaben treffen ärmere Haushalte hart

Das Armutsrisiko steigt weiter. Geringverdienende müssen im Zuge des Anstiegs der Energiepreise und Lebenshaltungskosten einen noch größeren Anteil ihres Einkommens aufwenden. Zudem ist es ihnen mangels Vermögen kaum möglich, die höheren Preise zu kompensieren. Hinzu kommt, dass armutsbetroffene oder armutsgefährdete Haushalte oft in energetisch ineffizientem Wohnraum mit einer energieineffizienten Ausstattung leben. Wohnen wird so bei hohen Energiekosten schnell zur Armutsfalle werden. Durch die nachgelagerten Abrechnungen für Energieausgaben wird sich der Preissprung erst zeitversetzt zeigen. Die Politik muss handeln und sich fragen, wie sie armutsgefährdete bzw. armutsbetroffene Haushalte zielgerichtet unterstützt. Die bisher beschlossenen Entlastungspakete helfen diesen Haushalten nur bedingt.

Wohnen ist ein Menschenrecht und Wohnung keine Ware

Die Politik muss handeln, dass Wohnen nicht zur Armutsfalle wird. Es geht um persönliche Schicksale von Menschen, die Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems sind und den enormen politischen Handlungsdruck illustrieren. Es ist die Aufgabe der Politik, allen Menschen einen ihren individuellen Bedürfnissen angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und Preissteigerungen im Zuge der Krise für armutsgefährdete bzw. armutsbetroffene Haushalte zielgerichtet abzufangen.

Bautätigkeitsstatisitk

Darum fordert der PARITÄTISCHE eine Kurskorrektur der Wohnungspolitik für Baden-Württemberg und die zielgerichtete Unterstützung armutsgefährdeter bzw. armutsbetroffener Haushalte.

Was heisst arm?

Als armutsgefährdet werden in Europa Menschen eingestuft, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen.

2021 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 15.009 Euro netto im Jahr (1.251 Euro im Monat), für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 31.520 Euro netto im Jahr (2.627 Euro im Monat).

Quelle: Statistische Bundesamt (Destatis) Pressemitteilung Nr. 327 vom 4. August 2022
  • Gegen Wohnungsnot helfen nur Wohnungen und diese müssen bezahlbar sein. Die jährliche Neubauleistung muss deutlich gesteigert werden.
  • Ausbau der Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Der Bedarf an gefördertem Wohnraum übersteigt das Angebot um das Zehnfache, trotzdem sinkt der Bestand an Sozialmietwohnungen seit Jahren. Um diese Entwicklung aufzuhalten und eine Kehrtwende einzuleiten, müssen mittelfristig jährlich 10.000 Sozialmietwohnungen errichtet werden.
  • Regelsätze anpassen. Ob Bürgergeld oder Hartz IV, der PARITÄTISCHE fordert die sofortige Erhöhung des geplanten Regelsatzes von 502 Euro um mindestens 200 Euro und die vollumfängliche Übernahme der Kosten für Wärme und Strom.
  • Bezahlbarer, barrierefreier Wohnraum muss bedarfsdeckend geschaffen, eine Quotierung für barrierefreien Wohnraum (beispielsweise 30 bis 35 %) eingeführt und eine generationengerechte Infrastruktur im Wohnumfeld sichergestellt werden.
  • Mietpreise wirksam eindämmen. Zweckentfremdung wirksam bekämpfen. Um den Anstieg der Mieten bei Abschluss eines neuen Mietvertrages wirkungsvoll einzudämmen, ist die Mietpreisbremse zu reformieren. Gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum muss konsequent vorgegangen werden.
  • Bodenbewirtschaftung und Bauen sozial verträglich gestalten. Die Vergabe öffentlicher Liegenschaften muss verstärkt nach Konzept und sozialen Kriterien ausgerichtet, Bauland zügig für gemeinwohlorientierte Bauvorhaben bereitgestellt werden.
  • Energetische Modernisierungen sozial auszugestalten. Der PARITÄTISCHE fordert, dass die Vorteile von energetischen Modernisierungen den Mietern*innen warmmietenneutral zukommen und die Modernisierungsumlage dementsprechend angepasst wird. Maßstab für eine Kostenbeteiligung von Mieter*innen an der Gebäudesanierung muss die tatsächliche Energieersparnis bei den Nebenkosten für sie sein.
  • Lebensqualität in strukturschwachen Gebieten sichern. Der öffentliche Nahverkehr muss ausgebaut werden und einkommensschwachen Haushalten verbilligt oder kostenfrei zukommen und alltägliche Versorgungsstrukturen müssen gesichert und gefördert werden.
  • Moratorium für das Abstellen von Strom und Gas. Für den Fall einer weiteren Zuspitzung der Energiekrise mit erheblich steigenden Preisen muss sichergestellt werden, dass armutsbetroffenen Haushalten nicht der Strom oder das Gas abgestellt wird, weil sie mit ihrer Rechnung in Verzug sind. 

 

Beitrag aus PARITÄTinform 3/2022

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