Recht auf Selbstvertretung
Rund 30 Gäste folgten der Einladung zum 20. Sozialpolitischen Fachforum – kurz: SoFa des Paritätischen Kreisverbands Tübingen in der Alten Aula. Dr. Hanna Weinbach von der Universität Siegen berichtete in ihrem Vortrag über Soziale Arbeit und Inklusion, insbesondere über die mit dem § 4a im SGB VIII seit 2021 gesetzlich verankerte ‚Selbstvertretung‘ von Adressat*innen in der Kinder- und Jugendhilfe. Damit soll die konkrete Beteiligung von Adressat*innen an sie betreffenden Entscheidungen gestärkt werden und eben nicht nur ihre Vertretung durch Fachkräfte der Sozialen Arbeit. Frau Dr. Weinbach warf die Frage auf, was es für die Soziale Arbeit bedeutet, wenn Entscheidungsstrukturen demokratisiert werden und welche Spannungsverhältnisse daraus entstehen können – insbesondere, wenn es um reale Entscheidungs- und Deutungsmacht geht.
Aus der Forschung ist bekannt, dass 95% der Adressat*innen Beteiligung erwarten, aber nur 35% sehen sie als realisiert an. Forschungen zeigen auch, dass Beteiligung wirkt. Allerdings stehen die Einrichtungen auch vor großen Herausforderungen, zum Beispiel mit den Folgen der Pandemie oder durch den Fachkräftemangel. Das ist häufig hinderlich, um Machtasymmetrien abzubauen und partizipative Prozesse zu ermöglichen. Dazu braucht es eine Berufsethik als Korrektiv, dass die Zuschreibung von Hilfebedürftigkeit nur mit Zustimmung der Betroffenen erfolgen darf. Damit kann Soziale Arbeit auf ein grundlegendes Problem antworten, weil die Zuschreibung von Defiziten Voraussetzung für Leistungen ist. Es geht also um die Herstellung von Handlungsmächtigkeit der Adressat*innen, für die eigenen Belange sprechen zu können und auch gehört zu werden.
Mit dem Zitat von Sascha Ubrig: „Wir müssen nerven. Sonst tut sich nichts.“ begann die Podiumsdiskussion mit den Gästen Holger Gläss (Jugendamtsleiter Rems-Murr), Uschi Neumann (ELFI-Eltern für Inklusion), Nina Wlassow (Care-Leaver-Projekte der kit jugendhilfe), Leo (Care-Leaver) und Dr. Hanna Weinbach. Herr Gläss stellte fest, dass das Thema Machtasymmetrien schon lange da ist, und hofft, dass die gesetzliche Verankerung der Selbstvertretung langfristig auch Wirkung in der Praxis zeigt. Frau Neumann betonte, dass „dabei sein“ noch lange keine Mitbestimmung ist und erwartet Transparenz, dass also keine falschen Hoffnungen gemacht werden. Leo als Betroffener und Aktivist war vom Begriff „Freiheit“ in einer Fallschilderung sehr berührt, weil das nach seiner Erfahrung das Erleben von Handlungsmächtigkeit und Selbstwirksamkeit ausdrückt.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit ProSozPaed e.V., kit jugendhilfe und dem Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Tübingen statt.
AKG